Ex-Nationalspieler Torsten Frings analysiert in seiner Gast-Kolumne für Sky Sport das Spiel des DFB-Teams gegen Ungarn, kritisiert die Offensive und blickt auf das Achtelfinale gegen England. Der ehemalige Mittelfeldspieler erklärt, was Deutschland im Prestigeduell alles besser machen muss.
Die Vorrunde ist gespielt, Deutschland hat mit Mühe und Not das Achtelfinale erreicht. Mehr Glück als beim 2:2 gegen Ungarn kann man aber nicht haben. Deutschland hatte kaum herausgespielte Chancen, war in der Defensive anfällig ohne Ende und es war wenig Bereitschaft zu erkennen. Klar ist es schwer, wenn der Gegner zwei Busse vor dem Tor parkt, aber man kann verlangen, dass man gegen so eine Mannschaft seiner Favoritenrolle gerecht wird, sie niederspielt und niederkämpft.
Insgesamt fand ich das Auftreten in der Vorrunde, bis auf das Portugal-Spiel, nicht gut. Es gab keine Konstanz, die Überzeugung hat gefehlt. Speziell von der Offensivreihe kommt zu wenig, es ist alles vorhersehbar.
Das 4:2 gegen Portugal hat gezeigt, wozu die deutsche Mannschaft in der Lage ist, wenn sie an ihre Grenzen geht. Ich will nicht sagen, dass man nicht wollte, aber man tut sich sehr schwer, wenn man auf Widerstand stößt. Gegen Ungarn haben Überzeugung und Kreativität gefehlt.
"Gegen Ungarn war alles so vorhersehbar"
Jogi Löw hat während des Spiels auf Viererkette umgestellt, aber dadurch wurde es nicht besser. Es ist auch nicht in erster Linie eine Frage der Taktik, vielmehr kommt es am Ende des Tages auf jeden einzelnen Spieler an. Alle müssen sich fragen: "Bin ich bereit, wirklich jeden Meter zu machen? Spiele ich schnell? Gehe ich ins Eins-gegen-Eins? Haue ich eine Flanke rein?" Du musst im höchsten Tempo über Außen spielen, hinterlaufen und variieren, aber gegen Ungarn war alles so vorhersehbar.
Wenn du tiefe Läufe machst, ziehst du auch die Abwehr mit. Auf eine Aktion folgt eine Reaktion. Ein Beispiel: Wenn Sane mal einen Sprint hinter die Abwehr macht, zieht er vielleicht den Gegenspieler von Gnabry mit, und der kann dann eine Chance kreieren. Es wurde aber nur ganz wenig hinterlaufen. Auch Gosens hat ein schlechtes Spiel gemacht und den Hype, den es verdientermaßen nach dem Portugal-Spiel um ihn gab, vielleicht nicht ganz so gut überstanden.
EINZELKRITIK: VIEL SCHATTEN, WENIG LICHT
Sane zahlt Vertrauen nicht zurück - Goretzka und Musiala machen Mut
Sane hat das Vertrauen des Bundestrainers bekommen. Aber er hat nichts dafür getan, dass Jogi im weiteren Verlauf des Turniers wieder auf ihn setzt. Vielleicht fehlt Sane einfach das Selbstvertrauen. Es wird seit Wochen auf ihn eingeschlagen und eventuell nimmt ihn das ein bisschen mit.
Hoffnung machen mir Goretzka und Musiala. Als Goretzka reinkam, hat er mit seiner Dynamik das Spiel verändert. Er macht die zusätzlichen Läufe, er geht mit in die Box, und er sucht den Abschluss.
Musiala hat mit einem Dribbling und einem Pass in den Strafraum das 2:2 vorbereitet. Seine Unbekümmertheit hat uns gutgetan.
Das kann Deutschlands Vorteil gegen England sein
Gegen England wird wichtig sein, die leichten Fehler abzustellen, sonst nehmen sie uns auseinander. Die Ungarn haben ihre Konter nicht gut ausgespielt, aber wenn du Kane, Sterling oder Sancho so einlädst, kann es richtig knallen. Dann holst du auch nicht so schnell ein Tor auf, weil die Engländer auch in der Abwehr ein ganz anderes Kaliber sind.
Ich erwarte am Dienstag eine ganz andere Partie. Die Engländer spielen zuhause, sie sind sehr von sich überzeugt und werden dieses Prestigeduell bestimmen wollen. Durch die Fans in Wembley könnten sie zusätzlich gepusht werden. Auf der anderen Seite besteht dann die Gefahr, vielleicht einen Tick zu sehr ins Risiko zu gehen. Hier könnte ein Vorteil für die deutsche Mannschaft liegen. Die Engländer haben viele gute Spieler, aber wir haben Leute wie Neuer, Hummels, Kroos oder Müller, die ihre ganze Erfahrung in die Waagschale werfen können.
Für Jogi Löw könnte es das letzte Spiel als Bundestrainer sein. Ich glaube nicht, dass er sich etwas anmerken lassen wird oder dass er viel verändern wird. Er wird sein Ding durchziehen. Selbst wenn Deutschland ausscheiden sollte, muss man trotzdem sagen, dass er in all den Jahren einen herausragenden Job als Bundestrainer gemacht hat.
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Torsten Frings absolvierte 79 Länderspiele. Mit dem DFB-Team wurde er 2002 Vize-Weltmeister, 2006 WM-Dritter und 2008 Vize-Europameister. In der Bundesliga spielte er für Werder Bremen, Borussia Dortmund und den FC Bayern. Als Trainer arbeitete der 44-Jährige bei Werder Bremen (Co-Trainer), Darmstadt 98 und zuletzte beim SV Meppen.