Nur noch wenige Wochen bis zur Frauen-Fußball-WM! Mit welcher Zielsetzung geht Deutschland an den Start? Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg steht im exklusiven Sky Interview Rede und Antwort. Zudem spricht sie über die erhöhte Erwartungshaltung und reagiert mit Unverständnis auf die Diskussionen um die WM-Prämie.
Sky Sport: 30 Spielerinnen sind gerade noch hier, 23 dürfen dann am Ende mit in den Flieger steigen. Wie schwer ist so ein Nominierungsprozess? Ich bin mir sicher, Sie haben schon ganz viele Spielerinnen im Kopf, die sicher dabei sind. Aber gerade bei den Wackelkandidaten - wie schwer ist das dann zu entscheiden?
Martina Voss-Tecklenburg: Die Entscheidungsfindung ist an sich nicht schwer. Insgesamt spielen viele Komponenten eine Rolle. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, die entsprechende Zeit für die Nominierung zu nehmen. Wir haben dieses Thema mit den Spielerinnen geklärt, wollen fair sein und gewisse Vergleiche ziehen. Dabei geht es darum, welche Spielerinnen fit sind, auf welchen Positionen wir gut besetzt sind beziehungsweise auf welchen wir es nicht sind. Für uns ist das Schwierige am Nominierungsprozess, den Spielerinnen mitzuteilen, dass sie nicht mitfahren. Das ist immer ein emotionaler Moment, weil wir natürlich wissen, dass jede Spielerin es verdient hätte und wirklich alles gibt, um dabei zu sein. Das hat man meiner Meinung nach auch gesehen. Wir haben eine unheimlich hohe Bereitschaft, Dinge anzunehmen und umzusetzen. Darum werden wir uns die Zeit nehmen, weiter akribisch arbeiten und dann auch eine Entscheidung treffen.
Sky Sport: In diesem Jahr sind die Vorzeichen ein wenig anders als im letzten Jahr. Der Druck ist höher. Wie gehen Sie, wie geht die Mannschaft mit dem Druck um? Wie kann man als Trainerin den Druck ein bisschen rausnehmen?
Voss-Tecklenburg: Man kann keinen Druck rausnehmen, weil wir als Mannschaft einen Erwartungsdruck an unsere eigenen Leistungen haben. Wir wissen, zu was wir in der Lage sind. Man muss Turniere spielen, um mit Druck umgehen zu können und daraus zu lernen. Ich glaube, jeder macht seinen eigenen Druck, aber der Druck kommt auch von den Mitspielerinnen, den Fans, den Familien und den Trainerinnen. Es ist immer schwerer, wenn man etwas zu verlieren, als wenn man etwas zu gewinnen hat. Das ist spürbar, wenn es dann Widerstände gibt. In diesen Momenten ist es besonders schwer, in die Stabilität der Leistung zurückzufinden und daran arbeiten wir. Wir als Trainerinnenteam geben den Spielerinnen einen sicheren Rahmen, indem wir klarstellen, wie wir spielen wollen und ihnen das nötige Selbstbewusstsein geben, dass sie an sich glauben. Am Ende gucken wir, was dabei rauskommt."
Sky Sport: Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie als Bundestrainerin dann wahrscheinlich auch nochmal eine besondere Drucksituation ist, oder?
Voss-Tecklenburg: Ich kann das mittlerweile einordnen. Als Trainerin wird man auch oft als erstes gelobt, obwohl dies meiner Meinung nach nicht fair ist, weil ich ohne mein Trainerinnenteam nur die Hälfte wert wäre. Am Ende des Tages stellt sich auch immer die Frage, was bewertet wird. Wenn nur ein Spielergebnis bewertet wird, ist das auch nicht fair, weil in unserem Team andere Komponenten sehr wichtig sind. So kommt es vor allem auf akribische, engagierte und leidenschaftliche Arbeit an. Am Ende des Turniers werden wir sehen, für was es gereicht hat. Ich bin gerne bereit, meinen Kopf in alle Richtungen hinzuhalten.
Sky Sport: Der Boom, den der Frauenfußball gerade erlebt, ist überall spürbar, auch in der Bundesliga. Wie groß ist die Angst - jetzt mal umgekehrt gefragt - wenn die WM aus irgendwelchen Gründen nicht gut laufen soll, dass der Frauenfußball dann plötzlich wieder einen Einbruch bekommt? Die Fans sind ja jetzt erfolgsverwöhnt...
Voss-Tecklenburg: Ich glaube, unsere Fans haben ein gutes Gespür dafür, warum ein möglicher Misserfolg da wäre. Als Mannschaft ist es unser Auftrag, auf den Platz zu gehen, alles zu geben, alles aus uns herauszuholen und dementsprechend professionell vorzubereiten. Meiner Meinung nach muss die Leistung immer im Gesamtkontext bewertet werden. So ist manchmal der Gegner besser oder man scheidet unglücklich aus, weil man kein Spielglück hat. Man sollte unsere Fans nicht unterschätzen, denn ich glaube, sie können das gut einschätzen. Aus diesem Grund habe ich nicht die allergrößte Sorge, dass der Frauenfußball einen Einbruch bekommt. Wir sind in vielen Themen sehr sichtbar und stark geworden. Das ist eine gute Basis, die wir weiterleben wollen. Nichtsdestotrotz wird auch wieder der Moment kommen, in dem wir ein Spiel verlieren und dann müssen wir lernen, mit den negativen Situationen umzugehen. Die Fans sind unsere größte Unterstützung. Nach dem Spiel gegen Vietnam waren die Stimmung und der Zuspruch der Fans besonders schön.
Sky Sport: Welches sportliche Ziel haben Sie für die WM definiert?
Voss-Tecklenburg: Wir wollen den Titel holen. Wir wollen um den Titel mitspielen, aber das wollen andere Teams auch. Meiner Meinung nach gibt es neun bis zehn Mannschaften, die die Qualität haben. Trotzdem dürfen wir unser Ziel nicht minimieren. Wir haben unser Ziel definiert und wollen am liebsten jedes Spiel gewinnen. Ob uns das gelingt, wissen wir noch nicht, aber wir trauen uns das zu. Wir können das schaffen, wenn wir alle Spielerinnen auf dem Platz haben, die auch schon gewisse Erfahrungswerte haben. Das Entscheidende ist, dass wir die Dinge umsetzen, die uns stark gemacht haben. Als Trainerinnen-Team werden wir sehr intensiv dranbleiben, aber wir haben großes Vertrauen in unsere Spielerinnen.
Sky Sport: Also das Ziel ist ganz klar der dritte Stern auf dem Trikot, Was erwarten Sie denn generell von dem Turnier in Australien und Neuseeland?
Voss-Tecklenburg Ich hatte das Glück, dass ich schon zweimal dort sein durfte. Australien und Neuseeland sind zwei sportaffine und begeisterte Länder. Daher wird die Stimmung großartig und es wurden schon sehr viele Tickets verkauft. Neuseeland hat eine lange Historie im Frauenfußball. Sie waren von Anfang an bei den Turnieren und bei den Olympischen Spielen dabei. Australien hat in den letzten Jahren sehr viel für den Frauenfußball getan. Deshalb glaube ich, dass es stimmungsmäßig eine wirklich gute Weltmeisterschaft wird.
Sky Sport: Letztes Jahr war es der Teamgeist, der am Ende auch dazu beigetragen hat, dass Sie so erfolgreich waren. Inwiefern ist dieser Teamgeist, diese Dynamik jetzt schon spürbar?
Voss-Tecklenburg: Die Dynamik ist bereits spürbar, aber sie wird auf jeden Fall steigen, wenn die Kader-Nominierung vorbei ist. Diese Unsicherheiten und Fragezeichen spürt man und sind auch normal. In Australien werden sich diese Dinge entwickelt und geklärt haben. Ich mache mir daher keine Sorgen, da wir im Teamprozess sehr weit sind. Nichtsdestotrotz muss dieser Teamprozess von innen heraus geschehen. Das können wir als Trainerinnenteam nicht diktieren. Da können wir so viele Team Events machen. Es muss von der Mannschaft gelebt und gespürt werden.
Sky Sport: Große Schlagzeilen haben jetzt auch die Prämien für die Frauen gemacht. Wie ist Ihre Einschätzung jetzt zu diesem Thema Prämien?
Voss-Tecklenburg: Wir verstehen die Kritik an den Prämien nicht. Man muss immer sehen, wo wir herkommen. Die Prämien haben sich vor allem aufgrund der FIFA und der UEFA verändert. Die Verbände kriegen die Gelder, die bei dieser Weltmeisterschaft generiert werden, und geben sie weiter. Das ist beim DFB nicht anders. Wir haben immer gesagt, dass es für uns um das große Ganze geht. Es geht um die gesamte Entwicklung des Mädchen- und Frauenfußballs, auch im DFB. Insgesamt gibt es noch einige Themen, in denen wir noch Potenzial und Ansprüche haben. Daher war die Kritik an den Prämien nie ein Thema für uns in der Mannschaft, weil es auch medial reingetragen wurde.
Sky Sport: Für einige verdiente Spielerinnen ist es möglicherweise das letzte große Turnier. Hat man diese Gedanken schon im Hinterkopf, dass es möglicherweise für große und gestandene Spielerinnen das letzte Turnier sein kann?
Voss-Tecklenburg: Ein stückweit denkt man immer an ein mögliches letztes Turnier einiger Spielerinnen. Ich sage immer, dass die Spielerinnen weiterspielen können, solange sie performen, gesund sind und spielen. Am Ende ist es trotzdem vom Turnierverlauf abhängig, auch aus persönlicher Sicht. Das ist nicht planbar. Eine Weltmeisterschaft kann sowohl schöne als auch traurige Geschichten schreiben. Wir werden uns darüber Gedanken machen, wenn es soweit ist. Uns ist bewusst, dass wir einige Spielerinnen haben, die am Ende ihrer Karriere stehen und in ihrem Alter vielleicht andere Pläne verfolgen, wie zum Beispiel Familienpläne. Wenn es dazu kommt, dass einige Spielerinnen aufhören, dann ist es unser Job, dass andere Spielerinnen in diese Fußstapfen hineinwachsen können. Mir wäre am liebsten, wenn alle noch ein bisschen länger in der Nationalmannschaft spielen.
Sky Sport: Wie sieht es denn bei Ihnen persönlich mit der familiären Unterstützung vor Ort aus? Ist jetzt nicht mal so eine kurze Reise wie nach England, die man mal eben antreten kann. Auf wen können Sie sich freuen?
Voss-Tecklenburg: Ich kann mich auf meinen Mann und seinen Sohn freuen. Die beiden werden das ganze Turnier über vor Ort sein. Die Unterstützung der restlichen Familie werde ich täglich über andere Kanäle erhalten.
Sky Sport: Abschließend: Wie sehr mussten Sie eigentlich lachen, als Sie jetzt als Hansi-Flick-Nachfolgerin ins Gespräch gebracht wurden?
Voss-Tecklenburg: Ich kann das mit einem Augenzwinkern ganz gut annehmen, aber ich bin froh, dass Hansi Flick bei der deutschen Nationalmannschaft der Männer ist. Wir wollen alle wieder Erfolge für den ganzen DFB. Für mich ist das überhaupt kein Thema. Ich habe einen tollen Job. Trotzdem ist es schön, wenn man diesbezüglich thematisiert wird. Wir haben immer betont, dass der Trainerjob im Männerfußball unabhängig vom Geschlecht ist. Im Frauenfußball gibt es diese Vorbilder noch nicht und deshalb kann ich diese Gerüchte gut einordnen. Wir drücken den Jungs die Daumen, dass sie wieder zurück in die Leistungsspur finden.
Das Interview führte: Lisa de Ruiter