Hamit Altintop gibt im Sky Interview seine Prognose für den Meisterkampf ab, skizziert ein Müller-Szenario und spricht über Manuel Neuer sowie Sadio Mane. Zudem sieht er Weltstar-Potenzial bei einem Bayern-Duo und erklärt, in welcher Hinsicht Schalke für ihn Meister ist.
skysport.de: Herr Altintop, in der Bundesliga ist die entscheidende Phase angebrochen. Bayern oder der BVB - wer wird Meister?
Hamit Altintop: Der FC Bayern wird den Titel holen. Sie werden ihre Hausaufgaben machen und gegen Leipzig und Köln gewinnen.
skysport.de: In Ihrer Bayern-Zeit hat Louis van Gaal den Leitspruch "Müller spielt immer" geprägt. Der 33-Jährige findet sich nun öfters auf der Bank wieder, sowohl unter Julian Nagelsmann als auch zuletzt unter Thomas Tuchel. Können Sie das nachvollziehen?
Altintop: Thomas ist sehr wichtig für den FC Bayern, er verkörpert die "Mia san mia"-Mentalität. Dass er viel geleistet hat und die Identifikationsfigur schlechthin ist, darüber braucht man nicht zu diskutieren, aber jeder Trainer hat das Recht, seine Wunschelf spielen zu lassen.
skysport.de: Dennoch war Bayerns Offensivspiel beim 6:0 gegen Schalke mit Müller in Startelf deutlich flüssiger als zuletzt. Zudem stand er bei 18 von 19 Toren unter Tuchel auf dem Rasen. Muss Müller daher wieder öfters spielen?
Altintop: Generell kann man ein Spiel gegen Schalke nicht mit Spielen gegen Manchester City oder Paris St. Germain vergleichen. Beim FC Bayern gibt es kaum Stammplätze, dafür ist der Kader in der Breite zu gut aufgestellt. Tuchel kann besonders in der Offensive viel variieren, daher ist es normal, dass auch ein Thomas Müller nicht mehr in jedem Spiel in der Startelf steht.
skysport.de: Sollte Müller im Sommer das Gespräch mit Tuchel suchen, um Klarheit über seine künftige Rolle beim FC Bayern zu haben?
Altintop: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass beim FC Bayern viel und ausreichend kommuniziert wird. Wichtig ist am Ende des Tages, dass alle Parteien einen gemeinsamen Nenner finden.
skysport.de: Müllers Vertrag läuft noch bis 2024. Wird er seine Karriere beim FC Bayern beenden?
Altintop: Keine Frage, das muss er. Er personifiziert den FC Bayern wie kein Zweiter und weiß am besten, wie ein Kollektiv zu funktionieren hat. Wenn er vielleicht nochmal ein neues Abenteuer in Asien oder Amerika wagen will, könnte ich das zwar auch verstehen, aber noch zwei, drei Jahre beim FC Bayern spielen, die Mannschaft führen und in jedem zweiten Spiel aufzulaufen, wäre meiner Meinung nach für alle Seiten das beste Szenario.
skysport.de: Oliver Kahn steht beim FC Bayern derzeit stark in der Kritik. Wie bewerten Sie seine Arbeit?
Altintop: Oliver hat eine Herkulesaufgabe angenommen. Es ist alles andere als einfach, die jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge von heute auf morgen weiterzuführen und zugleich noch die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Zudem darf man nicht vergessen, dass es einen Umbruch gegeben hat. Es wurden viele Spieler geholt, wichtige Spieler haben den Verein verlassen. Dass das alles Zeit benötigt, war klar. Trotzdem sind sie Erster in der Bundesliga und ein Ausscheiden in der Champions League im Viertelfinale gegen Manchester City kann immer mal passieren.
skysport: Wie sehen Sie insgesamt die Saison des FC Bayern?
Altintop: Dass die Bayern so eine Saison mal drin haben, finde ich persönlich absolut in Ordnung. Auch wenn der Klub im Fokus der Öffentlichkeit steht, vermisse ich die Ruhe und dass man nach außen zeigt, dass man alles unter Kontrolle hat. Ich bin mir aber sicher, dass Olli (Kahn, Anm.d.Red.) und Hasan (Salihamidzic, Anm.d.Red.) nach der Saison eine Analyse machen und ihre Schlüsse daraus ziehen werden.
skysport.de: Warum läuft es beim FC Bayern vor allem im Jahr 2023 nicht ganz so rund?
Altintop: Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Die Verletzung von Manuel Neuer kam zur Unzeit, die deutschen Nationalspieler hatten nach dem WM-Aus lange Zeit mit sich selbst zu kämpfen. Insgesamt hat die Mannschaft nicht so überzeugt und das geleistet, was erwartet wurde. Auch der Transfer von Sadio Mane hat nicht funktioniert, er war zwischendurch aber auch lange verletzt …
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skysport.de: Apropos Mane: Er ist momentan ein Schatten seiner selbst. Warum sehen wir beim FC Bayern nicht den Mane vom FC Liverpool?
Altintop: Dass Mane ein Weltklasse-Spieler ist, steht außer Frage. Und wenn die Möglichkeit besteht, ihn zu holen, dann muss man zuschlagen. In München wird aber ein anderer Fußball gespielt als in Liverpool. Unter Jürgen Klopp war es das aggressive und offensive Konterspiel, bei Bayern wird der Ball dagegen viel mehr zirkuliert und in Ruhe von hinten aufgebaut. Diese Dynamik wie bei Liverpool gibt es bei Bayern nicht.
skysport.de: Hat Mane in München noch eine Zukunft über den Sommer hinaus?
Altintop: Wenn man so einen Spieler dauerhaft auf die Bank setzt und ignoriert, dann wäre es besser, sich im Sommer zu trennen. Ich glaube aber schon, dass Bayern mit ihm plant.
skysport.de: In der nächsten Saison dürfte auch Manuel Neuer wieder im Tor stehen, der aktuell eifrig an seinem Comeback arbeitet. Glauben Sie, dass er nochmal Top-Niveau erreichen kann?
Altintop: Manuel muss niemandem mehr etwas beweisen. Man muss ihn auf Schultern tragen, für das alles, was er für den deutschen Fußball geleistet hat. Wichtig ist, dass Persönlichkeiten wie Neuer oder Müller dem Fußball erhalten bleiben und im Verein eingebunden werden, damit sie ihre Werte, Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben. Wir als Ex-Spieler können am besten die Seele des Sports beschützen, bewahren und weiterentwickeln.
skysport.de: Was muss sich beim FC Bayern im Sommer ändern? Fehlt ein Neuner auf Weltklasse-Niveau?
Altintop: Mit Blick auf den Kader würde Tuchel ein Weltklasse-Stürmer definitiv gut zu Gesicht stehen. Es gibt aber nicht nur das Neuner-Problem. Es haben Charaktere gefehlt wie Neuer und Lewandowski. Dazu wurde viel über Spieler wie Serge Gnabry und Leroy Sane diskutiert, Joshua Kimmich und Leon Goretzka standen teilweise auch in der Kritik. Eines möchte ich aber noch sagen …
skysport.de: Bitte …
Altintop: Die aktuelle Saison kann auch etwas Gutes haben. Für Kimmich oder Goretzka, bei denen es fast immer nur bergauf ging, könnte es sogar förderlich für ihre Entwicklung sein. Wenn sie in der Sommerpause alles gut aufarbeiten, wird ihnen das helfen, um den nächsten Schritt zu gehen. Und in der Abwehr hat Bayern mit Matthijs de Ligt und Dayot Upamecano zwei Spieler mit hohem Potenzial, die in den nächsten Jahren zu Weltstars reifen können.
skysport.de: Zur Wahrheit gehört aber auch, dass seit Pep Guardiola kein Bayern-Trainer mehr zwei komplette Saisons in Folge geschafft hat. Trauen Sie Tuchel eine längere Ära zu?
Altintop: Es ist eine große Herausforderung. In seiner Zeit als Trainer bei PSG war ich sehr oft in Paris und habe viele Spiele mitverfolgt. Die Art und Weise, wie er seine Mannschaften einstellt und spielen lässt, ist herausragend. Aber in der Konstellation mit vielen Baustellen rund um einen Verein ist es für einen Trainer oftmals sehr schwierig zu arbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass Tuchel es nicht meistern kann.
skysport.de: Sind die Erwartungen beim FC Bayern eigentlich zu groß, jedes Jahr das Triple zu holen?
Altintop: Die Meisterschaft und der DFB-Pokal müssen immer die Ziele des FC Bayern sein. Es ist aber enorm wichtig, dass die Erwartungen mit der Realität übereinstimmen.
skysport.de: Ihre Bundesliga-Karriere haben Sie beim FC Schalke 04 gestartet. Die Königsblauen haben zwei Spieltage vor Schluss die Relegation selbst in der Hand. Hand aufs Herz: Hätten Sie damit nach Ende der Hinrunde gerechnet?
Altintop: Ich wünsche mir und drücke die Daumen, dass meine Heimatstadt in der Bundesliga bleibt. In den letzten sechs Monaten wurde dort sehr gute Arbeit geleistet und ich hoffe, dass sie sich dafür nun selbst belohnen. Ich glaube auch, dass sie mittlerweile aus ihren Fehlern der letzten Jahrzehnte lernen und mit weniger finanziellen Möglichkeiten gute Arbeit machen.
skysport.de: Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe für die Trendwende?
Altintop: Der Trainer. Thomas Reis hat Schalke die Werte und Tugenden zurückgebracht, die den Fußball ausmachen. Die Mischung aus guter Kommunikation, Harmonie und Authentizität wird oftmals unterschätzt, aber das kann eine Mannschaft beflügeln.
skysport.de: Mannschaft und Fans bilden in dieser Saison auch wieder eine Einheit. Welchen Anteil haben die Anhänger am Aufschwung?
Altintop: Die Fans auf Schalke sind die besten, die ich in meiner Karriere erlebt habe. Sie sind immer für ihren Verein da und deswegen sind sie in der Hinsicht Meister.
skysport.de: Der Druck im Heimspiel gegen Frankfurt ist aber enorm, für Schalke zählt nur ein Sieg …
Altintop: Ich sehe für Schalke keinen Druck. Wenn man nach so einer Aufholjagd zwei Spieltage vor Schluss noch Chancen hat, den Klassenerhalt zu schaffen, ist das für mich kein Druck. Im Gegenteil. Auch die Sperre von Marius Bülter sehe ich nicht negativ, so müssen andere in die Bresche springen und sich beweisen.
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skysport.de: Und wenn es am Ende doch nicht reichen sollte?
Altintop: Ich wünsche mir, dass sie in der Liga bleiben, aber wenn sie absteigen sollten, hoffe ich, dass sie in der aktuellen Konstellation weitermachen und dadurch Kontinuität in den Verein bringen. Nur so kann es wieder aufwärts gehen.
skysport.de: Ihr dritter Ex-Klub, Darmstadt 98, hat zuletzt zwei Aufstiegs-Matchbälle vergeben. Kommt nochmal das große Nervenflattern oder klappt's am Freitag gegen Magdeburg?
Altintop: Ich kann es mir nicht vorstellen, dass sie einen weiteren Matchball liegen lassen. Ich glaube, dass sie zuletzt vielleicht etwas zu übermotiviert und verkrampft waren, aber die Konkurrenten aus Heidenheim und Hamburg gewinnen glücklicherweise auch nicht alle ihre Spiele …
skysport.de: Was ist in so einer Situation nun besonders wichtig?
Altintop: Es braucht eine gute Kombination aus Lockerheit und Seriosität. Sowohl der Vorstand mit Rüdiger Fritsch als auch das Trainerteam um Torsten Lieberknecht besitzen diese Gabe. Deswegen werden sie den Aufstieg in die Bundesliga auch schaffen.
skysport.de: Was macht den Verein aus und warum wären die Lilien eine Bereicherung für die Bundesliga?
Altintop: Darmstadt ist ein familiärer Klub, der mit bescheidenden Mitteln und weniger Möglichkeiten sehr gute Arbeit leistet. Andere Vereine investieren viel, haben aber deutlich weniger Erfolg. Von daher können sich einige Klubs von Darmstadt noch etwas abschauen.
skysport.de: Abschließend noch ein Blick auf die türkische Nationalmannschaft. Sie sind nun seit vier Jahren Vorstandsmitglied im türkischen Fußballverband. Wie sehen Sie die Entwicklung unter Stefan Kuntz und welche Chancen rechnen Sie sich auf die Teilnahme an der EM 2024 aus?
Altintop: Ganz klar, wir wollen bei der EM dabei sein. Der Trainer investiert extrem viel und gibt Gas. Wir sind mit einem Sieg und einer Niederlage gestartet, im Juni wird es entscheidend für uns, wie wir auftreten und welche Ergebnisse wir gegen Lettland und Wales holen werden. Wir kennen unsere Probleme und wissen, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.
Zuletzt haben wir im Zusammenhang mit der Akademie unsere Projekte bekannt gegeben. Wir wollen die Akademie in Verbindung mit der Trainerausbildung in den Mittelpunkt rücken. Mit dem vorhandenen Potenzial und der Leidenschaft wünschen wir uns, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren gute Ergebnisse erzielt werden.
Teil 1: Hamit Altintop über das CL-Finale, Kroos, Gündogan & Calhanoglu
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