Sky Experte Stefan Kretzschmar beleuchtet in seiner Kolumne jede Woche die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Dieses Mal schaut der ehemalige Weltklasse-Linksaußen zurück auf den historischen Doppelspieltag der Rhein-Neckar Löwen und schätzt die Chancen der deutschen Teams in den Achtelfinal-Rückspielen der EHF Champions League ein.
Dieser Samstag wird uns wohl noch lange in Erinnerung bleiben! Viel wurde im Voraus berichtet über die unglaubliche Doppelansetzung der Rhein-Neckar Löwen in Champions League und Bundesliga, und im Nachhinein muss man sagen: Der ganze Trubel hat die Löwen wahrscheinlich mehr beschäftigt, als sie es wahr haben wollten.
Normale Vorbereitung kaum möglich
Am Flughafen in Frankfurt haben die Beteiligten noch gemeinsam Fotos gemacht, bevor die zweite Mannschaft nach Warschau flog, und die erste nach Hamburg. In Kiel haben dann in der Halle einige Spieler am Livestream die Daumen gedrückt. Eine normale Vorbereitung war unter diesen Umständen kaum möglich.
Du siehst am Bildschirm, dass die Partie für die zweite Mannschaft zu einem ganz schönen Fiasko wird, auch wenn mir die Leistung dieser jungen Spieler absolut Respekt abverlangt. Insgeheim hat bestimmt der ein oder andere gehofft, dass es bei zehn bis 15 Toren Differenz bleibt. So aber verlierst du mit 24 Toren Unterschied und weißt: Du bist raus aus der Königsklasse.
Und dann wartet das Auswärtsspiel beim Rekordmeister. Ich hatte das Gefühl, der THW war einfach fokussierter und konzentrierter. Kiel hat das Gesicht gezeigt, das man vor der Saison von ihnen erwartet hat. Die Zebras haben eine sehr aggressive und bewegliche Abwehr gespielt. Vor allem die offensivere Variante funktionierte erstaunlich gut. Das war eine der besten Abwehrleistungen, die ich von Kiel in den letzten Jahren gesehen habe. Patrick Wiencek hat im Mittelblock einen unfassbar guten Job gemacht und im Tor entschied Niklas Landin das Duell mit den Löwen-Torhütern klar für sich.
Kiel war einfach verdammt gut
Ich möchte - trotz all der Begleitumstände - nicht mal davon sprechen, dass die Mannheimer am Samstag schlecht waren. Nein: Kiel war eben verdammt gut! Wenn der THW so spielt wie gegen die Löwen, kann jede Mannschaft in der Ostseehalle verlieren. Um mal richtig ins Spekulative abzudriften: Mit der Leistung der letzten eineinhalb Spiele wäre das Team von Alfred Gislason im Meisterschaftsrennen ganz vorne dabei.
Denn auch die zweite Halbzeit gegen Pick Szeged war ja schon sehr gut. Hat man sich in den ersten 30 Minuten gegen die Ungarn noch schwer getan, sprang am Ende eine sieben-Tore-Differenz heraus. Darauf ausruhen darf man sich zwar nicht, aber ich gehe davon aus, dass der THW weiterkommt. Dann würde Vardar Skopje warten. Meine Meinung: Auch vor den Mazedoniern braucht Kiel nicht angst und bange werden - wenn der THW die Leistung der letzten beiden Partien konservieren kann. Sie haben auch gegen den Titelverteidiger eine realistische Chance. In dieser Form ist Kiel zu den besten Mannschaften Europas zu zählen und ein absoluter Kandidat für das Final Four!
SG-Fans müssen die Halle in eine Hölle verwandeln
Eine gute Ausgangslage für das Achtelfinal-Rückspiel hat sich auch Nordrivale Flensburg erarbeitet. In Kristianstad gewann die SG mit 26:22. Jetzt gilt es für die SG-Fans, die Halle in eine Hölle zu verwandeln, und das Team nach vorne zu peitschen. Ich bin sehr optimistisch, dass Flensburg die nächste Runde erreicht. Dann geht es gegen Montpellier oder Barcelona. Die Katalanen sind zwar immer noch mein Favorit, aber nach dem Heimsieg im Hinspiel traue ich den Franzosen auch im Rückspiel einiges zu. Sie führen die französische Liga nicht ohne Grund vor den europäischen Top-Teams Paris und Nantes an.
Und dann haben die Löwen noch das Rückspiel gegen Kielce, in dem es um nichts mehr geht. Man hat aber eine Verantwortung den Fans gegenüber. Sie zahlen Geld dafür, ihre Jungs in der Champions League spielen zu sehen. Ihnen ist man es schuldig, sich ordentlich aus dem Wettbewerb zu verabschieden. Das werden die Löwen tun. Andy Schmid und Co. wollen mit Sicherheit beweisen, dass sie ohne das Terminchaos eine realistische Chance auf das Viertelfinale gehabt hätten.
Schmid ist ein echtes Vorbild
Wie Schmid nach der Niederlage in Kiel aufgetreten ist, hat mich übrigens sehr beeindruckt. In diesem schweren Moment an die Ehre des Handballs zu appellieren, und zum Dialog aufzurufen, finde ich großartig! So jemanden stelle ich mir als Funktionär auf oberster Ebene vor. Bevor es soweit ist, wollen wir ihn aber natürlich noch auf der Platte sehen. Schon am Donnerstag spielen die Löwen gegen Hüttenberg. Dann ist der ganze Trubel um den Terminstreit abgehakt. Vergessen werden wir diesen kuriosen Handball-Samstag aber mit Sicherheit nicht so schnell.
