Felix Magath ist ein Kind der Bundesliga und weiß ganz genau, wie man im Fußball erfolgreich ist. Auf skysport.de spricht er über das Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der WM, woran es in der Ausbildung hakt, Oliver Bierhoff und Lionel Messi.
Felix Magath hat in seiner Karriere selbst fast alles erlebt. Zuletzt hat er Hertha BSC vor dem Abstieg gerettet. Mit dem FC Bayern hat er zweimal das Double gewonnen, zudem wurde er 2009 Sensations-Meister mit dem VfL Wolfsburg. Als Profi gewann er die Deutsche Meisterschaft und den Europapokal mit dem HSV und wurde Europameister mit Deutschland. Bereits in Teil eins des Interviews sprach er mit Sky Sport unter anderem über Manuel Neuer, Alexander Nübel, den FC Schalke 04 und den HSV.
Skysport.de: Herr Magath, ist Argentinien verdient Weltmeister geworden?
Magath: "Wer am Ende oben steht, hat es immer verdient. Ich kann mich an keine WM erinnern, bei der es einer Mannschaft gelungen wäre, alle sieben Spiele souverän und glanzvoll zu bestreiten. Ein wenig Glück auf dem Weg zum Thron war stets mit von der Partie und so auch dieses Mal. Aber sie sind zurecht Weltmeister. Es waren zwei Top-Mannschaften im Endspiel und wie so oft hätte es auch anders ausgehen können. Ein dummes Foul von Dembele im Strafraum hat Argentinien auf die Siegerstraße gebracht. Spieler, die im Grunde nicht verteidigen wollen und können, sollten es am besten nie tun.
Skysport.de: Ist Messi nun endgültig der beste Fußballer aller Zeiten?
Magath: "Das ist eine Spielerei der Journalisten und Fans. Heißt es nicht immer, es sei ein Mannschaftssport? Ich habe als Trainer immer versucht dagegenzuwirken. Es ist die Mannschaft als solche, die im Mittelpunkt stehen muss. Wieso ist Argentinien mit Messi Weltmeister geworden?
Skysport.de: Sagen Sie es uns…
Magath: "Weil sie ihn so akzeptiert haben, wie er ist. Er durfte sich auf seine Ballaktionen konzentrieren. Er bekam mit dem Ball seine Freiheiten. Da ist er außergewöhnlich und hat die Spiele dann auch oft entschieden. Die Mannschaft hat ihn unterstützt und ohne sie wäre er jetzt nicht dort, wo er ist. Das ist die große Kunst."
Skysport.de: Konnten Sie bei der WM fußballerische Trends entdecken?
Magath: "Ich bin keiner, der schnell jubelt. Aus meiner Sicht ist die Mentalität einer Mannschaft das Wichtigste. Und somit sind wir bei den Marokkanern. Sie haben mit Sicherheit nicht die Qualität, die viele andere Teams hatten. Aber alle haben für das Team gespielt, Einsatz und Wille ohne Ende gezeigt. Zusammenhalt, Laufbereitschaft, Kampf. Wer gut verteidigt hat, war bei dieser WM erfolgreich. Das ist bei ihnen im Haus sicher nicht anders."
Skysport.de: Wie meine Sie das?
Magath: "Wenn sie in ihrem Job ein nettes und freundliches Gesicht haben, dann bringt ihnen das möglicherweise einen Pluspunkt. Aber nicht mehr. Sie müssen sich durch Qualität durchsetzen. Und das ist im Sport, bei dem es auch noch einen Gegner gibt, der gewinnen will, viel extremer. Man muss sich durchsetzen wollen, koste es, was es wolle."
Skysport.de: Wieso ist die Deutsche Nationalmannschaft so früh ausgeschieden?
Magath: "Der Manager der Berliner Handball-Füchse hat es so großartig ausgedrückt, dass ich es gar nicht besser kann. Seiner Kritik ist fast nichts hinzuzufügen. Wir haben uns in unserem Land in Bezug auf den Fußball der Taktik völlig hingegeben. Deutschland hat gegen Japan oder Costa Rica ohne jede Leidenschaft agiert. Jeder sieht es, aber keiner sagt es. Und das ist schon seit längerem der Fall. Wir hätten auch Weltmeister werden können, aber eben nicht so. Wir sind einer extremen taktischen Orientierung verfallen, die eine individuelle Kreativität im Keim erstickt und den Anflug von Leidenschaft unterdrückt. Das wird unseren Spielern leider schon in der Jugend anerzogen. Schauen sie sich den Kai Havertz an…
Skysport.de: Ein toller Fußball-Spieler…
Magath: "Ein überragender Spieler. Aber taktisch leider so eingesetzt und begrenzt, dass er gar nicht alles zeigen kann, was er kann. Messi macht, was er will und sie sehen ja, was dabei herauskommt. Das nehmen wir dann als Schönheit war. Wir sind nun zum zweiten Mal in Folge in der Vorrunde einer WM ausgeschieden. Das ist eine sportliche Katastrophe. Früher hatten alle Gegner Angst vor der deutschen Mannschaft. Das ist vorbei. Wir sind dabei nur noch Mittelmaß zu produzieren."
Skysport.de: Vor acht Jahren war Deutschland immerhin noch Weltmeister…
Magath: "Da gab es auch noch einige Spieler, die nicht in irgendwelchen Nachwuchsleistungszentren ausgebildet wurden. Ich glaube nicht, dass ein Mesut Özil so eine Einrichtung fußballerisch überlebt hätte. Musiala ist der Einzige, der frei und kreativ seinen Instinkten freien Lauf lässt. Wieso? Weil er sportlich nicht in Deutschland groß geworden ist."
Skyport.de: Leroy Sane oder Serge Gnabry können die Zuschauer doch auch verzücken…
Magath: "Können, aber es wird nicht von ihnen eingefordert. In der Liga sind sie mit ihrer Mannschaft so überlegen, dass ihre wahre Kreativität und Klasse nie wirklich nötig ist. Sie wissen, dass sie meistens so viel besser als der Gegner sind, dass sie nicht alles aus sich herausholen müssen. An diese Art zu denken und zu spielen gewöhnt man sich und kann das dann bei einer WM nicht abstellen. Wenn man dann auch noch schlecht verteidigt, fliegt man eben schneller raus, als man schauen kann."
Skysport.de: Hätten ein Mats Hummels der deutschen Defensive gut zu Gesicht gestanden?
Magath: "Es ist für mich unerklärlich, einen Spieler wie Mats Hummels, der so gut in Form war, nicht mitzunehmen. Und das sage ich nicht nur, weil ich ihn bereits als 17-Jährigen mit in den Profikader des FC Bayern genommen habe. Antonio Rüdiger ist ein überragender Innenverteidiger. Seine Stärken sind die Schnelligkeit, Aggressivität, das Zweikampf-Verhalten. Wenn ich dazu einen habe, der ballsicherer ist, Überblick hat und dafür nicht ganz so schnell ist, dann habe ich die ideale Ergänzung. Hummels erkennt, sieht und positioniert sich in gefährlichen Situationen viel schneller und besser als die anderen. Der muss also gar nicht so schnell sein."
Skyport.de: War es richtig, dass Oliver Bierhoff gehen musste und Hansi Flick bleiben durfte?
Magath: "Es war sehr ehrenwert, dass Bierhoff als einziger Verantwortung übernommen hat und zurückgetreten ist. Sonst hatte offensichtlich keiner etwas mit dem Scheitern bei der WM zu tun. Ich höre oft, dass sich der Fußball verändert hat. Ist das so? Ich denke, das Spiel ist weiterhin dasselbe. Es wird anders gespielt, weil anders ausgebildet wird. Ein Prozess, der heimlich, still und leise vonstatten gegangen ist. Und ich glaube nicht, dass Oliver Bierhoff hier der allein Schuldige ist, weil er garantiert nicht alles alleine entscheiden und überblicken kann und konnte."
Skysport.de: Was halten Sie von der DFB-Taskforce?
Magath: "Man will anscheinend nach diesem schlechten Ergebnis die Sinne schärfen und hat erkannt, dass es so nicht weiter gehen kann. Das ist schon mal positiv. Bei der Heim-EM wird Deutschland deutlich mehr Erfolg haben. Die Besetzung der Task-Force wirft für mich die Frage auf, ob hier nicht zu viele Menschen sind, die gar nicht anders können, als ihre eigenen Interessen und die ihrer Vereine zu verfolgen. Einige sind so lange erfolgreich bei Klubs gewesen, dass sie sich nur schwer davon frei machen können, nicht immer noch so zu denken, wie sie es über Jahrzehnte getan haben. Etwas mehr Unabhängigkeit wäre gut gewesen, wenn man wirklich etwas verändern will."
Skysport.de: Didi Hamann schrieb in seiner Kolumne an dieser Stelle, dass er Sie in diesem "Gremium" vermisst. Hätten Sie gerne geholfen?
Magath: "Ich helfe grundsätzlich gerne. So hätte ich das auch dieses Mal getan. Ich kritisiere seit über zehn Jahren die Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball und dies nicht, weil ich mich in den Vordergrund spielen möchte, sondern weil es unser Ziel sein muss, Top-Mannschaften zu formen. Aber man möchte niemanden, der kritisch auf das ganze Gebilde blickt. Kritik war und ist in meinen Augen aber stets positiv. Ich muss doch etwas erreichen wollen, besser werden. Aber wenn man nicht aufnahmefähig für Kritik ist, dann bin ich der Falsche."
Skysport.de: Sie haben mit Fredi Bobic bei Hertha BSC zusammengearbeitet. Ist er der richtige Sportdirektor?
Magath: "Die erste und wichtigste Frage in dieser Hinsicht ist: Wer soll was verantworten und wofür ist er zuständig? Da ich das nicht weiß, kann ich auch nicht sagen, wer die ideale Besetzung aussieht. Wenn ich richtig informiert bin, soll die Task-Force zunächst Vorschläge machen und klären, wie es weitergehen soll. Vielleicht ist der erste Schritt, sich einmal darüber klar zu werden, welche Philosophie man verfolgen möchte und sich dann auf eine Person zu konzentrieren. Ich habe mit Fredi in Berlin zusammengearbeitet und habe eine sehr gute Meinung von ihm. Aber so wie ich der Meinung bin, dass Bierhoff nicht alles allein stemmen konnte, so glaube ich auch nicht, dass es damit getan ist, wieder nur einem Menschen die ganze Verantwortung aufzuladen."
Das Interview führte Mario Volpe.
Hier geht es zu Teil eins des großen Magath-Interviews.
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