Julian Pollersbeck stand beim Hamburger SV bereits auf dem Abstellgleis. Nun könnte er im Aufstiegskampf plötzlich zum Hoffnungsträger der Rothosen avancieren.
Neuer Torwart, neues Glück! Das wird sich wohl Dieter Hecking vor dem Heimspiel gegen den SV Wehen Wiesbaden gedacht haben. Der HSV-Trainer sorgte mit einer Personalie für eine faustdicke Überraschung: Julian Pollersbeck! Der 25-Jährige durfte nach über einem Jahr wieder den HSV-Kasten hüten.
Hecking begründet Torwartwechsel
"Ich hatte auch da, wie auf anderen Positionen den Eindruck, dass wir einen frischen, unverbrauchten Torhüter für dieses Spiel brauchen. Von daher ist das für mich eine ganz normale Maßnahme gewesen", begründete Hecking nach dem 3:2-Sieg den Torwartwechsel.
Leidtragender in dieser Situation: Daniel Heuer Fernandes. Der Neuzugang aus Darmstadt absolvierte zuvor alle 28 Zweitligaspiele in der laufenden Saison über 90 Minuten. Gegen Wiesbaden stand er nicht einmal mehr im Kader.
Dafür durfte Pollersbeck von Anfang an ran. Bemerkenswert, dass Hecking nicht auf seine Nummer zwei Tom Mickel baute, sondern eben Pollersbeck in den Kasten stellte. Die eigentliche Nummer drei war in dieser Saison bislang nur in der Regionalliga-Mannschaft zum Einsatz gekommen. Sein letztes Zweitligaspiel für den HSV absolvierte er am 4. Mai 2019 gegen den FC Ingolstadt.
Pollersbeck hält HSV im Spiel
Pollersbeck machte sich bei seinem Comeback gegen Wiesbaden gut. Er musste zwar zweimal hinter sich greifen, war allerdings bei beiden Toren von Wiesbadens Top-Torjäger Schäffler machtlos. Als das Spiel beim Stand von 2:2 auf der Kippe stand, bewahrte er die Hamburger mit einer starken Parade gegen Wiesbadens Ajani sogar vor dem Rückstand.
Mit diesem sehr soliden Auftritt dürfte sich Pollersbeck nicht nur für weitere Startelfeinsätze empfohlen haben, er könnte auch auf den einst eingeschlagenen Weg zurückkehren. Pollersbeck galt vor seinem Wechsel an die Elbe als vielversprechendes Torwart-Talent und stammt aus der berühmten Gerry-Ehrmann-Schule aus Kaiserslautern. "Gerrys Flugschule" brachte so klangvolle Namen wie Roman Weidenfeller, Kevin Trapp oder Tim Wiese hervor.
U21 EM 2017: Pollersbecks Durchbruch
2013 kam Pollersbeck aus Burghausen zum 1. FC Kaiserslautern, überregionale Aufmerksamkeit erreichte er nach dem Halbfinale bei der U21-Europameisterschaft 2017. Im Elfmeterschießen gegen England avancierte er mit zwei gehaltenen Elfmetern zum Helden.
Nach einem 1:0 im Finale gegen Spanien holte Deutschland den Titel. Der HSV hatte die Gunst der Stunde erkannt und sich bereits während des Turniers die Dienste des 1,95-Meter-Hünen gesichert. Die Erwartungen waren groß. Oliver Kahn brachte Pollersbeck bereits als Nachfolger für Manuel Neuer und Marc-Andre ter Stegen ins Gespräch.
Kahn adelt Pollersbeck
"Ich sehe im Moment hinter Neuer und ter Stegen nicht das absolute junge Ausnahmetalent, das schon Spielpraxis auf hohem Niveau sammelt. Wir haben anscheinend keinen wie Gianluigi Donnarumma in Italien. Der vielversprechendste, Julian Pollersbeck, spielt mit dem HSV in der 2. Liga", so das heutige Vorstandsmitglied des FC Bayern im Oktober 2018 im Kicker.
So richtig durchsetzen konnte sich Pollersbeck beim HSV aber bislang nicht. In seiner ersten Saison 2017/18 stand er zehnmal in der Bundesliga auf dem Platz. In der ersten Zweitligaspielzeit der Hamburger absolvierte Pollersbeck 31 Spiele, eben bis zu jenem 4. Mai 2019.
Wechsel kommt nicht zu Stande
Vor der Saison 2019/20 schien das Aus des früheren Lauterers bei den Rothosen bereits besiegelt. Klubs wie der FC Porto oder Red Bull Salzburg sollen Interesse gezeigt haben, zu einem Wechsel kam es aber nicht. So blieb Pollersbeck keine andere Möglichkeit, als sich über die Regionalliga-Mannschaft wieder hochzuarbeiten.
Jens Todt, der Pollersbeck 2017 zum HSV holte, hat ihm die Rückkehr in den Kasten zugetraut. "Ganz so überraschend war es für mich nicht. Polle hat im vergangenen Jahr sehr hart gearbeitet. Ich weiß, dass er im Training in einer guten Verfassung war", so der Ex-Sportdirektor der Norddeutschen beim Hamburger Abendblatt.
Steht Pollersbeck auch im Heimspiel gegen Holstein Kiel (Montag, 08.06., LIVE & EXKLUSIV ab 20:30 Uhr auf Sky Sport Bundesliga 1 HD) wieder im Kasten? Darauf wollte sich Hecking noch nicht festlegen. "Für heute war das die Aufstellung. Gegen Kiel gucken wir wieder", erklärte der Coach nach dem Wiesbaden-Spiel.
Setzt der Trainer weiter auf den 25-Jährigen und sollte sich dieser als aufstiegsentscheidend in den letzten fünf Spielen erweisen, sollte sich der HSV so langsam Gedanken über Pollersbecks Zukunft machen. Sein Vertrag läuft 2021 aus. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Hamburger so manches Talent wie beispielsweise Kerem Demirbay zu früh haben ziehen lassen.