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Kolumne: Lothar Matthäus über 2020 mit FC Bayern, Schalke, BVB & DFB

Top-5-Themen in 2020: Einzigartige Bayern, Chaos beim DFB & Co.

Die Kolumne von Lothar Matthäus erscheint wöchentlich auf skysport.de.
Image: Die Kolumne von Lothar Matthäus erscheint wöchentlich auf skysport.de.  © Getty

Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt. Kurz vor dem Jahreswechsel spricht der Rekord-Nationalspieler über seine Momente der zurückliegenden zwölf Monate - positiv wie negativ.

Es ist und war für uns ein ganz spezielles Jahr. Zeit für einen Rückblick. Zeit für die Matthäus-Momente 2020.

1. Die Jahrhundert- Bayern

Der FC Bayern München 2020. Mit einem Wort: Einzigartig! Es gibt im Grunde kein Superlativ für das, was dieser Verein in diesem Jahr geleistet hat. Rekorde, Titel, Erfolge, Siege (8:2 gegen Barcelona), Attraktivität, Entdeckungen a la Alphonso Davies oder Comebacks wie die von Thomas Müller und Jerome Boateng. Das war das größte Jahr in der über 120-jährigen Klubhistorie. Was dieses Team in diesem Jahr geschafft hat, stellt selbst die glorreichen 70er Jahre oder das Triple von Jupp Heynckes in den Schatten. Sowas gab es selbst in München noch nie.

Das Geheimnis dieses Erfolges liegt in meinen Augen in der Harmonie, dem Zusammenhalt, der Ruhe und dem Umgang von Hansi Flick mit seinen Spielern. So wie Hansi diese Mannschaft angefasst hat, ist das noch keinem Trainer in München gelungen. Das Erstaunlichste ist, dass er das in nur einem Jahr geschafft hat. Darum ärgert es mich immer noch, dass er nicht zum Welttrainer gewählt worden ist. Nach fünf Titeln, unzähligen Rekorden und herrlich anzuschauendem Fußball, hätte er es genauso verdient gehabt wie Robert Lewandowski und Manuel Neuer. Für mich war er der beste Trainer der Welt in diesem Jahr.

Ich kenne diesen Verein schon seit sehr vielen Jahren. Abgesehen von dem, was der Cheftrainer aufs Feld hat zaubern lassen, ist es genauso beeindruckend, wie ruhig und harmonisch es rund um die Säbener Straße 57 geworden ist. Auch wenn es wie bei David Alaba, Boateng, Neuer oder Alexander Nübel bei Vertragsverhandlungen nicht nur reibungslos verlief, haben es Flick und der Verein öffentlich beeindruckend moderiert. Mit einer solchen Souveränität und so viel Fingerspitzengefühl. Einfach nur großartig.

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Sky Experte Lothar Matthäus und Michael Ballack erklären die Siegermentalität des FC Bayern. (Video: 02:28 Minuten)

2. Unsere Liga - ein Vorbild für die ganze Welt

Zwei Dinge schienen zu Beginn der Pandemie ziemlich ausgeschlossen. Dass zum einen schnell wieder gespielt werden kann und dass es dann zum anderen auch noch tollen Fußball zu bestaunen gibt. Beides haben wir in Deutschland mit unserer Bundesliga geschafft und dafür hat uns die ganze Welt bewundert. Es war so ähnlich wie 2006, als Franz Beckenbauer die Weltmeisterschaft in unsere Stadien brachte.

Was die Vereine, die Politik und die DFL mit Christian Seifert an der Spitze hier geleistet haben, ist sensationell. Das Hygienekonzept, die Organisation und Disziplin bei allen Beteiligten, grandios. Und auch wenn es immer noch nicht so schön ist, den Spielern zuzuschauen, ohne diese besondere Energie der Fans vor Ort, so muss ich trotzdem sagen, dass es mittlerweile trotzdem Spaß macht, überhaupt Bundesliga-Fußball genießen zu dürfen. Und nicht nur das. Auch die Qualität hat mich überrascht.

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Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt auf skysport.de

Die Spiele waren spannend und qualitativ auf höchstem Niveau. Es sind eine Menge Tore gefallen und es gab viele Highlights wie zum Beispiel das 3:3 zwischen den Bayern und RB Leipzig. Wie stark die Bundesliga ist, hat man nicht zuletzt in den europäischen Wettbewerben gesehen, in denen sich seit langer Zeit wieder all unsere Klubs eindrucksvoll für das Achtelfinale qualifiziert haben.

Was mich sehr gewundert hat, ist der Fakt, dass die Fans den Heimmannschaften offensichtlich doch mehr fehlen als gedacht. Viele Auswärtssiege waren zu bestaunen, die mit dem eigenen Publikum im Rücken so eher nicht zustande gekommen wären. Wie wir alle hoffe ich natürlich auf eine schnelle Besserung der gesamten Lage und damit auch der Rückkehr von Fans in die Stadien. Freuen können wir uns aber auch so auf die nächsten Spieltage in unserer wundervollen Bundesliga.

3. Schalke 04 - der Flop des Jahres

Berlin, Hoffenheim, Frankfurt und dann haben sie es geschafft. Dann hat auch der FC Schalke 04 endlich wieder einen Rekord. Und zwar den der meisten sieglosen Spiele der Geschichte in der Bundesliga. Das hat immerhin seit 55 Jahren keiner geschafft. Spätestens seit der 0:1-Heimniederlage gegen Arminia Bielefeld ist klar. Das war ein Jahr nach dem Motto: Pleiten, Pech und Pannen.

Alles, aber auch wirklich alles, was man falsch machen kann, hat dieser Klub 2020 falsch gemacht. Bis auf dieses eine Spiel vor langer, langer Zeit. Wie kann man am 17. Januar Borussia Mönchengladbach mit 2:0 besiegen und dann 29 Mal in Folge nicht gewinnen? Das ist nicht mehr das Schalke, wie man es kennt. In jedem Bereich wurden Fehlentscheidungen en masse getroffen. Von der miserablen Kaderplanung schon unter Christian Heidel, jedoch in ähnlicher Tradition von Jochen Schneider fortgeführt. Trainer, bei denen man schon erahnen konnte, dass sie diesen schweren Job nicht im Kreuz haben. Eigengewächse, denen man im Gegensatz zu früher kaum vertraut. Suspendierungen, die kurze Zeit später wieder einkassiert wurden. Der skandalträchtige Rücktritt von Clemens Tönnies. Die Liste ist endlos.

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Die Highlights von der Vorstellungs-Pressekonferenz von dem neuen Schalke-Trainer Christian Gross (Videolänge: 2:50 Minuten)

Nun soll es also Christian Gross richten. Ein Trainer, den Schneider aus Stuttgarter Zeiten kennt und ihm diesen Job zutraut. Ich habe mich ein wenig gewundert, da Gross schon länger nicht mehr in der Bundesliga tätig war. Das muss aber nichts heißen. Gross kann mit Schalke jetzt Geschichte schreiben. Er muss es schaffen, den Spielern klar zu machen, dass sie nur einen Job haben und der ist dank der womöglichen Schwache anderer Teams, alles andere als utopisch. Alles, was sie zu tun haben, ist zwei Teams hinter sich zu lassen. Das dürften vor allem Mainz und Bielefeld sein und eventuell Köln.

Ja, sie haben nur vier Punkte. Aber mit einer Serie von drei, vier Siegen wären sie unten raus. Gleichzeitig müssen sie hoffen, dass die anderen nicht plötzlich auch gewinnen. Schalke ist der Flop des Jahres 2020, das kann ich ihnen leider nicht ersparen. Aber ich wünsche diesem Klub von Herzen, dass sie das fußballerische und für sie auch wirtschaftliche Wunder schaffen und in der Liga bleiben.

4. Die Dortmunder Achterbahn-Fahrt

Es war klar, dass Lucien Favre zum Saisonende gehen muss. Heimniederlagen gegen Köln und Stuttgart haben nur dazu geführt, dass es schneller ging. Spätestens die Interviews von Mats Hummels und Marco Reus nach dem Spiel in Bremen haben mir gezeigt, dass auch die Schwergewichte der Mannschaft niemals so hinter dem Trainer standen, wie sie es uns oftmals glauben lassen wollten. Rückendeckung der Führungsetage sieht natürlich auch anders aus, als es im Fall Favre war.

Edin Terzic ist die Übergangslösung, da lege ich mich fest. Viele Spatzen pfeifen von den Dächern, dass Marco Rose zur neuen Saison im Signal Iduna Park den Ton angibt und ich pfeife mit. Gut möglich, dass man beim BVB auch noch von Nagelsmann träumt, aber wenn schon so viel wie bei Rose durchgesickert ist, dann steht das Ende meistens bereits fest. Tuchel ist ja auch wieder zu haben, aber der wird es mit Sicherheit nicht. Bei ihm war es ähnlich wie bei Favre. Es war klar, dass es die letzte Saison ist und dann reicht ein Fehler, um die Reißleine zu ziehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Thomas in den nächsten sechs Monaten bei einem Verein in England aufschlagen wird, der seine hoch gesteckten Ziele nicht erreicht hat. In der Liga gibt es aktuell sonst kaum einen Verein für Tuchel, auch weil die Bayern keinen Trainer brauchen.

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Gladbach-Sportdirektor Max Eberl hat am Sky Mikrofon über das vermeintliche Interesse von Borussia Dortmund an Marco Rose gesprochen (Dauer: 47 Sek.).

Auch wenn das Leben mit und neben Max Eberl in Gladbach höchstwahrscheinlich angenehmer und harmonischer als in Dortmund ist, so wird die Strahlkraft, die Ambition und ein vielfach höherer Etat Rose reizen. Und Eberl wird den nächsten Top-Trainer aus dem Hut zaubern und möglicherweise wieder in Salzburg fündig werden.

Die Dortmunder waren viel zu schwankend. Auf tolle Siege folgten meist unerklärliche Niederlagen gegen kleinere Teams. Auch das Weiterkommen in der Champions League war keine riesen Leistung. Man hat selbst den direkten Vergleich gegen Lazio Rom nicht gewonnen und St. Petersburg oder Brügge darf man dann auch schon mal schlagen. Ich denke, bei der großen Konkurrenz, die aktuell an der Liga-Spitze herrscht, würden die BVB-Bosse Stand jetzt einen vierten Platz unterschreiben.

5. Tollhaus DFB

0:6 gegen Spanien. Ein Bundestrainer, der selbst nach solchen Blamagen nur dann spricht, wenn er es für richtig hält und eine Führungsspitze, die eher an den Kölner Klüngel als an den größten Sportverband der Welt erinnert. Das war der DFB 2020.

Vetternwirtschaft, Selbstanzeigen, Razzien und Fußball zum Wegschauen haben dafür gesorgt, dass sich die Fans von Team und Trainer extrem distanziert haben. Helfen kann hier nur noch ein Radikalschnitt. Ich kann nur hoffen, dass wir trotz der ganzen Querelen, Streitigkeiten und fußballerischen Minusleistungen bis zum nächsten Turnier ein richtiges Team sind und ein tolles Ergebnis bei der EM erzielen. Glauben kann ich es noch nicht. Viele Dinge sind für den Anhänger unserer Nationalmannschaft schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar.

Dass nach der höchsten Niederlage seit 90 Jahren der Manager die sportlichen Dinge noch vor dem Bundestrainer erklärt. Dass der U21-Trainer eine Bundesliga-Partie besucht, Jogi Löw seine Spieler aber in Freiburg via Sky sieht. Da bekommt er zwar beste Qualität ins Wohnzimmer. Glaubwürdigkeit sieht trotzdem anders aus. Dass man uns wirklich verkaufen will, die Mannschaft hätte ihre Ziele erreicht, weil sie sich souverän qualifiziert habe und dergleichen mehr. Ich finde, wir haben in den letzten Jahren überhaupt kein Ziel erreicht. Es zur Euro zu schaffen, wenn in der Gruppe Nordirland, Weißrussland und Estland sind, wäre früher nicht einmal als Ziel definiert worden. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

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Von all den teilnahmeberechtigten Nationen schaffen es mittlerweile fast 50 Prozent zu einer Europameisterschaft, wenn man die ganz kleinen Fußball-Nationen außen vor lässt. Wir haben Führungen gegen Länder hergegeben, die im Normalfall chancenlos gegen uns sein müssten und eine Handschrift des Trainers ist seit längerer Zeit auch nicht mehr zu erkennen. Es muss sich etwas Grundlegendes ändern beim DFB, damit wir uns auf unser ehemals liebstes Kind wieder so richtig freuen können.

Ihnen allen einen gesunden und guten Rutsch ins neue Jahr.

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