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Hamburger SV: Kommentar zu Tim Walter

Streitbarer HSV-Lautsprecher

Tim Walter ist in den Relegationspartien gegen den VfB Stuttgart mit seinem emotionalen Verhalten an der Seitenlinie aufgefallen. Der HSV-Trainer ist bekannt für seine offensiven Töne, was ihm manchmal negativ ausgelegt wird. Doch der Typ Walter tut dem HSV gut. Ein Kommentar von Sven Töllner.

Ist doch klar: Wer den Kopf rausstreckt, der bekommt leichter mal was auf die Glocke. Je weiter und lauter, desto größer wird die Schar derer, die sich gestört und deshalb genötigt fühlen, für Ruhe zu sorgen. Tim Walter ist laut und robust bei seinen öffentlichen Einlassungen - nicht immer zur vollumfänglichen Freude aller HSV-Verantwortlichen. Und sogar außerordentlich häufig zum Leidwesen vieler Beobachter und Konkurrenten.

"Wir steigen definitiv auf." Das ist einer dieser Sätze, die dem selbstbewussten HSV-Coach genüsslich in die Wiedervorlage gespült werden, seitdem nach den Relegationsduellen gegen den VfB Stuttgart klar geworden ist, dass er den Mund zu voll genommen hatte. Aber ist es denn so schlimm, mit Kampfansagen die eigene Mannschaft starkzureden, anzustacheln und ganz nebenbei auch noch den allgemeinen Entertainment-Faktor zu erhöhen?

Seit Christoph Daum in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrtausends traut sich kein deutscher Trainer mehr, die Gewürzmühle rauszuholen und ein bisschen rhetorische Schärfe in die Abläufe rieseln zu lassen. Auch der damalige Kölner Trainer hat hoch gepokert und einkalkuliert, dass ihm Spott und Häme im Misserfolgsfall mit doppelter Geschwindigkeit um die Ohren sausen werden. Aber er hat es versucht! Genau wie Tim Walter.

Walter vor dritter HSV-Saison

Spannend wird nun sicherlich, welche Tonart - ein Schritt zurück in der Zielsetzung wird in Gremien und Öffentlichkeit kaum zu vermitteln sein - der Coach im Hinblick auf die kommende Saison anschlagen wird. Denn nach Lage der Dinge wird Walter tatsächlich der erste Trainer seit Frank Pagelsdorf sein, der im Volkspark in seine dritte komplette Saison starten wird.

Das hat Jonas Boldt, der dem Vernehmen nach seinerseits ausreichend Unterstützung aus dem Aufsichtsrat der AG erfährt, am Sky Mikrofon robust bestätigt. Der mächtige Vorstand des Zweitligisten hat der (zwingend notwendigen) Debatte über die inhaltliche und personelle Ausrichtung bei Aufstiegsanlauf Nummer sechs bereits weit vor Saisonende eine stramme Windrichtung vorgegeben.

Im Verein ist weit und breit niemand in Sicht, der stark und kompetent genug wäre, die Revolution anzuführen. Noch ein bisschen wichtiger als die Außendarstellung wird natürlich die sportliche Leistungsfähigkeit des Dauer-Aufstiegs-Aspiranten sein. Verstärkungen (!) auf allen Positionen in der Abwehr und im defensiven Mittelfeld sind dringend erforderlich. Viel spricht derweil dafür, dass ein Großteil des Stammpersonals gehalten werden kann.

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Großer Zusammenhalt in Hamburg

Top-Torjäger Robert Glatzel hat eine Ausstiegsklausel über 1,5 Millionen Euro, fühlt sich mitsamt seiner Familie aber außerordentlich wohl in Hamburg. Ludovit Reis könnte gegen die Zahlung von 7,5 Millionen Euro aus seinem laufenden Vertrag aussteigen. Fraglich, ob ein Erstligist bereit ist, diese Summe in den hochveranlagten Niederländer zu investieren, der nach der Winterpause nicht an seine starke Hinserie anknüpfen konnte.

Die anderen Stützen haben sich mehr oder weniger unmissverständlich zum HSV bekannt - auch wegen Walter. Zweitliga-Top-Torhüter Daniel Heuer Fernandes zu Sky: "Der Trainer ist dafür verantwortlich, dass wir diese tolle Gemeinschaft haben." Zu dieser Gemeinschaft zählen zweifellos auch die Fans im Volkspark. Mit 53.470 Fans pro Heimspiel stehen die Hamburger auf Platz fünf in Deutschland und auf Platz 16 in Europa - dicht gefolgt von Manchester City und dem FC Liverpool.

Diese Mannschaft UND dieser Trainer kommen bei vielen Hamburger Fans gut an. Die Frage lautet: Bleibt das so, wenn das Bundesliga-Comeback auch beim sechsten Anlauf frühzeitig außer Reichweite geraten sollte? Die Währung im Sport ist das Erreichen der gesteckten Ziele. Einen dritten vergeblichen Versuch würde Walter vermutlich nicht im Amt überstehen. Und auch Boldt würde mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Mandat als Gesamtverantwortlicher für den siebenten Streich erhalten.

Mehr zum Autor Sven Töllner

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