Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt. Dieses Mal spricht der Rekord-Nationalspieler über das Debakel der Nationalmannschaft gegen Spanien und die Rolle von Joachim Löw dabei.
Ich sage das ganz ohne Häme, aber der Gegner hatte 15, 16 hochkarätige Chancen und das Debakel hielt sich somit noch in Grenzen. Es gibt nach so einer historischen Pleite viele Kritikpunkte. Die drei größten Alarmzeichen waren für mich folgende.
1. Das Ergebnis
Für die meisten Menschen war das die höchste Deutschland-Niederlage, die sie mitbekommen haben. Das 0:6 gegen Österreich geschah 1931. So eine Blamage darf einfach nicht passieren.
Und wie bereits erwähnt. Es hat nicht viel gefehlt und wir hätten noch viel höher verloren. Das war ein Trainingsspiel für unseren Gegner.
2. Wir sind momentan keine Mannschaft
Von wegen einer für alle und alle für einen. Gegen Spanien war jeder höchstens mit sich selbst beschäftigt und selbst damit waren die meisten überfordert. Eine Mannschaft hilft sich, ist füreinander da, bügelt die Fehler des anderen aus und versucht 90 Minuten das Trikot so zu verteidigen, wie es sich gehört.
Aber bis auf Manuel Neuer war das DFB-Dress jedem zwei Nummern zu groß. Und ich hätte vor allem von den Führungsspielern wie Toni Kroos oder Ilkay Gündogan mehr Gegenwehr erwartet. Sie haben so viel Klasse und Erfahrung auf diesem Niveau, dass sie die Mannschaft anführen und vorangehen müssen. Aber auch sie waren nicht wiederzuerkennen.
3. Wir haben uns aufgegeben
Mit der Körpersprache, die von einem Fußballprofi, der für sein Land aufläuft, erwartet werden muss, hatte unser Auftritt spätestens ab dem 0:2 nichts zu tun. Angst, Leere, Aufgabe, Resignation konnte man förmlich spüren. Ich weiß nicht warum, aber es war offensichtlich. Diesem Team fehlt es an defensiver Stabilität, an Organisation, an Führung von außen und von innen. Der Glaube an die eigene Stärke ist völlig abhandengekommen. Der Trend von Löw und seiner Mannschaft zeigt eindeutig nach unten.
Das muss sich schleunigst ändern, sonst erleben wir das nächste Debakel bei einem Turnier. Das einzig Gute ist, dass es noch ein paar Monate hin sind bis zur Euro. Das war es dann aber auch. Es bleibt uns nur noch die Hoffnung. Man darf nicht alles nur an einem Spiel festmachen im Fußball. Aber es geht um die Tendenz. Wir haben jetzt sechs gegen Spanien kassiert. Das ist ein Top-Team und wir sind ein Schatten unser selbst. Gegen uns haben allerdings auch die Türkei und die Schweiz drei Tore geschossen. Die Ukraine hatte genug Möglichkeiten, um mehr als nur einen Treffer zu erzielen. Und deshalb ist es die Gesamtbetrachtung, die höchst alarmierend ist. Nur die Bilanz von zwei Niederlagen in 16 Spielen kann zur Ehrenrettung von Löw und den Seinen angeführt werden.
Qualität normalerweise vorhanden
Trainer und Spieler haben sich bis auf die Knochen blamiert und müssen jetzt in den nächsten Monaten dafür sorgen, dass sie bis zur Europameisterschaft wieder eine Einheit sind, die ordentlich Fußball spielen kann. Die Qualität ist sowohl bei Löw und seinem Trainer-Team, als auch bei den Männern in kurzen Hosen normalerweise vorhanden.
Gestern stand, abgesehen von den Aussortierten und dem verletzten Joshua Kimmich, das Beste auf dem Platz, was unser Land aktuell fußballerisch zu bieten hat. Ich hätte ja zu gerne gesehen, was Kimmich mit seinen Gegenspielern, aber auch mit seinen Mitspielern gemacht hätte, wenn er auf dem Platz gestanden hätte. Ungeschoren und mit einem Lächeln wäre dieser jedenfalls nicht vom Platz gegangen.
Endlosdiskussion um Müller, Hummels und Boateng
Die Diskussion um Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng wird mit solchen Spielen niemals enden. Das sind aktuell drei herausragende Spieler, die nicht mehr eingeladen werden. Während sie bei ihren Klubs Woche für Woche Top-Leistungen abliefern, blamiert sich die DFB-Elf ein ums andere Mal. Natürlich spielen die drei auch deshalb so gut, weil sie körperlich und geistig durch die fehlenden Länderspielreisen frischer sind. Und es stimmt, dass auch sie ihren Teil zum schlechten Abschneiden bei der WM 2018 geleistet haben.
Aber sie sind nach wie vor auf ihren Positionen drei der allerbesten Spieler, die wir haben. Thomas Müller wäre gegen Spanien mit Sicherheit nicht stumm und mit gesenktem Kopf 70 Minuten über den Rasen von Sevilla getrabt. Er gibt bei den Bayern 95 Minuten Kommandos und irgendeinen positiven Impuls hätte er dieser Mannschaft mitgegeben. Jerome und Mats sind in puncto Defensiv-Organisation nach wie vor extrem stark und erfahren. Aber unter dem Bundestrainer Löw wird es wohl keine Rückkehr von Hummels, Müller und Boateng geben.
Löw angezählt - Ruf wackelt
Auch eine Dreierkette mit Matthias Ginter, Niklas Süle und Antonio Rüdiger sollte internationalen Ansprüchen genügen. Aber der Defensiv-Verbund der aktuellen DFB-Elf ist seit vielen Monaten alles andere als gut.
Genauso steht es um das Image, die Außenwirkung und das Standing von Joachim Löw. Er ist angezählt, sein verdienter Ruf als Top-Trainer wackelt mehr denn je.
Löw hat rechtzeitigen Rücktritt verpasst
Er hat im Grunde den perfekten Zeitpunkt zum persönlichen Rücktritt verpasst. Und der wäre nach dem WM-Titel 2014 gewesen. Der Moment des größten Triumphes ist meistens der Beste, um den Weg frei zu machen. Aber es ist für viele gleichzeitig der Schwierigste. Löw, wie so viele andere an seiner Stelle, wollte dann den verdienten Titel-Bonus auskosten, weitermachen, noch mehr gewinnen und die meisten Scheitern an dieser Aufgabe.
Der Bundestrainer wirkt amtsmüde. Seine öffentlichen Statements und Erklärungen sind nicht mehr so klar, deutlich und souverän wie noch vor einigen Jahren. Und das spiegelt seine Mannschaft auf dem Feld wider. Ich bin ziemlich sicher, dass Löw auch bei der EM noch auf der Bank sitzt. Damit sein Ruf und das Image der deutschen Nationalmannschaft nicht noch schlechter werden als aktuell, hat er mächtig viel zu tun.