Felix Magath kennt die Bundesliga und den FC Bayern bestens. In Teil eins des exklusiven Interviews mit Sky Reporter Florian Plettenberg spricht der 69-Jährige über die aktuelle Situation bei den Münchnern, den VAR, Julian Nagelsmann und viele weitere Themen.
Felix Magath über...
... den Meisterschaftskampf:
"Es ist erfreulich für alle Fußball-Interessierten, dass es im Moment nach einem Meisterschaftskampf aussieht. Doch man darf sich nicht täuschen lassen. Es wäre eine große Überraschung, wenn die Bayern die Schale am Ende nicht in den Händen halten würden. Denn Mannschaften, die schlecht spielen und trotzdem gewinnen, die haben meistens Qualität. Aber dieses Jahr ist die Saison etwas anders. Union Berlin ist die Überraschungsmannschaft und wird von dieser Situation getragen. Ich habe das mit dem VfL Wolfsburg auch erlebt. Diese Atmosphäre hält eine Mannschaft oben. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass Union am Ende Meister wird. Bei den Dortmundern sieht es anders aus. Dort ist überraschend, dass auf einmal das Wort Mentalität vorkommt. Das war ja bislang ein Fremdwort. Anscheinend hat man in Dortmund dazugelernt, denn Mentalität ist doch wichtig, um erfolgreich zu sein.
Es ist erfreulich für alle Fußball-Interessierten, dass es im Moment nach einem Meisterschaftskampf aussieht. Doch man darf sich nicht täuschen lassen. Es wäre eine große Überraschung, wenn die Bayern die Schale am Ende nicht in den Händen halten würden. Denn Mannschaften, die schlecht spielen und trotzdem gewinnen, die haben meistens Qualität. Aber dieses Jahr ist die Saison etwas anders. Union Berlin ist die Überraschungsmannschaft und wird von dieser Situation getragen. Ich habe das mit dem VfL Wolfsburg auch erlebt. Diese Atmosphäre hält eine Mannschaft oben. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass Union am Ende Meister wird. Bei den Dortmundern sieht es anders aus. Dort ist überraschend, dass auf einmal das Wort Mentalität vorkommt. Das war ja bislang ein Fremdwort. Anscheinend hat man in Dortmund dazugelernt, denn Mentalität ist doch wichtig, um erfolgreich zu sein."
... die Unruhe beim FC Bayern:
"Das ist der einzige Grund, warum die anderen deutschen Mannschaften noch mithalten können. Das ist schon länger nur so. Nur, wenn beim FC Bayern Unruhe ist, können die anderen mithalten. Scheinbar ist es in dieser Saison ein bisschen zu viel Unruhe beim Rekordmeister. Man hat das im Moment noch nicht so richtig im Griff. Der FC Bayern ist halt etwas anderes. Dort gelten nicht andere Gesetze, die Ansprüche sind deutlich höher als woanders. Es gibt diesen Spruch: Wer zum FC Bayern geht, muss wissen, was er getan hat. Dort wird viel verlangt. Alles andere außer Titeln wäre für den Klub eine Katastrophe."
... die Zukunft von Nagelsmann:
Wenn er dieses Jahr ohne Titel bliebe, dann wird es für ihn schwierig. Seine Situation ist aber besser geworden, weil man mit Paris einen Favoriten auf die Champions League bereits in dieser Runde gezogen hat. Insofern glaube ich, dass ein Klub anerkennen muss, dass man gegen Paris ausscheiden kann. Egal wie hoch die Ansprüche des Vereins sind. Ich glaube daher, dass ein Ausscheiden für ihn keine Konsequenzen haben würde. Aber eine Saison ohne Meistertitel? Das wird schwer zu überleben sein. Egal für welchen Trainer."
Er hat eine schwierige Situation. Man muss nach dem letzten Wochenende sagen, dass er den Druck schon ziemlich stark spürt. Er hat bisher in seiner Karriere eigentlich keinen Druck gehabt. Er war bei Hoffenheim. Da kam er aus der Nachwuchsabteilung und wurde von Beginn von allen voll unterstützt. Genauso in Leipzig. Dort hatte er keine Probleme mit der Akzeptanz. Das Material war dort für seine Tätigkeit auch entsprechend. Mit Leipzig hat er gut abgeschnitten. Aber der FC Bayern ist eine andere Liga. Da ist ein Ausscheiden aus dem Pokal schon eine kleine Katastrophe. Das steckt man nur weg, wenn es in der Meisterschaft gut läuft. Wenn es dort aber viele Punktverluste gibt, dann wird man beim Rekordmeister unruhig."
Nagelsmann hatte beim FC Bayern eine Startposition wie kaum ein anderer. Denn von einem Fünfjahresvertrag hatte ich bei den Bayern noch nie gehört. Zwei oder drei Jahre sind angemessen. Fünf Jahre sind reichlich. Man hat sich damit auch voll geoutet, dass man mit Nagelsmann in die Zukunft will oder vielleicht im Hinterkopf steckt, dass man für den Trainer irgendwann Geld verlangen könnte. Insofern hatte er jede Unterstützung. Von außen betrachtet sieht das alles einfach aus. Aber wenn man beim Rekordmeister drin ist, dann zeigt sich, dass so ein Klub andere und größere Probleme mitbringt als jeder andere Bundesligaverein."
... Matthäus' Eindruck, dass nicht mehr alle in der Vereinsführung hinter Nagelsmann stünden:
"Ich sehe eine große Unterstützung. Dass man bei einer Gemengelage, aufgrund des Kaders beim FC Bayern, ständig mit Problemen zu tun hat, ist halt so. Das geht damit einher, dass man glaubt, dass man einen solchen Kader braucht und jede Position gleichgut besetzt sein muss, um bei Ausfällen gerüstet zu sein. Das halte ich für fragwürdig. Denn die Konsequenz eines solchen Kaders sind viele unzufriedene Spieler. Ich weiß nicht, ob das überhaupt lösbar ist. Für so eine Mannschaft braucht man eigentlich keinen Trainer. Es geht ja nicht mehr darum, diese Spieler zu trainieren und zu entwickeln. Die Spieler sind ja alle entwickelt. Es geht darum, die Spieler bei Laune zu halten. Es ist wichtiger, mit den Spielern zu reden, schunkeln zu gehen, Smalltalk zu machen, sie bei Laune zu halten. Man muss es so moderieren, dass nur die Spieler unzufrieden sind, die wenig Bedeutung im Kader haben. Bayern hat auf dem Transfermarkt richtig zugeschlagen. Das bringt immer Unruhe in den Kader. Denn jeder Spieler der kommt, will eine Position haben und geschätzt werden."
... Nagelsmanns Pack-Aussage:
"Da hat er sich vergriffen, das weiß er selbst. Das braucht man ihm aber nicht jeden Tag unter die Nase reiben. Er hat selbst gemerkt, dass er da ins falsche Regal gegriffen hat. Wenn man unter Druck steht, macht man halt auch mal so einen Fehler. Da ist normal."
... die Möglichkeit, dass Tuchel ein Schattentrainer von Nagelsmann ist
"Dem FC Bayern ist es egal, ob der zukünftige Trainer noch in München wohnt, Hamburg oder London. Natürlich könnte Tuchel theoretisch Bayern-Trainer werden. Ob er so lange warten will, weiß ich nicht. Wenn Nagelsmann die Meisterschaft holt, dann glaube ich nicht, dass der FC Bayern an dieser Position etwas verändern wird. Insofern müsste ein neuer Trainer, der Bayern-Trainer werden möchte, Sitzfleisch mitbringen und Geduld."
... Bayerns nächsten Topstürmer - Kane oder Kolo Muani:
"Es ist schwer zu beurteilen, was der FC Bayern will oder in welcher Lage er sich befindet. Harry Kane, wenn man den bekommen kann, dann kauft man einen der besten, bekanntesten und teuersten Spieler. Das verschafft auch Image. Mit einem Spieler, der in der Bundesliga noch nicht so lange für Furore gesorgt hat und vorher nicht groß in Erscheinung getreten ist, holt man eine andere Persönlichkeit. Der hat Perspektive und Luft nach oben. Er wäre für den FC Bayern eine Investition. Ich würde immer den jüngeren Spieler und den mit mehr Perspektive holen. Aber es gibt immer Ausnahmen. Ich habe damals Raúl von Real Madrid nach Schalke geholt. Das war ein älterer Spieler, eine ganz andere Nummer. Das war die richtige und sensationelle Entscheidung. Was glauben Sie, wenn es Uli Hoeneß gelungen wäre, Raúl nach Deutschland zu holen? Der würde sich heute noch feiern. Damals wurde das bei Schalke gar nicht richtig eingeordnet, so einen Mann geholt zu haben. Raúl ist gleichzusetzen mit Franz Beckenbauer bei uns. So einen Spieler hierher zu holen, war außergewöhnlich."
... die aktuelle Situation von Thomas Müller:
Das sagt was über die Wertigkeit aus, die der Trainer dem Spieler gibt. Von daher glaube ich, dass diese Maßnahme etwas unglücklich war. Nagelsmann konnte was tun, weil seine Mannschaft einen Spieler weniger hatte, aber man muss die Gesamtsituation sehen: Paris, jetzt Gladbach. Das ist nicht schön für einen Kapitän. Der FC Bayern ist sein Verein. Er spielt nicht nur auf dem Platz eine wichtige Rolle, sondern auch außerhalb. Dementsprechend muss man mit ihm auch umgehen."
... Manuel Neuer:
"Wenn er will, dann ich bin ich mir sicher, dass er wieder die Nummer eins beim FC Bayern wird. Egal, was jemand zur aktuellen Situation sagt. Natürlich war Manuel schlecht beraten in den letzten Tagen, aber an seiner Qualität geht nichts vorbei. Mit Manuel haben sie einen außergewöhnlichen Torhüter. Er hat viel dazu beigetragen, dass sie diese Titel geholt haben. Er ist außergewöhnlich und wird es auch immer bleiben. Egal, welcher Torhüter kommt. Er wird an Manuel Neuer nicht vorbeikommen."
... Salihamidzics Aussage, dass die Bayern benachteiligt werden:
"Diese Meinung teile ich nicht ganz. Es wäre mir neu, wenn es eine Stimmung gegen den FC Bayern gäbe. Ich habe oft genug mit meinen Mannschaften gegen sie spielen müssen. Das Gefühl, dass ich große Unterstützung vom Schiedsrichter gehabt hätte, das hat sich bei mir komischerweise nie eingestellt. Ich kann das auch jetzt nicht bei Spielen erkennen, an denen die Bayern beteiligt sind. Die Szene in Mönchengladbach ist aber ungewöhnlich. Aber das ist genau das Thema: Man ist nicht bereit darüber zu reden, dass der Fußball in der Bundesliga von unseren Schiedsrichtern so verpfiffen wird. Bei jeder Kleinigkeit wird gepfiffen. Es gibt die Aussage: 'Kontakt war da, also pfeifen wir Elfmeter.' Das ist mehr oder weniger Unsinn. Fußball ist ein Sport, bei dem muss ich Kontakt suchen. Deswegen wird es immer mal zu einem Foul kommen. Man darf aber nicht nur rumheulen, wenn es mich betrifft. Wie am letzten Wochenende die Bayern. Es hat oft andere Teams getroffen - gegen die Bayern.
Was wir dem Zuschauer anbieten, hat mit Fußball nichts mehr zu tun. Didi Hamann hat sich totgelacht, als ich mich darüber aufgeregt habe, dass Freiburg in Dortmund nach ein paar Minuten mit einem Mann weniger fast das gesamte Spiel bestreiten musste. Na hören Sie mal: Ich will das als Fußball-Zuschauer nicht sehen! Ich will 90 Minuten Fußball sehen! Ich will 90 Minuten sehen, bei denen zwei Mannschaften um den Sieg ringen! Nicht, wo eine Mannschaft bevorteilt und die andere benachteiligt wird und nach fünf Minuten das Spiel entschieden ist, weil einer gezupft hat und deshalb vom Platz muss. Das ist sowas von unsportlich. Das geht nicht mehr. Der DFB hat überhaupt kein Verhältnis mehr zum Sport. Das ist das Problem. Jetzt regt sich der FC Bayern auf und es wird ein Thema. Bei anderen Vereinen wie Bochum, die werden ohne Ende benachteiligt. Da gibt es vielleicht mal ein kurzes: 'Oh ja, das war nicht so, wie es sein sollte.' Und dann wird das Thema wieder weitergeben. Aber beim FC Bayern reden wir die ganze Woche über das Thema. Das ist der Unterschied zwischen den Bayern und den anderen Vereinen. Sonst keiner.
Wenn wir den Sport wirklich wollen, dann müssen wir wieder zulassen, dass man seinen Gegenspieler auch berührt und nicht bei jedem Kontakt gleich die Pfeife in den Hals genommen und auf Freistoß entschieden wird. Das ist das Problem."
... Rot für Upamecano und ob es gerechtfertigt war:
Grundsätzlich sage ich: Das ist lächerlich! Aber so wie in den letzten Jahren und Monaten in der Bundesliga gepfiffen wird, war das völlig korrekt. Wenn sich ein Spieler im Strafraum mal wieder fallenlässt, weil er den Kontakt mit dem Gegenspieler sucht, dann heißt es wieder: 'Elfmeter!' Keiner sagt was, jeder akzeptiert das. Beim FC Bayern sagen jetzt alle: 'Oh, das war kein Foul. Das war keine Rote Karte. Das ist viel zu hart!' Ja, klar! Das ist aber nicht nur beim FC Bayern so, das ist in der ganzen Bundesliga so. Deswegen ist es ein grundsätzliches Problem des DFB. Aber nicht von Bayern oder Bochum."
... eine Möglichkeit das Problem zu lösen:
Ich bin nicht in der Schiedsrichter-Gruppe dabei. Diese Gruppe kontrolliert sich völlig selbstständig. Es gibt kein Instrument, das mal sagt: 'Moment Schiedsrichter, das könnte man anders sehen!' Nein, sie korrigieren sich selbst. Das ist das Schlimmste, wenn sich eine geschlossene Gruppe selbst kontrolliert. Da kann nichts Gescheites bei rauskommen. Die Schiedsrichter werden angehalten, bei jedem Körperkontakt auf Foul zu entscheiden und wenn einer festhält oder zupft, dann ist es eine Gelbe Karte. Also muss der Schiedsrichter, um richtig benotet zu werden, denn er will ja weiterkommen, entsprechend der Regel Gelb zeigen.
Dann habe ich halt schnell nach einmal Zupfen und einmal Ball wegschlagen eine Gelb-Rote-Karte. Völlig regelkonform, aber schwachsinnig in der Auslegung. Denn ich beeinflusse das Spiel ganz stark, in dem ich eine Mannschaft um einen Spieler reduziere. Ich als Zuschauer drehe mich rum und sage: 'Spielt alleine. Ich mag den Scheiß nicht mehr sehen.' Haben Sie mal die Premier League angeschaut? Ich schaue das bei Sky ab und zu. Da geht es in den Zweikampf, da beschwert sich keiner. Die stehen alle beide auf. Da sagt keiner: 'Hier war Kontakt, ich will einen Freistoß.' Da wird weitergespielt. So, wie es sich eigentlich im Sport gehört."
... seine Bereitschaft, um seine Meinung der Schiedsrichter-Gilde mitzuteilen:
"Ich mache doch nicht den Pausen-Clown für irgendjemanden. Ich stehe nicht für Larifari bereit, damit die Medien was zu schreiben haben und die, die das entscheiden können sagen: 'Schau, wir haben hier was getan!' Für so einen Quatsch stehe ich nicht zur Verfügung. In der Premier League wird nach jedem Spiel der Schiedsrichter von den Trainern beurteilt. Das geht schriftlich zum Verband. Dann bekommt man vom Verband eine Rückmeldung über die Beurteilung. Es wird einem gezeigt: Ihr Anliegen wird wahrgenommen und bearbeitet. Haben Sie hier schonmal davon gehört, dass sich irgendwer dazu äußern konnte? Ich war lange genug Trainer in der Bundesliga. Mich hat niemand gefragt. Wenn, dann nur, um mich zu einer Geldstrafe zu verurteilen, weil man sich nicht nett geäußert hat."
... die Option den VAR abzuschaffen:
"Ich war immer ein Befürworter. Ich bin aber nie auf die Idee gekommen, dass man den Schiedsrichter durch den Videobeweis vorführt. Für mich war ein Videobeweis so angelegt, dass oben auf der Tribüne einer sitzt, der mit dem Schiedsrichter verbunden ist. Der oben am Fernseh-Schirm dem Schiedsrichter einen Impuls gibt, eine Hilfestellung, für wen die Entscheidung zu treffen ist. Der Schiedsrichter muss der sein, der entscheidet. Jetzt ist es doch ein Witz! Der Schiedsrichter muss sich vorführen lassen.
Wenn ich schon sehe, dass der Schiri an den Bildschirm geht und sich das drei Minuten anschaut. Da brauche ich keine drei Minuten! Der Schiedsrichter kommt dadurch in eine Zwangssituation. Alle sehen die Szene, hin und her und dann soll der Schiedsrichter entscheiden: Elfmeter oder keiner? Was soll dabei herauskommen? Die Schiedsrichter so vorzuführen, auf die Idee wäre ich nie gekommen. Der Schiedsrichter ist das ärmste Schwein in diesem Geschäft - noch vor dem Trainer. Früher war es der Trainer, heute der Schiedsrichter. Der kann gar nicht leisten, was vom Videokeller verlangt wird."
Das Interview führte Florian Plettenberg