Das Estadio Santiago Bernabeu hat viele legendäre Spiele erlebt, eins davon war mehr als kurios. Am 1. April 1998 fiel vor Beginn des Champions-League-Halbfinals zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund ein Tor um. Sky-Redakteur Thorsten Mesch war damals im Stadion und erinnert sich.
Ich wohnte damals in Madrid und mein Kumpel Frank, ein glühender Dortmund-Fan, war zu Besuch.
Obwohl ich seit dem Double von 1996 Anhänger von Atletico Madrid war, überredete mich Frank, mit ihm zu Real gegen den BVB zu gehen. Was heute bei einem Halbfinale ein Ding der Unmöglichkeit wäre: Am Tag vor dem Spiel wurden an den Stadionkassen noch reichlich Karten verkauft, allerdings nicht für den Gästeblock. Kein Problem, dachte ich. Doch ich hatte mich geirrt.
Madrider Ultras reißen Zaun um
Die Ordner ließen mich nicht mit den BVB-Freunden rein. So ging ich in meinen Block auf der damals noch nicht überdachten Gegengeraden Um mich herum nur Real-Fans. Viele hatten Getränke in Zwei-Liter-Flaschen dabei. Das ging damals noch. Und es sollte sich später auszahlen.
Die Stimmung war prächtig, das Wetter war gut, die Mannschaften liefen auf den Rasen, die Hymne lief, es konnte losgehen. Doch ein paar Real-Fans im Block der berühmt-berüchtigten "Ultras Sur" wurden übermütig. Sie kletterten am Schutzzaun hinter dem Tor hoch und rüttelten so heftig, dass der Zaun, an dem das Tor befestigt war, abknickte und das Gestänge mit umriss.
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"Das erste Tor ist schon gefallen"
"Das erste Tor ist schon gefallen", scherzte in der Fernsehübertragung Günther Jauch, damals Fieldreporter für RTL. Doch davon hörte ich erst Monate später, als ich zurück in Deutschland war.
Bevor er überhaupt angepfiffen hatte, schickte Schiedsrichter Mario van der Ende die Spieler wieder in die Kabine. Auf dem Platz versuchten mehrere Helfer planlos, das Tor zu reparieren, doch was sie auch anstellten, es half nichts. Jauch und Kommentator Marcel Reif witzelten über Spanier, die wie Fischer am Tornetz hantierten. "Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gutgetan", war Reifs Satz des Abends.
Real-Fans versorgen mich mit Bocadillos und Wodka-Lemon
Auf der Tribüne schauten wir uns das Geschehen an und fragten uns, warum es in einem Stadion wie dem Bernabeu kein Ersatztor gab.
Meine Nachbarn fingen an, ihre eigentlich für die Halbzeit gedachten Bocadillos (belegte Baguettes) auszupacken und reichten ihre großen Flaschen rum. Ich nahm einen Schluck und war doch etwas überrascht über den Geschmack: die Jungs hatten tatsächlich Wodka-Lemon ins Stadion geschmuggelt.
Ohne WhatsApp und Twitter
Ob mein Kumpel im BVB-Block auch so viel Spaß hatte, wusste ich nicht. WhatsApp oder Twitter gab es damals noch nicht. 1998 hatten überhaupt nur die wenigsten ein Mobiltelefon.
Irgendwann wurde unter Jubel ein neues Tor hereingetragen. Jemand hatte es auf einem Kastenwagen vom Real-Trainingsgelände, damals nur wenige Kilometer vom Stadion entfernt, geholt.
Anpfiff mit 76 Minuten Verspätung
Als das Ersatztor aufgebaut war, kamen die Mannschaften zurück und das Spiel konnte endlich beginnen. Mit 76 Minuten Verspätung.
Reals Starensemble um Raul und Roberto Carlos, das später zum ersten Mal nach 30 Jahren wieder den Henkelpott nach Madrid holte, gewann 2:0 gegen den BVB, bei dem damals u.a. Binz, But und Decheiver spielten.
Tore von Morientes und Karembeu
Jeder erinnert sich an legendäre Fußballspiele, die er live im Stadion erlebt hat. Ich war in Belo Horizonte im Estadio Mineirao, als Deutschland 7:1 im WM-Halbfinale gegen Brasilien gewann und Kroos und Schürrle doppelt trafen. Ich war beim "Wunder von Getafe" im Coliseum Alfonso Perez, als sich der FC Getafe und der FC Bayern einen legendären Schlagabtausch inklusive Verlängerung lieferten und Luca Toni die Münchner mit einem Doppelpack rettete.
An die Treffer von Morientes und Karembeu am 1. April 1998 kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Aber das Tor, das sogar schon vor dem Spiel im Bernabeu fiel, werde ich nie vergessen.