Der Ball rollt in Europas Fußball-Ligen, aber ohne Zuschauer. Die Frage ist, wie lange noch? Die Corona-Pandemie wird bis zum Start der neuen Saison am 18. September nicht verschwinden, dennoch gibt es Pläne für die Rückkehr der Fans in die Stadien.
Wie beim Restart gehen die DFL und der deutsche Fußball voran: Während andere Ligen und Sportarten noch mit der Umsetzung von Geisterspielen kämpfen, plant der Verband bereits die neue Corona-Normalität.
Vergangene Woche hatte die DFL einen Leitfaden veröffentlicht, wie es gelingen könnte, die Zuschauer zurückzuholen.
Sitzplatzverteilung, Ticketvergabe: DFL hat Ideen vorgestellt
Die klare Voraussetzung für Zuschauer in den Stadien ist ein Abflauen der Corona-Zahlen. Weitet sich das Infektionsgeschehen aus, bleiben die Pläne Gedankenspiele. Die DFL hat Ideen vorgestellt, wie Sitzplatzverteilung, Ticketvergabe, An- und Abreise oder Essensausgabe gelöst werden können. Wie beim Restart ist der Leitfaden durchdacht und mit Umsicht erstellt worden.
ZUM DURCHKLICKEN: Bildergalerie Stadionkapazität
Die maximal vorgeschlagenen Zuschauer belaufen sich je nach Stadion auf 30 bis 50 Prozent der Gesamtkapazität. Diese Zahlen werden im September nicht sofort erreicht, realistisch ist eine langsame Annäherung. Die ersten Spieltage dienen als Versuchsballon, was organisatorisch möglich ist.
Der Leitfaden ist aber nur ein erster Schritt: Jeder Klub muss mithilfe der DFL-Vorschläge ein eigenes Detailkonzept erstellen und dem örtlichen Gesundheitsamt zur Prüfung vorlegen. Das kann unterschiedliche Lösungen zur Folge haben - Union Berlin hatte ja bereits einen Sonderweg angekündigt.
Im Hintergrund stehen natürlich auch wirtschaftliche Interessen: In der Saison 2018/19 setzten die Bundesliga-Klubs 520 Millionen Euro mit Tickets sowie Essen und Trinken um. Funktioniert der DFL-Plan, könnten die Verluste zumindest eingedämmt werden.
Stadionbesuch nur mit Masken und Abstand?
Wie ist der DFL-Leitfaden aus medizinischer Sicht einzuordnen? Dazu hat Sky mit dem Virologen Jonas Schmidt-Chanasit gesprochen. Prinzipiell erwartet er eine vorsichtige Herangehensweise der Gesundheitsämter bei den Stadionöffnungen. Die DFL schlägt für die Bewertung des Pandemie-Geschehens die 7-Tage-Inzidenz vor, eine Kennzahl zur Einordnung von Neuinfektionen pro Region. Schmidt-Chanasit hält die Pläne bei der derzeitigen Infektionszahlenentwicklung für realisierbar.
Für den Stadionbesuch sieht er zwei prinzipielle Möglichkeiten:
1. Maskenpflicht und Abstandsregeln. Alle Zuschauer müssen während des kompletten Aufenthalts eine Maske tragen, sollten nicht Schreien und exzessives Feiern unterlassen. Versuche in Dänemark haben aber gezeigt, dass die Fans ihre Emotionen kaum zügeln.
2. Vorab-Coronatests für jeden Besucher. Einen oder zwei Tage vorher würde jeder Zuschauer getestet, nur mit einem negativen Ergebnis wird ein Stadionbesuch erlaubt. Masken wären dann nicht mehr notwendig, auch die Abstandsregeln würden an Bedeutung verlieren.
Massentests eine Frage der Ressourcen
DFB-Präsident Fritz Keller hat ein 48-Stunden-Modell für Vorab-Tests vorgeschlagen, Schmidt-Chanasit befürwortet ebenfalls die Massen-Tests, aber in einer 12-Stunden-Variante. Für den Virologen ist die Durchführbarkeit der Tests vor allem eine Frage der Ressourcen. Beim aktuellen Infektionsgeschehen sieht er hier keinerlei Probleme. Sollten die Zahlen im September steigen, müsste die Test-Frage neu bewertet werden.
Die Test-Variante bietet auch keine absolute Sicherheit, sie erhöht nur die Wahrscheinlichkeit stark, sich nicht anzustecken. Möglich ist auch eine Kombination der beiden Varianten.
Aber ist eine Rückkehr der Zuschauer im September schon sinnvoll? Der Virologe hat darauf eine klare Antwort: "Ich würde nicht auf einen Impfstoff warten. Wir müssen jetzt Strategien entwickeln, wie wir mit diesem Virus über Monate oder gar Jahre leben können. (...) Weg vom pauschalen 'das geht nicht', sondern unter welchen Voraussetzungen kann so etwas stattfinden." Die Tests müssten vor jedem einzelnen Spiel stattfinden, auf die Vereine kommt organisatorisch also eine Menge Arbeit zu.
Die Suche nach Lösungen
Der DFL-Leitfaden hat eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, die den Stadionbesuch verändern: Anreise bevorzugt mit dem PKW und Meiden des öffentlichen Nahverkehrs, Einlass im Schichtsystem, Einbahnstraßen-Wege im Stadion oder Essen nur am Sitzplatz. Aber was bedeuten diese Maßnahmen für die Vereine? Hier kann Angelika Kneidl von accu:rate helfen, einem Unternehmen, das Besucherströme simuliert. Je nach Stadion kann sie Engstellen und Probleme erkennen und dabei helfen, den Stadionbesuch sicher zu machen.
Nicht kalkulierbar bleiben die Emotionen der Fans, die Expertin hofft auf Rücksichtnahme der Anhänger. Denn auch der sorgfältigste Plan kann an der Realität scheitern. Derzeit sind Großveranstaltungen mit mehr als 500 Zuschauern in Deutschland untersagt, die Vereinbarung der Ministerpräsidenten gilt noch bis Ende Oktober. Der Rückkehr-Plan der Bundesliga hängt entscheidend von der Politik ab: Ohne Lockerungen bleibt der Fußball bei Fast-Geisterspielen.
Zeichen der Hoffnung
Die Reaktionen aus der Politik auf den DFL-Leitfaden sind wohlwollend. Wie beim Restart ist eine Ausnahme für den Profifußball denkbar. Gesundheitsminister Jens Spahn sieht den Fußball in einer Vorreiter-Rolle. "Die Frage, wie Fußballspiele stattfinden mit Zuschauern, ist ein wichtiges Signal auch für alle anderen Großveranstaltungen. Da müssen die Regeln passen."
Politik stellt deutschlandweite Regelungen in Aussicht
Kanzleramtschef Helge Braun geht im Gespräch mit der Bild am Sonntag noch einen Schritt weiter: "Wenn ein gutes Hygienekonzept vorliegt und Abstand zwischen den Besuchern gewährleistet ist, können Veranstaltungen stattfinden - auch mit einer größeren Zahl an Zuschauern." Die Sportministerkonferenz hat in Aussicht gestellt, deutschlandweite Regelungen für den Sport- und Ligenbetrieb bis September zu finden. Entspannt sich die Corona-Situation, wird die Politik der Stadion-Rückkehr nicht im Wege stehen.
Fußball als Vorreiter-Sportart
Die Politik beschäftigt sich explizit mit dem Fußball als Vorreiter-Sportart. Auch aus medizinischer Sicht hat Fußball einen Vorteil gegenüber Handball oder Basketball: Fußball findet im Freien statt, Hallensportarten haben es in der Pandemie viel schwerer, zum Alltag zurückzukehren.
Bei einem Tennis-Showturnier in Berlin waren vergangene Woche mit Sondergenehmigung bereits 800 Zuschauer erlaubt und das Event verlief reibungslos - natürlich unter freiem Himmel. International nimmt Deutschland wieder eine Vorreiter-Rolle ein. Keine andere Liga mit so vielen Zuschauern wagt schneller den Besucher-Restart. Die Weichen für die Stadion-Rückkehr der Fans sind gestellt.
Nur ein erneutes Aufflammen der Corona-Krise kann die langsame Rückkehr zur Normalität noch verhindern.