2024 ist für Carlo Ancelotti Schluss. Der 64-Jährige verlängert seinen Vertrag bei Real Madrid nicht und übernimmt die Selecao. Carlo Cool wird dem europäischen Fußball fehlen, denn er war nicht nur erfolgreich, sondern auch authentisch. Zeit für eine Verneigung.
Es war am Ende keine Überraschung. Ednaldo Rodrigues, Präsident des brasilianischen Fußballverbandes (CBF), bestätigte dem brasilianischen Sender TV Globo am Dienstag, was die Spatzen bereits seit Wochen vor den Dächern pfiffen. Carlo Ancelotti wird die Selecao im Sommer 2024 zur Copa America übernehmen.
Weltmeisterschaft 2026 als Ziel
Der Italiener selbst und auch Real Madrid, wo Ancelotti in der kommenden Spielzeit noch unter Vertrag steht, haben die Meldung zwar noch nicht bestätigt, aber niemand zweifelt mehr daran: Nach fast 30 Jahren als Vereinstrainer in Europa übernimmt Ancelotti erstmals hauptverantwortlich eine Nationalmannschaft. Und zwar nicht irgendeine, sondern gleich die des Rekordweltmeisters, die für ihn gleich mal mit einer Tradition gebrochen haben. Er ist nämlich der erste Europäer überhaupt, der die Selecao trainieren wird. Das große Ziel: Der sechste Triumph bei der Weltmeisterschaft 2026.
Seit 20 Jahren lechzen die Brasilianer nach dem Pokal. 2002 konnten die Erben Peles zuletzt triumphieren. Im Endspiel im japanischen Yokohama siegte Brasilien dank Ronaldo damals mit 2:0 gegen Deutschland durch zwei Treffer von Il fenomeno. Seitdem hagelte es Enttäuschungen. 2006, 2010, 2018 und 2022 war bereits im Viertelfinale Schluss, 2014 ging es zwar eine Runde weiter, aber dort setzte es beim 1:7 gegen den DFB im heimischen Maracana die vielleicht größte Schmach der eigenen Geschichte.
Ancelotti lässt Rekorde purzeln
Mit Ancelotti soll es nun endlich klappen und wenn seine Erfolge als Vereinstrainer als Maßstab dienen, stehen die Chancen auch nicht schlecht. Ancelotti ist nämlich der einzige Coach, dem es gelang, die Champions League vier Mal zu gewinnen. 2003 und 2007 mit Milan, 2014 und 2022 mit Real. Der Italiener ist auch der einzige Trainer überhaupt, der in allen fünf Topligen Meister wurde. Mit Milan holte er 2004 den Scudetto, 2010 gewann er mit dem FC Chelsea den Titel in der Premier League, 2013 folgte die Meisterschaft in Frankreich mit Paris St. Germain, ehe er 2017 die Schale mit dem FC Bayern gewann und schließlich 2022 auch mit Real in LaLiga triumphierte.
Kritiker bemängeln, dass Ancelottis Taktik-Kenntnisse nicht so ausgefeilt sind wie bei Pep Guardiola, Jose Mourinho oder Jürgen Klopp. Sein Spielstil sei durchschaubar und einfach, so einige Experten. Andere nennen es pragmatisch. Einig sind sich aber alle, dass nur wenige dem Mann mit der markanten Augenbraue das Wasser reichen können, wenn es um Menschenführung geht.
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CR7-Jubel nachgemacht
Überall wo er war, schwärmten die Stars über den Mister: "Er ist ein unglaublicher Mensch. Ich wünsche mir, dass jeder Spieler die Möglichkeit hat, mit ihm zu arbeiten, denn er ist ein fantastischer Kerl, ein fantastischer Trainer, und ich vermisse ihn sehr, denn wir haben viele Trophäen zusammen gewonnen", adelte ihn Cristiano Ronaldo einst. CR7 war Ancelotti nicht einmal böse, als er einst seinen patentierten Jubel nachäffte.
Und Zlatan Ibrahimovic, der bei PSG mit Ancelotti zusammenarbeitete ergänzte: "Er ist der einzige Trainer, den ich kenne, der ein so gutes Verhältnis zu seinen Spielern hat, noch mehr als Mourinho. Er erklärt den Spielern immer seine Entscheidungen, wenn er jemanden auf die Bank setzt. Als wir den Titel gewonnen haben, hat er uns in einem kleinen Raum versammelt, um uns persönlich zu danken, und er hatte eine persönliche Botschaft für uns alle."
Ancelotti ist sich auch nicht zu schade, nach dem CL-Triumph mit Zigarre und Sonnenbrille mit Vini Jr. David Alaba und weiteren Stars für einen Schnappschuss für Instagram zu posieren. Als er darauf angesprochen wurde, sagte er nur: "Es ist ein Foto mit meinen Freunden. Die Spieler sind meine Freunde."
Kaka schwärmt
Bei jeder Station gelang es Ancelotti, eine enge Beziehung zu seinen Spielern aufzubauen. Für die einen war er Freund, für andere eine Vaterfigur und teilweise eine Art Großvater-Ersatz. Milans ehemaliger Weltklasse-Abwehrchef Alessandro Nesta sagte in der Gazzetta dello Sport einmal über ihn: "Ancelotti ist ein zweiter Vater. Ich hätte alles für ihn getan, denn er lässt seine Spieler nie im Stich, auch wenn sie verletzt sind. Er ist ein Schwamm, der die Probleme aufsaugt und die Mannschaft zur Ruhe kommen lässt."
Auch Kaka geriet ins Schwärmen, als er in einem Interview mit Sky Sports 2020 zu seinem ehemaligen Coach, mit dem er sehr erfolgreich bei Milan zusammenarbeitete, befragt wurde: "Die beeindruckendste Eigenschaft, die er hat, ist meiner Meinung nach seine Fähigkeit, Menschen zu führen. Du hast einen Kader von 25 Spielern und nur elf können spielen. Was machst du mit den anderen? Wie kann man sie motivieren? Er wusste, wie man das macht. Überall, wo er hingeht, hinterlässt er dieses gute Gefühl in den Herzen der Spieler."
Filippo Inzaghi schlägt in eine ähnliche Kerbe: "Er gewährt sehr, sehr, sehr viele Freiheiten, weil er möchte, dass seine Spieler kreativer sind. Er hat zwar eine klare Vorstellung davon, wie man zu spielen hat und wie man leben sollte, aber er weiß auch, dass er 25 Personen zu betreuen hat."
Auch als Spieler erfolgreich
Möglicherweise kommt Ancelotti so gut mit seinen Spielern aus, weil er selbst als Profi äußerst erfolgreich war. Er begann seine Karriere als 17-Jähriger bei Zweitligist AC Parma. Bei der Roma gewann er anschließend 1983 die italienische Meisterschaft, vier Mal den Pokal und stieg zum Kapitän der Römer auf, ehe er 1987 zu Milan weiterzog. Bei den Rossoneri erlebte er seine erfolgreichste Zeit unter Arrigo Sacchi.
Zwei Mal gewann er mit den Unsterblichen die Champions League, ehe er seine Karriere 1992 beendete. Erst als Co-Trainer unter Sacchi bei der italienischen Nationalmannschaft und später als Cheftrainer bei Reggiana, Parma und Juventus machte er sich einen Namen, ehe er 2001 zu Milan zurückkehrte und auch als Coach alles gewann, was es zu holen gab.
Dabei blieb er immer authentisch, wie Paolo Maldini, der fünf Jahre mit ihm zusammenspielte und acht Jahre von ihm gecoacht wurde, bestätigte. Er beschrieb ihn als "netten, fetten Bär, der so gut wie nie sauer werden konnte. Das geht nur, wenn er isst, denn sobald er eine Gabel in der Hand hat, braucht man eine Armee, um ihn aufzuhalten!"
Der "nette, fette Bär" liefert
Er mag das ein oder andere Pfund zu viel mit sich herumtragen, seiner Aura schadete dies nicht, denn sportlich aufhalten konnte Ancelotti tatsächlich keiner. Selbst als es schien, dass er auf dem absteigenden Ast sei, strafte er seine Kritiker lügen. Nach dem nur bedingt erfolgreichen Intermezzo in München, dass er selbst als "einzige bittere Erfahrung" titulierte, klopften die Topklubs nicht mehr an, obwohl auch hier Stars wie Thiago, Robert Lewandowski oder Javi Martinez vom Fußballlehrer schwärmten.
Also übernahm er erst Napoli und dann Everton, als plötzlich doch nochmal Real Madrid Interesse anmeldete. Präsident Florentino Perez erinnerte sich wahrscheinlich daran, dass es Ancelotti war, der 2014 die lange königliche Durststrecke in der Champions League beendete und endlich La Decima - also den zehnten Henkelpott - in die spanische Hauptstadt holte.
Ancelotti zahlte das Vertrauen zurück und holte nicht nur den 14. CL-Pokal, sondern auch die Meisterschaft, die Copa del Rey, die Klub-WM und den UEFA Supercup. Der nette, fette Bär hatte mal wieder abgeliefert und genau auf das hofft nun auch der brasilianische Fußballverband. Am besten schon 2024, aber spätestens 2026. Sollte es so kommen, stehen die Chancen gut, dass es auch dann wieder heißen wird: Es war am Ende keine Überraschung...