Immer wieder stieß Hugo Lloris den goldenen WM-Pokal in die Höhe, die Fans antworteten ihrem Kapitän mit frenetischen "Merci les bleus"-Gesängen. Um kurz vor 17 Uhr Ortszeit war die begehrteste Trophäe des Weltfußballs zurück in der Heimat der Equipe Tricolore.
Gemeinsam mit Trainer Didier Deschamps hatte der französische Kapitän als Erster die mit Wasserfontänen empfangene Air-France-Maschine verlassen und den Roten Teppich auf dem Rollfeld des Pariser Flughafens Charles de Gaulle betreten.
Auf der Prachtstraße Champs-Elysees warteten Tausende Fans in einem blau-weiß-roten Fahnenmeer auf die Weltmeister. Die Pariser Metro hatte kurzerhand sechs ihrer Stationen nach den Helden von Russland umbenannt. Die Station "Champs-Elysees - Clemenceau" am berühmten Boulevard beispielsweise hieß zu Ehren von Trainer Deschamps vorübergehend "Deschamps Elysees - Clemenceau".
Tausende Fans unter dem Eifelturm
In Frankreich war schon am Vorabend die Hölle los. Auf dem Marsfeld, wo 90.000 Fans im Schatten des Eiffelturms das 4:2 über unglaublich tapfere Kroaten bejubelten, das ganze Land geriet in Ekstase, mancherorts entlud sich diese Energie auch in Krawallen. "Der Tag des Triumphes ist endlich da", titelte die Fachzeitschrift France Football. "Es ist historisch", ergänzte L'Equipe. Wie wahr: Denn nicht zuletzt ist Deschamps, Kapitän und zentrale Figur beim Titelgewinn 1998 im eigenen Land, nun erst der Dritte, der als Spieler und Trainer Weltmeister wurde.
Den Pantheon der Größten haben bislang nur der Brasilianer Mario Zagallo (1958/1962 und 1970) und Franz Beckenbauer (1974 und 1990) betreten. Nun also Deschamps. "Es ist ein illustrer Kreis", sagte er am Sonntag bescheiden und ergänzte verschmitzt: "Als Trainer stehen wir jetzt auf derselben Stufe. Sie waren aber wunderbare Spieler. So schön habe ich nicht gespielt." Doch schön spielen ist für Deschamps auch nicht maßgeblich: Er will Erfolg. Da ist der Baske ganz pragmatisch.
Die neuen Weltmeister sind allesamt technisch beschlagene Ausnahmespieler. Der Wunderknabe Kylian Mbappe etwa, der sich anschickt, in die Fußstapfen des großen Pele zu treten. Oder Antoine Griezmann, der in diesem Jahr womöglich sogar in die Endausscheidung bei der Wahl zum Weltfußballer kommt. Aber erst Deschamps hat auch Individualisten wie Pogba oder Talenten wie dem Stuttgarter Benjamin Pavard beigebracht, was zu tun ist, wenn man Weltmeister werden will. Sie alle haben sich gefügt.
Ersatzspieler waren nie genervt
"Wir waren eine geschlossene Mannschaft. Die Ersatzspieler waren nie genervt. Das hat dem Team sehr gut getan", erklärte Griezmann. Ähnliche Erkenntnisse waren vier Jahre zuvor von den deutschen Weltmeistern zu hören. Eine letzte Erinnerung an die magische Nacht von Rio 1463 Tage zuvor rief nun nur noch Philipp Lahm hervor. Er trug den Goldpokal zur Bühne auf dem Rasen des Luschniki-Stadions, auf der ihn nun eine Mannschaft im wahrsten Sinne des Wortes an sich riss.
Nein, Frankreich spielte nicht berauschend, auch im Finale, gestand Deschamps, "war nicht alles richtig". Aber, stellte er lapidar und zugleich äußerst zufrieden fest: "Frankreich ist Weltmeister, das heißt, wir haben Dinge besser gemacht als die anderen." Les Bleus waren eine Einheit, bereit, alles für den Sieg zu tun. "Diese Spieler sind Krieger", sagte Deschamps und betonte: "Talent macht keinen Unterschied. Wichtig ist die mentale Einstellung. Und die haben alle meine Spieler."
Unerschöpfliches Reservoir an Spielern
Deschamps hat zugleich aus seiner bislang größten Niederlage die Lehren gezogen. Bei der EM 2016 in Frankreich unterlag die bestens besetzte Equipe Tricolore im Endspiel Portugal (0:1 n.V.). "Es war so schmerzvoll, diese Gelegenheit, Europameister zu werden, liegengelassen zu haben. Aber vielleicht wären wir nicht Weltmeister heute. Wir haben viel daraus gelernt", behauptete Deschamps. Er hat in den vergangenen zwei Jahren einen Umbruch eingeleitet und ihn erstaunlich schnell abgeschlossen.
"Neue Spieler sind dazugekommen, und das war sehr gut für uns. Sie haben den Wert des Teams gesteigert", sagte Griezmann über die Mannschaft, die nun Weltmeister ist. Und das heißt nicht, dass Deschamps mit dieser Equipe Tricolore einfach unverändert weitermacht. Frankreich scheint ein schier unerschöpfliches Reservoir an Spielern zu haben. Der nicht nominierte Kingsley Coman oder Corentin Tolisso vom FC Bayern gehören dazu. Für die internationale Konkurrenz verheißt das nichts Gutes. (sid)