Die Teams aus der Serie A sind in der laufenden Saison so erfolgreich wie schon lange nicht mehr. Wie lässt sich der Aufschwung des italienischen Fußballs erklären - und wie nachhaltig ist er?
Diego Milito, Samuel Eto'o und Javier Zanetti. Paolo Maldini, Andrea Pirlo und Kaka. Die Namen könnten viel größer nicht sein, wirft man einen Blick auf die letzten Siege der Mailänder Klubs in der Champions League - 2007 gewann der AC Mailand zuletzt die europäische Königsklasse, 2010 konnte Inter das letzte Mal den Henkelpott in die Höhe stemmen. Am Mittwoch treffen die beiden Vereine im prestigeträchtigen Derby della Madonnia im Halbfinale aufeinander. Bis heute ist Mailand die einzige Stadt, aus der zwei Champions-League-Sieger kommen.
Sieben italienische Vereine in europäischen Wettbewerben
Lange Jahre waren die italienischen Teams Stammgast im CL-Finale. Die Zeiten, in denen der italienische Fußball das Nonplusultra war, lagen lange zurück - nun scheint sich eine Kehrtwende anzudeuten.
In der aktuellen Spielzeit sind die italienischen Klubs insgesamt und insbesondere die Mailänder Vereine so nahe an der Weltklasse wie schon lange nicht mehr. Nach 17 Jahren standen wieder drei italienische Mannschaften im Viertelfinale der Champions-League, im Halbfinale sind es noch zwei, eine wird in jedem Fall das Finale erreichen. Mit Juventus Turin und der AS Rom stehen außerdem zwei italienische Klubs im Halbfinale der Europa-League, in der Conference League rechnet sich der AC Florenz Chancen unter den letzten Vier aus. Fünf Teams aus Italien stehen insgesamt in den Halbfinals - so viele wie aus keinem anderen Land.
Vier verschiedene Meister in vier Jahren
Wie lässt sich diese seismische Verschiebung der europäischen Fußball-Landschaft erklären? Lange Zeit vegetierte die Serie A vor sich hin, Juventus Turin gewann neun Mal in Folge den Scudetto und war auch auf dem internationalen Parkett die einzige italienische Mannschaft, die regelmäßig zum Tanz bat. Verhältnisse wie in der Bundesliga.
Doch Konkurrenz belebt das Geschäft. Mit dem Gewinn der Meisterschaft von Inter Mailand 2021 war das Ende der turinischen Vorherrschaft besiegelt, es folgten eine Meisterschaft der Rossoneri und nun von Napoli. Die Serie A ist damit die einzige der europäischen Topligen, die in den letzten vier Jahren vier verschiedene Meister hervorbrachte. Eine neu gewonnene Rivalität, die die ligainterne Konkurrenz zu beflügeln und auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit abzufärben scheint.
Neuer offensiver Fokus statt defensiver Starrheit
Italien stand im fußballerischen Kontext seit jeher für beinharte Defensivleistungen. Von Catenaccio bis Cannavaro - die Verteidigung war stets Wesensmerkmal der italienischen Top-Mannschaften. Auffallend ist, dass gerade jetzt Calcio-Teams dominieren, die vor allem mit begeisternden Offensiv-Auftritten faszinieren. Weder Inter noch AC gelten hinten als unüberwindbar, überzeugen aber vor allem mit ihren offensiven Linien. Insbesondere Napoli spielt einen alles andere als italienischen Überfall-Fußball.
Talentsuche und Transfercoups - Richtungswechsel bei Transferpolitik
Auch auf der Management-Ebene lässt sich ein Systemwechsel erkennen. Gerade in den nicht in Turin ansässigen Vereinen sucht man vermehrt nach Spielern mit Potenzial - und nicht zwangsläufig ausschließlich nach den großen Namen: Victor Osimhen, Khvicha Kvaratshkelia, Rafael Leao oder Lautaro Martinez. Sie alle sind Spieler, die ohne den ganz großen Erfolg - und vor allem ohne horrende Ablösesummen - nach Italien wechselten und dort zu Weltklasse-Spieler reiften. Eine Mischung aus eigener Talentförderung und klugem Scouting legen in Italien den Grundstein für geschlossene Mannschaftsleistungen.
Rudi Völler zum Erfolg der italienischen Klubs: "Das wird sich nicht wiederholen"
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Calcio in dieser Saison von der Schwäche der Mitstreiter profitiert. Gerade die englische Konkurrenz durchlaufe in Form von Chelsea und Liverpool derzeit ein sportliches Tief, wovon die Klubs der Serie A profitieren, wie DFB-Sportdirektor Rudi Völler gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger befindet: "Das waren günstige Umstände. Das wird sich nicht so wiederholen."
Neben König Fußball regiert bekanntermaßen vor allem Geld die Welt. Die ökonomische Kluft zur Premier League ist weiterhin eklatant, einige Aushängeschilder der italienischen Vereine stehen bei finanzstärkeren europäischen Klubs bereits auf der Einkaufsliste. Die italienische Liga rangiert im Umsatz hinter England, Spanien und Deutschland nur auf Platz vier im Umsatz-Ranking. Wer in der Serie A reüssiert, wechselt nicht selten zu potenteren Mitstreitern aus dem Ausland. Das wird am Ende dieser Saison nicht anders sein. Nicht nur Neapel droht ein Ausverkauf.
Ob die Renaissance der italienischen Vereine tatsächlich von Dauer sein wird und nicht nur ein temporäres Aufbäumen ist, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nur schwer bewerten. Der aktuelle Erfolg der Serie A steht auf wackligen Beinen. Die Auftritte in den UEFA-Halbfinals werden ein erster Richtungsweiser sein.