Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Fußball. Dieses Mal beschäftigt er sich mit der Trennung von Bundestrainer Hansi Flick und sieht im Timing ein zentrales Problem beim DFB.
Muss man denn jetzt auch noch über den Zeitpunkt der Veröffentlichung mosern? Kann man sich die Kritik daran, dass der DFB die außerordentlich überfällige Freistellung des Bundestrainers, punktgenau in die Crunchtime des Basketball-WM-Finales katapultierte, nicht sparen? Einfach mal gut sein lassen und mit Verständnis darauf reagieren, dass die beteiligten Entscheidungsträger am historischen Tiefpunkt der Nationalmannschaft nicht auch noch darauf achten können, dass am anderen Ende der Welt gerade ein Höhepunkt der deutschen Sport-Geschichte vor der unmittelbaren Vollendung steht?
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Natürlich könnte man das. Der irritierende Partycrasher passt aber nun mal unangenehm gut in die Reihe der Instinktlosigkeiten, die schließlich auch dazu geführt haben, dass es in der Flick-Affäre keine andere Möglichkeit mehr gab, als die Notbremse zu ziehen. Das Timing ist ein zentrales Problem beim DFB.
Den Bundestrainer nach einem Aus in der WM-Vorrunde weiterwurschteln zu lassen, hat ja mittlerweile Tradition. Nach dem erschütternden Abschluss des Turniers in Katar war eben nur fast jedem klar: In dieser Konstellation geht nichts. Nothing at all! Die Lautstärke der öffentlichen Erregung nach dem gestrigen 1:4 gegen Japan ist dementsprechend irritierend.
Schwerwiegender Akt der unterlassenen Sorgfaltspflicht
Nach Indizien, dass Flick das nötige Format besitzt, um auf dem gefragten Niveau als Leitliniengeber zu fungieren, wird schließlich seit Monaten vergeblich gefahndet. Der Verdacht, dass die bisweilen bedrückenden öffentlichen Auftritte des Bundestrainers sich nicht maßgeblich von der internen Routine unterscheiden, ist ja auch nicht neu. Der verstörende Blick auf die verzweifelten und vergeblichen Flick-Versuche, eine Gruppe aus Hochbegabten zu begeistern und mit Führungsstärke von seinem Weg zu überzeugen, wurde in der Amazon-Doku für jedermann freigelegt.
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Bernd Neuendorf stand diese Perspektive bereits während der WM zur Verfügung. Dem DFB-Präsidenten fehlten jedoch Schneid und Rückhalt, um nach dem erneut unerwünscht frühzeitigen WM-Aus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Ein schwacher Verbandsboss ließ einen schwachen Trainer im Amt. Ein schwerwiegender Akt der unterlassenen Sorgfaltspflicht, der den deutschen Fußball neun Monate vor Beginn der Heim-EM nun einholt. Überraschen kann das niemanden!
Mit dem hektisch gebildeten Arbeitskreis - bestehend aus selbstbewussten Veteranen - hatte Neuendorf seinerzeit versucht, sich ein bisschen Zeit zu verschaffen. Ein durchschaubares Manöver, aber okay: Wenn die Strategie dabei geholfen hätte, abseits des öffentlichen Dauerdrucks gewinnbringende Entscheidungen zur Beschlussreife zu treiben, wäre dem Präsidenten zu Recht ein intelligenter Schachzug attestiert worden. Davon kann aber bislang keine Rede sein.
Einer, der sich nichts traut und einer, der alles zerstört
Dass Watzke & Co. kaum mehr zu bieten haben, als breitbeinige Muskelspiele, wurde dann in der vergangenen Woche abermals überdeutlich. Die Ideen zur Verbesserung der Nachwuchsarbeit mit plumpen Bierzelt-Parolen ins Lächerliche zu ziehen, hilft möglicherweise bei Unternehmenstagungen in Essen dabei, sich selbst mit billigem Applaus zu beschenken. Der dringend erforderlichen Kreativ-Kultur im Verband hat Watzke mit seinen polemischen Einlassungen hingegen einen derben Nackenschlag verpasst. DFB-Boss Neuendorf und DFB-Vize Watzke - einer, der sich nichts traut und einer, der alles zerstört, was er nicht ans eigene Revers heften kann. Blühende Fußball-Landschaften sind in dieser Konstellation nur mit sehr viel Fantasie zu erwarten. Und kluge Entscheidungen, die die notwendige Soforthilfe mit Blick auf die Heim-EM und mittelfristige Perspektiv-Ideen unter einen Hut bringen? Na ja …
STIMMT AB!
Flick in Dortmund gegen das vor Weltklassespielern überquellende französische Star-Ensemble ins Stahlbad zu zwingen wäre unanständig gewesen. Sammer, Glasner, Nagelsmann oder Magath als Entree einen Abschuss von Mbappe & Co. aufzubürden wäre der nächste Schritt ins EURO-24-Verderben. Zugegebenermaßen ein kompliziertes Dilemma - und wieder mal nur ein Ausweg: Wenn nichts mehr geht, macht's halt der Rudi. Die desolate Gemengelage hat abermals eine zappelige Rettungsaktion notwendig gemacht. Heraufbeschworen durch eine über Jahre etablierte Aussitzer-Mentalität und unbelegbare Hoffnungen darauf, dass Besserung vom Himmel fällt. Das hat sowohl bei Löw als auch bei seinem Nachfolger Flick mit Ansage in die sportliche Sackgasse geführt.
Im Kreis der deutschen Elite-Trainer wird Flick als freundlicher und respektvoller Kollege geschätzt. Was seine sportlichen Qualitäten anbelangt, haben hingegen nicht wenige Fachkräfte erhebliche Zweifel. Der Neid der Möchtegern-Bundestrainer? Eher nicht.
Flick-Trennung allein reicht nicht aus
Die Beobachtung, dass der unglückselige Übungsleiter Schwierigkeiten hat, mit konstruktiv-kritischen Empfehlungen umzugehen, ist keine Einzel-Einschätzung. Wenn's nicht läuft - so wird geraunt -, schottet Flick sich ab, schrumpft den Kreis um sich herum so eng wie es nur irgendwie geht. Sich ein offenes Ohr für zielführende Verbesserungsvorschläge zu leisten, ist für einen Bundestrainer zweifellos ein anstrengender Luxus. Bei der Nationalmannschaft will schließlich jeder mitquatschen. Die kompetenten Ratgeber zu identifizieren, die tatsächlich sinnvollen Input beisteuern können, ist hingegen eine Qualität, die sich in Krisenzeiten als hilfreich erweisen könnte. Das sah Flick offenbar anders. Jetzt wurde er selbst zum Außenstehenden degradiert
Bis zur EM geht es nun also darum, alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um das Blamagen-Risiko möglichst gering zu halten. Der erste dringend notwendige Schritt in dem Zusammenhang war, Flick und seinem Trainerteam sofort und konsequent das EURO-24-Mandat zu entziehen. Mit Blick auf die mittelfristige Zukunft des deutschen Fußballs reicht das aber natürlich bei weitem nicht aus.
Bis Wolke 7 ist es ein weiter Weg
Es braucht einen Ruck der robusten Sorte - bereits seit Jahren. Besitzstandswahrer und manche eitel gespreizten Landesfürsten haben grundlegende Reformen bislang erfolgreich verhindert und den Enthusiasmus wohlwollender Überzeugungstäter rabiat zerbröselt. Den kürzlich lancierten Geheimplan, Nadine Keßler sei eine Kandidatin für die DFB-Sport-Direktion, hielten nicht wenige für ein verbandsintern kreiertes Manöver, um Offenheit und Veränderungsbereitschaft zu suggerieren. Am Sonntag gab die ehemalige Weltfußballerin dem DFB einen Korb.
Die Befürchtung, dass es noch ein paar Jahre nach Art des Hauses weitergehen und somit immer nur noch schlechter werden wird, ist daher keineswegs unrealistisch. "Hinter dem Horizont geht's weiter", hat Udo Lindenberg schon 1987 versprochen. Der Weg dorthin ist aus DFB-Sicht derzeit aber noch verhangen mit einer dichten Front aus dunklen Wolken.
Bis Wolke 7 ist es übrigens ein erhebliches Stück weiter. Die deutschen Basketballer kennen die Koordinaten fürs Navigationssystem. Neuendorf und dessen Mitstreiter können ja mal nachfragen, wie man dorthin findet - sofern es deren Timing erlaubt.
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