Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Fußball. Diesmal dreht sich alles rund um Jürgen Klopp und den FC Liverpool.
Es nützt ja nichts - man muss sich eben ab und an selbst davon überzeugen, was Sache ist. Reality-check in Anfield. Ist Jürgen Klopp sein unvergleichliches Mojo abhanden gekommen? Anzeichen von emotionalem Abrieb? Ein Ermüdungsbruch im Miteinander zwischen ihm und seinen Boys?
Im laufenden Kalenderjahr hatten die Reds bis Montag schließlich nichts Gelungenes geliefert. Dazu die traditionellen Scharmützel mit Journalisten oder Schiedsrichtern, die ihn bei der gemeinsamen Nachbetrachtung im Freundes- und Bekanntenkreis manchmal selbst irritieren ("War es schlimm?" - "Nein, schlimmer!"). Strategische Ablenkungsmanöver? Mit hoher Wahrscheinlichkeit - aber wohl auch nur ein Teil der Wahrheit.
Klopp lebt das "Taking-one-for-the-Team-Prinzip"
Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, startet (eher früher als später) ein toxisches Automatismus-Gemisch. Das Grummeln der Fans wird lauter, die Unterstützung leiser. Die Fragen der Journalisten werden schärfer, die Kritik hemmungsloser. Womöglich wird auch intern - offen oder diskret, mancherorts auch perfide - mal nachgefasst, was es denn eigentlich ist, das zu diesem unausgewogenen Gesamtgebilde geführt hat. Der Stresslevel steigt proportional zum wachsenden Erfolgsdruck. Spott gibt's on top, und die Spieler werden öffentlich seziert. Zu alt, zu langsam, zu eigensinnig, zu schlau, zu dumm, zu wenig fokussiert.
Das ist der Punkt, an dem Klopp oft eingreift. Breite Schultern, finsterer Blick, schmale Lippen, wenig Zähne - schneidende Rhetorik. Eine lebende Projektionsfläche für Kritik aller Art. Einer, der sich stark genug fühlt, die öffentliche Attacke-Wolke komplett einzusaugen. Zu absorbieren! Motto: Geht mit mir in den Ring, wenn ihr euch traut - und lasst meine Jungs in Ruhe! Das Taking-one-for-the-team-Prinzip. Bewährt und wirkungsvoll - zumindest eine Weile.
Bei allem, was Klopp im Zuge allgemeiner Rhythmusstörungen so rauspaukt, eine präzise gestimmte Klaviatur zu vermuten, würde vermutlich die Grenze zur Überinterpretation touchieren. Den Kürzeren zu ziehen, sich ungerecht behandelt zu fühlen, für vermeintliche Fehler anderer verantwortlich gemacht zu werden - wer kann das schon gut aushalten? Zen-Meister auf Erleuchtungsstufe 10 vielleicht. Irdische ärgern sich - genreübergreifend. Auf dem Fußballplatz, dem Handballfeld, dem Tenniscourt oder an der Playstation (#ichhabdochgedrückt) gilt die Formel: Das musste jetzt mal raus. Das ist dann gewiss nicht immer gerecht, sinnvoll adressiert oder weitsichtig inszeniert (die Controller-Preise sind schon wieder gestiegen - hab ich gehört…) - aber menschlich in vielen Fällen nachvollziehbar.
Trainer müssen lernen, sich zurückzunehmen
Wenn man den permanenten Erwartungsdruck, die öffentliche Abrechnungsmentalität und das notwendigerweise maximal ausgeprägte persönliche Ehrgeiz-Niveau von Profi-Trainern ins Kalkül zieht, ist sogar folgender Schluss zulässig: Dass die sportlichen Spitzenkräfte nicht noch viel häufiger unkontrolliert ausrasten, ist eigentlich eher überraschend. Vorbildfunktion, Top-Gehälter - schon klar. Ein Schutzschild gegen situative Frustüberflutung lässt sich daraus aber nicht schmieden.
"Wie schafft ihr das, euch meistens im Griff zu behalten?", habe ich kürzlich einen deutschen Profi-Fußball-Trainer gefragt. Schwierig, sagte der, aber das müsse man halt lernen - es sei ja klar, was sonst passiert. Was er meint: Wer einmal so richtig amtlich die Fassung verliert, bucht das ewige YouTube-Ticket (Wutrede, Ausraster, Arsch abgelacht) - nicht für jeden eine erstrebenswerte Perspektive.
Liverpool und Klopp - das passt weiterhin
Was Jürgen Klopp anbelangt, empfehle ich nach der gestrigen Intensiv-Beobachtung übrigens, jeden Anflug von Besorgnis beiseite zu legen. Der Typ brennt wie ne Fackel - auch im ominösen siebten Jahr hat er ganz offensichtlich keine Ahnung, wo sicher der Hebel befindet, mit dem man auf Sparflamme schaltet. Brustbumper mit den Co-Trainern, die eingesprungene Jubel-Schraube, die Faust-Herz-Kombination in Richtung "Kop" - das Impuls-Repertoire sitzt wie ne Eins. Muss raus. Zum Glück!
Bei "I'm so glad that Jurgen is a red" nicht laut genug mitzusingen, riskiert auch keiner mehr. Mojo intakt. Beziehungsstatus: zurechtgeruckelt. Liverpool und Klopp - das passt. Nicht wieder, sondern weiterhin. Er selbst hat ja unlängst ohnehin unmissverständlich klargesellt: Ich renne ganz sicher nicht weg! Robuste Ansage im "Laserkraft 3D"-Style: "Nein, Mann - ich will noch nicht gehen. Ich will noch 'n bisschen tanzen!" Und siegen!
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.