Dennis Seidenberg hat 2011 mit den Boston Bruins den Stanley Cup gewonnen. Im Exklusiv-Interview mit Sky Sport äußert sich der Ex-Profi zum sportlichen Geschehen in der NHL sowie zum Corona-Chaos. Zudem lobt Seidenberg Leon Draisaitl und blickt auf die deutschen Chancen bei Olympia.
Dennis Seidenberg, der 2019 offiziell seine aktive Karriere im Trikot der New York Islanders beendete, kam 2002 in die NHL. Dort spielte er für insgesamt sechs verschiedene Teams.
Neben den Islanders lief der gebürtige Badener auch für die Philadelphia Flyers, Phoenix Coyotes, Carolina Hurricanes, Florida Panthers und Boston Bruins auf. Mit den Bruins holte er 2011 den Stanley Cup. In der DEL spiele der Verteidiger ausschließlich für die Adler Mannheim und wurde 2001 Deutscher Meister.
Heute wohnt der 40-Jährige mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern in New York und arbeitet im Trainerstab der Islanders mit verletzten Spielern zusammen.
Skysport.de: Herr Seidenberg, die Islanders stehen nach 26 Spielen mit 22 Punkten nur auf Platz 14 der Eastern Conference. Wie bewerten Sie die bisherige Saison aus sportlicher Sicht?
Dennis Seidenberg: "Das Team ist mit hohen Erwartungen in die Saison gegangen. Der Saisonbeginn war schwer mit insgesamt 13 Auswärtsspielen hintereinander. Dazu kam viele Corona erkrankte Spieler, teilweise stand die Hälfte der Mannschaft nicht zur Verfügung. Alles zusammen hat natürlich nicht dabei geholfen, Siege einzufahren. Die Islanders stehen daher nun weit unten, aber in den letzten sechs, sieben Spielen hat das Team deutlich besser gespielt. Wenn man jetzt nach vorne schaut, wird es allerdings schwer, diesen Rückstand aufzuholen und noch in die Playoffs zu kommen."
Skysport.de: Wie realistisch ist es denn noch, die Playoffs zu erreichen?
Seidenberg: "Die Chance ist auf jeden Fall noch da. Die Frage ist nur, ob sie es schaffen, noch so konstant zu spielen, wie sie jetzt müssen. Das wird sehr schwer, gerade in der schweren Metropolitan Division. Jetzt müssen wir richtig hart arbeiten und viele Punkte einsammeln in den kommenden Spielen."
Skysport.de: Die Islanders sind in den vergangenen beiden Jahren jeweils knapp im Finale der Eastern Conference gegen Tampa Bay gescheitert. Wie realistisch ist ein Gewinn des Stanley Cups in naher Zukunft?
Seidenberg: "Wenn man sich die Mannschaft heute, nach dem bisherigen Saisonverlauf anschaut, dann natürlich nicht so gut. Aber wir wissen, was für ein Potenzial in der Mannschaft steckt und was diese Jungs leisten können. Sie müssen jetzt das Ruder herumreißen, eine Siegesserie starten und wieder an die Playoff-Plätze herankommen. Wenn du es dann einmal in die Playoffs schaffst, dann ist dort alles möglich. Dort brauchst du dann auch das Quäntchen Glück, um weiterzukommen und dann kommt der Schneeball ins Rollen, dann könnte das schon klappen. Aber natürlich wird das schwer."
Skysport.de: Seit Ende November ist die neue Heimspielstätte, die UBS Arena fertig. Was bedeutet der Umzug von Brooklyn nach Long Island für die gesamte Organisation und die Islanders-Fanbase?
Seidenberg: "In Brooklyn hatten wir ein schönes Stadion, aber es war nicht wirklich für Eishockey ausgerichtet. Die meisten unserer Fans sind aus Long Island und jetzt hier die neue Arena zu haben, das freut die Fans natürlich umso mehr. Kürzere Anreise, brandneues Stadion: Das genießt die Fanbase natürlich. Im Stadion an sich ist alles vom feinsten, jetzt fehlen nur noch die Siege."
Skysport.de: Kann dieser Umzug eine Euphorie-Welle auslösen?
Seidenberg: "Manche sprechen derzeit noch von einem Fluch, dass wir bisher zu Hause kaum ein Spiel gewonnen haben. Aber es ist ja alles noch relativ neu und es kann durchaus noch kommen, dass noch eine verspätete Euphorie-Welle ausgelöst wird."
Skysport.de: Der NHL-Spielplan wird immer wieder von Corona-Absagen durcheinandergewirbelt. Wie nehmen Sie diese Entwicklung vor Ort wahr?
Seidenberg: "Es war leider zu erwarten, dass es in dieser Saison zu Spielausfällen kommen wird. Dass es sich aber in diesem Ausmaß auch durch alle großen US-Profiligen ziehen wird, das habe ich auch nicht gedacht. Wenn wir die Saison durchziehen wollen, müssen wir diese Herausforderungen annehmen und versuchen das Beste daraus machen. Alle Mannschaften sitzen dabei im selben Boot, wir versuchen alle gesund zu bleiben. Soweit so gut kann man wahrlich nicht sagen, aber die NHL tut wirklich ihr Bestes."
Skysport.de: Haben Sie Sorgen, dass die Saison doch irgendwann abgebrochen werden könnte?
Seidenberg: "Davon hat noch keiner geredet und ich denke, zu einem Abbruch wird es auch nicht kommen. Es besteht auch die Möglichkeit, die Saison noch ein wenig nach hinten zu verschieben, Olympia wurde ja bereits für die NHL-Profis abgesagt, sodass wir zwei Wochen, wo wir eigentlich Pause hätten, jetzt gewonnen haben, um Spiele auszutragen. Es sind viele Spieler zwar an Corona erkrankt, aber Gott sei Dank sind die meisten Krankheitsverläufe deutlich milder als noch im vergangenen Jahr. Es gibt auch neue Corona-Regeln. Man muss zum Beispiel nicht mehr in Quarantäne, wenn man geboostert ist, sondern nur mit Maske herumlaufen. Wenn Corona infizierte asymptomatisch sind, dann müssen sie sich nur noch fünf statt zehn Tage in Isolation begeben."
Skysport.de: Wie sieht es aktuell bei den Islanders mit Corona-Fällen aus?
Seidenberg: "Aktuell sieht es leider wieder nicht so gut aus. Wir haben sechs, sieben betroffene Spieler, zwei kommen jetzt wieder vom Corona-Protokoll runter, aber dann fehlen immer noch vier, fünf Spieler. Uns hat es leider ganz schön schwer erwischt in den vergangenen Wochen. Hoffentlich werden sich alle gut erholen und bald wieder zur Mannschaft stoßen können."
Skysport.de: Kommen wir zum sportlichen Geschehen in der NHL zurück. Welche Teams sehen Sie als Favoriten auf den Gewinn des Stanley Cups?
Seidenberg: "Im Osten ist Tampa Bay wie immer sehr stark, auch Washington ist sehr gut. Dazu haben Florida und Carolina sehr gute Mannschaften. Toronto hat auch gut Chancen, die Rangers sind sehr stark unterwegs dieses Jahr. Da gibt es mehr als eine Handvoll Teams, die die Chance haben, weit zu kommen und sehr gutes Eishockey spielen. Im Westen sind es die Calgary Flames, dazu die Edmonton Oilers, die sind immer brandgefährlich. Da ist es sehr schwer einen Favoriten zu wählen. Da hat fast die Hälfte der Liga zumindest eine Chance, weit in den Playoffs zu kommen."
Skysport.de: Jetzt haben Sie die Oilers bereits angesprochen, eine gute Überleitung zu Leon Draisaitl. Was sagen Sie zu seinen Auftritten in der bisherigen Saison?
Seidenberg: "Die Leistungen, die er bringt, sind unglaublich. Er besitzt einfach eine Nase fürs Toreschießen. Dazu seine Übersicht, das ist eine der besten auf dieser Welt. Aus deutscher Sicht ist das natürlich super, so einen tollen Spieler in der NHL zu haben. Leon trägt die Mannschaft zusammen mit Connor McDavid. Diese zwei sind absolute Superstars und es ist jedes Mal ein richtiges Highlight, diese beiden spielen zu sehen."
Skysport.de: Wie fällt ihr Zwischenfazit zu den bisherigen Saisonleistungen der weiteren deutschen Spieler in der NHL aus?
Seidenberg: "Moritz Seider hat in Detroit eine sehr gute Saison bislang gespielt und hat im Oktober völlig zurecht den 'Rookie des Monats Award' gewonnen. Er spielt super, bekommt viel Eiszeit und hat das Vertrauen der Trainer. Es ist sehr beeindruckend, wie er in die NHL gekommen ist und Spiel für Spiel seine Leistung zeigt. Philipp Grubauer hat es in Seattle dieses Jahr natürlich deutlich schwieriger, die Mannschaft ist nicht so gut wie die von Colorado aus der vergangenen Saison, wo er dort noch gespielt hat. Aber auch wenn er einen höheren Schnitt an Gegentoren pro Spiel hat, kann man nicht sagen, dass er jetzt schlechter spielt. Es liegt an der Qualität der Mannschaft, dass er einfach mehr Chancen gegen sich bekommt und daher auch mehr Tore kassiert. Thomas Greiss habe ich in Detroit noch nicht so viel Spielen sehen, kenne daher auch seine Statistiken nicht. Tim Stützle agiert in Ottawa weiterhin sehr explosiv. Ich glaube, dass sich viele Mannschaften aber besser auf ihn eingestellt haben und er daher nicht mehr so viele Tore schießt wie noch in der Vorsaison. Es ist immer so, dass die Spieler nicht so sehr auf einen Neuen achten. Aber dieses Jahr kennen sie ihn alle und wissen, wenn er auf dem Eis steht. Dann haben wir noch John-Jason Peterka, der bei den Buffalo Sabres vor seinem Debüt steht. Ich glaube, dass er sich dort gut schlagen und viel Spaß in dieser jungen Mannschaft haben wird. Und von Nico Sturm sehe ich kaum etwas, weil er in der Western Conference in Minnesota spielt. Ich weiß, dass die Islanders auch an ihm dran waren, aber er hat sich dann für Minnesota entschieden."
Skysport.de: Die eben angesprochen Spieler werden allesamt der deutschen Mannschaft aufgrund der NHL-Absage für Olympia in Peking fehlen. Wie schätzen Sie die Chancen des deutschen Teams dort im Februar ein?
Seidenberg: "Ich glaube, dass wir dort eine gute Chance haben ins Viertelfinale zu kommen. Was dann passiert, ist immer auch ein bisschen Glückssache. Und dann kann da durchaus etwas Gutes passieren. Aber erst einmal sollten wir schauen, dass wir ins Viertelfinale kommen. Aber warum soll uns das in diesem Jahr nicht gelingen?! Die NHL-Spieler sind nicht dabei, das heißt, der Wettbewerb ist eher auf einem Level. Kanada oder auch den USA fehlen viele Spieler, sodass wir gute Chancen haben, dort gutes Eishockey zu spielen und weit zu kommen. Natürlich fehlen uns auch Leon Draisaitl, Moritz Seider oder Tim Stützle. Aber die US-Amerikaner und auch die Kanadier haben eine deutlich breitere Auswahl als wir nach den Superstars in der zweiten Reihe und die wird auch in Peking fehlen. Das ist dann schon ein Vorteil für uns."
Skysport.de: Abschließend eine Frage noch zu Ihrer Person. Sie haben 2019 Ihre aktive Karriere beendet. Wie sieht das Leben von Dennis Seidenberg heutzutage aus und welche Zukunftspläne haben Sie?
Seidenberg: "Wenn ich schon Zukunftspläne hätte, dann wäre das sehr schön, aber ich bin mir da immer noch nicht sicher. Ich weiß, dass ich viel Zeit mit meinen Kindern verbringen will, bin auch Co-Trainer bei meinem Sohn im Team. Er spielt in der U10 bei den Junior Islanders und es macht einfach Spaß ihm zuzuschauen und zu sehen, wie er sich verbessert und wie er wächst. Bei den Profis bin ich nach wie vor bei den Islanders als Trainer in der Reha engagiert und führe die verletzten Spieler zurück ans Training heran. Das ist eine kleine Aufgabe, die ich dort habe, aber das passt mir zurzeit recht gut so. Der Nachmittag steht dann schon im Zeichen meiner Kinder, meine Tochter fahre ich zum Beispiel zum Turnen oder halt meinen Sohn zum Eishockey. Aber mit Blick in die Zukunft würde ich schon gerne noch etwas anderes machen, ohne jetzt bereits zu wissen, was dies sein wird. Etwas anderes, was mich dann noch mehr beschäftigen wird, wenn die Kinder dann mal älter sind."
Das Interview mit Dennis Seidenberg führte Peer Kuni