Andries Jonker war der Co-Trainer von Louis van Gaal beim FC Barcelona und beim FC Bayern. In München war er auch Interimscoach. Heute trainiert er den niederländischen Zweitligisten Telstar. Im Sky Interview spricht er über die Trainersuche beim FCB und seinen Landsmann Erik ten Hag.
Sky Sport: Herr Jonker, Karl-Heinz Rummenigge hat Hansi Flick auf der Jahreshauptversammlung eine Jobgarantie bis mindestens Weihnachten gegeben. Glauben Sie, dass Flick auch über den Winter oder sogar den Sommer hinaus Cheftrainer des FC Bayern bleiben könnte?
Andries Jonker: Ich glaube, dass das Vertrauen in Hansi Flick mit jedem Sieg wachsen wird. Dann werden sich die Bayern-Verantwortlichen die Frage stellen, ob sie einen neuen Trainer brauchen. Wenn Flick weiter gewinnt, gibt es keinen Grund, im Winter zu wechseln. Das würde nur Unruhe bringen. Ich glaube, dass er zumindest bis zum Sommer Trainer bleibt. Natürlich werden mit jedem großen Namen, der frei wird, neue Spekulationen kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Pochettino im Winter kommt, wenn Flick bis dahin weiter gewinnt.
Sky Sport: Würde Pochettino denn zu Bayern passen?
Jonker: Er würde aufgrund seiner Erfahrung und der Art, wie er seine Mannschaft hat spielen lassen, schon passen. Aber er hat auch den Ruf, dass er sehr viel von sich selbst, von seinem Trainerstab und von seinen Spielern fordert. Bayern müsste sich, wie bei van Gaal und Guardiola, darauf einstellen. Das bringt immer etwas Unruhe mit sich. Daher glaube ich: Wenn Flick gewinnt, ist er die einfachste Lösung. Wenn er sich mit den Bossen, Spielern und Medien gut versteht, glaube ich, dass er bis zum Sommer bleibt. Wenn er auch bis zum Sommer erfolgreich ist, spricht vieles dafür, dass er Trainer bleibt.
Sky Sport: Zuletzt gab es Spekulationen, dass Pep Guardiola zum FC Bayern zurückkehren könnte. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Jonker: Ich glaube, dass es eine schöne Ehe war zwischen Bayern und Guardiola. Aber es ist immer riskant, zu einem Verein zurückzugehen, bei dem man sehr erfolgreich war. Es wäre ein Risiko für Guardiola, aber auch für die Bayern. Aus eigener Erfahrung kann ich mir vorstellen, dass es Guardiola sehr gut gefallen hat, in München zu leben. Aber es ist noch einmal eine andere Sache, beim FC Bayern Trainer zu sein. Es ist auch die Frage, ob der Verein es noch einmal will, dass ein Trainer einen so großen Einfluss hat und viele Landsleute mitbringt, so wie er es damals getan hat.
Sky Sport: Könnte Flick dafür sorgen, dass mehr Kontinuität in den Verein kommt?
Jonker: Das könnte schon sein. Zuerst müsste man aber eine eigene klare Philosophie entwickeln. Man hat ein wunderschönes Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut und ich glaube, man will auf die Jugend setzen. Ideal wäre es, junge Spieler zu holen und auszubilden und einen Cheftrainer zu haben, der den Mut hat, diese Jungen spielen zu lassen.
Sky Sport: Ajax Amsterdam mit Cheftrainer Erik ten Hag hat zuletzt große Talente wie Frenkie de Jong oder Matthijs de Ligt hervorgebracht, die jetzt bei Barca und Juventus Turin spielen. Was macht Ajax besser als Bayern?
Jonker: Der Spielstil von Ajax ist heute kaum anders als in den ruhmreichen Siebzigern, auch bei Barca gibt es eine typische Philosophie. Sie haben eine Spielweise, an die sich jeder Trainer anpasst. Du kannst nicht zu Ajax kommen und sagen: "Wir spielen jetzt 4-4-2 und auf Konter." Die Fans und Sponsoren würden fragen: "Was? Das geht nicht, das passt nicht!" Die Spielweise und Trainingsinhalte sind über Jahrzehnte im Jugendbereich gleich geblieben. Bei anderen Vereinen sind sie abhängig vom Trainer, Sportdirektor oder Vorstand. Bei Ajax und Barca ist nicht nur wichtig zu gewinnen, die Art und Weise ist genauso wichtig.
Sky Sport: Können Sie Beispiele nennen?
Jonker: Charlie Rexach (Carles, Rexach, ehemaliger Barca-Profi und Ex-Trainer, Anm. d. R.) hat mir damals erzählt, dass sie zu seiner Zeit mal zur Halbzeit 7:0 geführt haben, am Ende aber ausgepfiffen wurden, weil den Zuschauern die zweite Halbzeit nicht gefallen hat. Frank de Boer war mit Ajax als Cheftrainer in sechs Jahren vier Mal Meister und zweimal Vizemeister, aber am Ende wurde er kritisiert, weil die Spielweise nicht aufregend war.
Sky Sport: Welchen Anteil hat Erik ten Hag an diesem Erfolg?
Jonker: Er hat Ajax seinen Stempel aufgedrückt. Nach Ballverlust wird versucht, den Ball ganz schnell zurück zu gewinnen. Es gibt sehr viel Bewegung und Tempo in der Mannschaft und dazu einige individuell sehr fähige und kreative Spieler. Diese Mischung ist ähnlich wie in Barcelona, die Messis bei Ajax heißen Tadic, Ziyech und Neres. Die können etwas am Ball und im Eins gegen eins. Sie spielen nicht breit und zurück, sondern sie spielen nach vorne. Das ist schön anzuschauen, allerdings noch immer manchmal abenteuerlich und naiv, so wie im Champions-League-Halbfinale gegen Tottenham. Ten Hag schafft es mit Ajax, diese typische Art von Fußball auf europäischer Ebene zu spielen.
Sky Sport: Wenn man sich bei den Bayern-Fans umhört, scheint ten Hag ihr Favorit auf den Cheftrainerposten zu sein. Auch weil er schon einmal in München gearbeitet hat. Glauben Sie, dass er der Richtige sein könnte?
Jonker: Er könnte es schon sein. Aber ein Trainer wie er braucht Zeit. Auch ten Hag hatte in seiner Anfangszeit bei Ajax einmal in einem Test gegen eine unterklassige Mannschaft aus Amsterdam nur 2:2 gespielt. Er wäre fast entlassen worden. Erik hat damals von Ajax-Sportdirektor Marc Overmars sehr viel Unterstützung bekommen und durfte weitermachen. Würde er nach München kommen, würde es vielleicht nicht sofort funktionieren. Eriks Art zu spielen braucht Erklärung, Zusammenarbeit und Übung: Offensivfußball, Pressing in der gegnerischen Hälfte. Das ist viel schwieriger als nur dafür zu sorgen, dass deine Mannschaft organisiert ist und deine individuell fähigen Spieler das Spiel entscheiden.
Sky Sport: So lief es aber zuletzt in München oft. Heißt das, Bayern müsste bereit sein, ein Risiko einzugehen und offen sein für einen radikalen Schritt?
Jonker: Das haben sie schon bei Louis van Gaal gemacht und bei Pep Guardiola. Er hat seinen eigenen Stil verfolgt. Damals haben die Spieler auch gesagt: "Der erklärt schon sehr viel." Aber am Ende hatte er Recht.
Sky Sport: Würde es eine Rolle spielen, dass der Name ten Hag nicht so groß ist wie der Name Guardiola?
Jonker: Ja. Bayern ist ein so großer Verein. Sie kaufen lieber Coutinho als einen unbekannten Spieler und sie holen lieber Guardiola als ten Hag. Aber sie wissen mittlerweile auch, dass man einen Spieler wie Müller aus den eigenen Reihen hochziehen kann, der dann zum Weltstar wird. Und sie wissen auch, dass man einen Trainer holen kann, der es dann doch richtig gut macht. Das ist die Entscheidung, die die Bayern treffen müssen.
Sky Sport: Wie nimmt man den FC Bayern in den Niederlanden wahr und welche Entscheidung würde ten Hag treffen, wenn er ein Angebot bekäme?
Joker: Viele Leute in den Niederlanden schauen eher nach Barcelona, Madrid oder Manchester als nach München. Die wissen gar nicht, wie groß der FC Bayern ist. Aber Erik weiß das. Er war zwei Jahre in München und er ist kein Dummkopf. Ich habe keinen Zweifel dass er, wenn er die Möglichkeit am Ende der Saison bekommt und sich mit erhobenem Haupt aus Amsterdam verabschieden kann, natürlich zu Bayern gehen würde. Bayern ist so viel größer als Ajax, natürlich würde er das machen.
Sky Sport: Auch der Name Thomas Tuchel fällt immer wieder im Zusammenhang mit den Bayern. Was würde für Tuchel, und was würde für ten Hag sprechen?
Jonker: Tuchel ist Deutscher, er kennt die Bedeutung des FC Bayern. Er hat in Dortmund gut gearbeitet, die Auslandserfahrung in Paris hat ihn besser gemacht. Mit ten Hag käme das Konzept rein, mit Tuchel vielleicht kein ganz klares Konzept, aber vielleicht der Erfolg. Der Weg mit ten Hag ist mit Sicherheit schwieriger.
Sky Sport: Aber vielleicht nachhaltiger?
Joker: Das könnte sein. Die Frage ist, was Rummenigge und Hoeneß wollen.