In früheren schwierigen Zeiten, in denen der FC Bayern unter anderem am divenhaften Auftreten seiner Stars verzweifelte, wurde für die Münchner der Name FC Hollywood geboren. Diesem macht der FC Bayern auch in der aktuellen Phase alle Ehre - wenn auch aus einem komplett anderen Blickwinkel. Die Gala gegen Kiew zeigt: Julian Nagelsmann hat den FC Hollywood 2.0 geschaffen.
Hollywood ist nicht einfach nur ein Stadtteil der US-amerikanischen Metropole Los Angeles, sondern das weltbekannte Zentrum der Filmindustrie. Die geballte Ansammlung von Stars aus der Branche verpasst Hollywood ein Glitzer- und Glamour-Image. Emotionen, Action, Kurzweiligkeit sind weitere drei Eigenschaften, die viele Menschen mit den Hollywood-Produktionen und Blockbustern assoziieren.
Was das mit dem FC Bayern zu tun hat? Sehr viel! Denn der Rekordmeister galt vor etlichen Jahren als der FC Hollywood der deutschen Fußballbranche: viele Stars, viele Geschichten und häufig auch divenhafte Eitelkeiten, wenn es um das Vertreten von Eigeninteressen ging. In der aktuellen Saison unter Neu-Coach Julian Nagelsmann scheint der Mythos des FC Hollywood wieder aufzuleben - allerdings aus einem ganz anderen Grund. Eitelkeiten gibt es beim FC Bayern derzeit nicht - zumindest werden sie nicht öffentlich zur Schau gestellt. Die Spielweise und das Auftreten der Münchner unter ihrem neuen Trainer stehen aber für Emotionen, Action und reichlich Spaß.
Nagelsmann avanciert zum Produzenten des FC Hollywood 2.0. Das hat die Gala in der Champions League gegen Dynamo Kiew gezeigt. Sky Sport liefert dafür beispielhaft fünf Hollywood-reife Erkenntnisse.
1. Haupt- statt Nebenrolle: Nagelsmann bekommt Sorgenkinder in die Spur
Mit viel Vorfreude und großen Erwartungen wurde im Sommer 2020 die Ankunft von Leroy Sane an der Säbener Straße erwartet. Auch deshalb zahlte der FC Bayern die stattliche Summe von 45 Millionen Euro an Manchester City. Doch Sane fand beim deutschen Rekordmeister unter Nagelsmann-Vorgänger Hansi Flick nie konstant zu seiner Form. Auch unter dem neuen Trainer verlief der Start für Sane holprig und mündete sogar bei der vorzeitigen Auswechslung gegen den 1. FC Köln in einem Pfeifkonzert der Fans. Sane schien beim FC Bayern endgültig in einer Nebenrolle zu versauern.
Doch in den letzten Wochen legte der Flügelspieler eine filmreife Entwicklung hin. Mit konstant starken Leistungen und vor allem Torbeteiligungen spielte sich der gebürtige Essener dauerhaft in die Startelf. Vier Treffer und sieben Assists in wettbewerbsübergreifend zehn Saisonspielen lesen sich mehr als ordentlich. "Ich arbeite immer hart an mir und wusste, dass es hier hart sein wird, weil sehr viel Druck auf einem lastet", erklärt Sane nach dem 5:0 gegen Kiew seine Situation beim FC Bayern gegenüber DAZN. "Aber ich versuche, mich immer auf mich selber zu konzentrieren, ruhig zu bleiben und gute Leistungen zu bringen, was in den letzten Wochen gut klappt. Das will ich beibehalten."
Ein Faktor für die Leistungsexplosion scheint auch Coach Nagelsmann zu sein, der Sane Freiheiten bei der Entfaltung seiner Qualitäten lässt. "Es ist für jeden Spieler wichtig, dass der Kopf frei ist, damit er seine Leistung bringen kann. Wir haben Leroy nicht speziell behandelt, auch nicht nach den Pfiffen gegen Köln. Es ist nicht ratsam, alles immer 25-mal zu besprechen, sondern man muss ihn auch einfach mal machen lassen. Er ist ein herausragender Spieler mit einem sehr guten Charakter, das hat er heute gezeigt."
Ähnlich verläuft die Entwicklung auch bei Bayerns Rekordtransfer Lucas Hernandez. Der Franzose quälte sich in der Vergangenheit immer wieder mit Verletzungen herum. Der kometenhafte Aufstieg von Alphonso Davies auf der linken Abwehrseite tat dann sein Übriges, um Hernandez dauerhaft eine Nebenrolle zu verpassen. Doch unter Nagelsmann schlüpft der 25-Jährige in seine optimale Rolle in der Innenverteidiung bzw. als linker Part einer Dreierkette. Mit defensiv hohem Engagement, guten Diagonalbällen und offensiven Ausflügen bringt sich Hernandez immer wieder gut ins Münchner Spiel ein und verdiente sich so gegen Kiew die Note 2. Hernandez scheint bereit, noch mehr Verantwortung zu übernehmen.
Die Noten der Bayern-Stars gegen Dynamo Kiew zum Durchklicken
Dies ist auch bei Niklas Süle der Fall. In den vergangenen Jahren tat sich der deutsche Nationalspieler schwer, Fuß beim FC Bayern zu fassen. Regelmäßig musste er sich hinter dem Duo David Alaba und Jerome Boateng anstellen. Zudem sah sich der 26-Jährige immer wieder Vorwürfen von mangelnder Fitness ausgesetzt. Doch unter Nagelsmann, den Süle bereits aus seiner Hoffenheimer Zeit kennt, blüht der Verteidiger regelrecht auf und avanciert durch seine Flexibilität (Innenverteidigung + Rechtsverteidigung) zum Stammspieler. Schlechte Fitnesswerte sind dem gebürtigen Frankfurter ebenfalls nicht mehr zu unterstellen. Gegen Kiew beackerte Süle die rechte Seite über 90 Minuten und gefiel dabei mit zahlreichen Dribblings und Vorstößen. Kein Wunder, dass er nach dem Spiel von den Fans mit Sprechchören gefeiert wurde.
2. Top Besetzung in allen Bereichen - ohne Qualitätsabfall
Neben der Handlung hängt der Erfolg eines Films auch von der Besetzung der Rollen ab. Je besser jede einzelne ausgefüllt wird, desto wahrscheinlicher ist ein Durchbruch. Dabei gilt es auch, den Schauspielern der kleineren Rollen deren Wichtigkeit für das Gesamtprojekt zu vermitteln.
Dies gelingt auch Regisseur und Produzent Nagelsmann auf beeindruckende Art und Weise beim FC Bayern. Egal wer spielt oder eingewechselt wird - ob Sane, Serge Gnabry, Jamal Musiala oder Eric Maxim Choupo-Moting - liefert auch. Bestes Beispiel hierfür ist das Duell gegen Kiew. Gnabry und Sane standen in der ersten Elf und zeigten über 69 respektive 79 Minuten eine starke Vorstellung inklusive Treffer. Als für beide Feierabend war, kamen Musiala und Choupo-Moting ins Spiel. Doch anders als bei vielen anderen Teams erlebte das Münchner Spiel dadurch überhaupt keinen Einbruch. Während Musiala mit sehenswerten Dribblings begeisterte, trug sich Choupo-Moting mit seinem Treffer zum 5:0 noch in die Torschützenliste ein. Es zeigt also: Beim FC Bayern herrscht auch in der zweite Reihe bzw. bei den kleineren Rollen eine hohe Qualität, die es Nagelsmann ermöglicht, (fast) alle Spieler durch regelmäßige Einsätze bei Laune zu halten.
3. Action-Offensive überrollt nahezu jeden Gegner
Richtig Laune macht beim FC Bayern in diesen Tagen besonders die Offensive. Diese erinnert an einen kurzweiligen Action-Thriller mit zahlreichen "Luftanhalte"-Momenten. Bestes Beispiel: das 3:0 in der 68. Minute durch Gnabry. Nach einem Angriff von Kiew ist es Süle, der den Ball per langen Befreiungsschlag Richtung Mittellinie auf Sane schlägt. In der Zeit, in der der Ball unterwegs ist, macht sich bereits Gnabry im Vollsprint auf der rechten Seite auf den Weg. Sane sieht seinen Nebenmann, spielt im richtigen Moment ab. Mit einer fließenden Bewegung nimmt Gnabry den Ball mit, zieht von der Strafraumgrenze ab und hämmert die Kugel mit Hilfe der Latten-Unterkante in die Maschen. Ein Angriff wie aus dem Drehbuch!
Dass dies keine Eintagsfliege war, zeigt die Statistik - inklusive Nagelsmann-Rekord. Denn der noch junge Coach erreichte bereits nach sechs Bundesliga-Spielen mit seinem neuen Klub eine Bestmarke. 23 Tore an den ersten sechs Spieltagen gelangen bislang noch keinem Team. Hinzu kommen die acht Tore aus der Champions League und die zwölf Treffer vom Schützenfest in der 1. DFB-Pokalrunde. Wo der FC Bayern auftaucht ist also für Spektakel gesorgt.
4. Emotionales Verteidigen bringt Stabilität
Eine weitere Grundlage für einen guten Film und dessen Schauspieler sind die Emotionen - in jeglicher Form. Dies ist auch beim FC Bayern so: ohne eine leidenschaftliche und stabile Defensive keine furiosen Auftritte. Das Verhalten in der Defensive ist das Fundament eines erfolgreichen Spiels.
Wenn beim Stand von 5:0 eine Abwehraktion von Dayot Upamecano mit enthusiastischem Jubel bedacht und als Szene des Spiels betitelt wird, sagt dies viel über das Spielverständnis des FC Bayern aus. "Die beste Szene war, als Upamecano in der 89. Minute einen Querpass klärt und jubelt, dass wir zu null spielen. Das ist ein großer Schritt, den wir gehen, und das ist sehr wichtig", zeigt sich Nagelsmann zufrieden. Gegen Kiew ließ der Rekordmeister insgesamt nur zwei gegnerische Schüsse auf den Kasten von Manuel Neuer zu.
Auch in der Ergebnis-Entwicklung zeigt sich, dass der FC Bayern defensiv immer mehr zu seiner Topform findet. In den letzten sieben Pflichtspielen - nach dem 3:2 gegen Köln - kassierten die Münchner nur noch zwei Gegentreffer.
5. Hunger & Gier nach weiteren Auszeichnungen
Beim FC Bayern stehen zahlreiche Spieler unter Vertrag, die in ihrer Vereins-Karriere eigentlich schon alles gewonnen haben. Doch innerhalb des Teams herrscht eine schier greifbare Gier nach weiteren Erfolgen, Trophäen und Auszeichnungen. Dies wurde auch beim fast 90-minütigem Pressing gegen Kiew - unabhängig vom aktuellen Spielstand - wieder einmal mehr als deutlich.
"Das ist die Charakterstärke dieses Teams. Sie stacheln sich gegenseitig an und wollen immer weiter Erfolge feiern, ruhen sich nicht auf dem Erreichten aus und haben immer den Anspruch, noch den nächsten Schritt zu gehen. Wenn man bei Bayern München oder einem anderen Weltverein spielt, dann hat das Gründe, und manchmal hat es auch mit der Gier und dem Charakter zu tun. In diesem Punkt ist unsere Mannschaft sehr vorbildlich", findet Nagelsmann reichlich Lob für sein Team.
Und bis zur nächsten Auszeichnung ist es auch nicht mehr lange. Der Ballon d'Or - quasi der Oscar unter den Fußball-Auszeichnungen - für den besten Spieler des Jahres wird im November verliehen.
Gut möglich, dass auch der eine oder andere Kandidat des FC Bayern unter den Nominierten weilt. Denn immerhin befinden wir uns aktuell in der Zeit des FC Hollywood 2.0.
Alles zur UEFA Champions League auf skysport.de:
Alle News & Infos zur UEFA Champions League
Spielplan zur UEFA Champions League
Ergebnisse zur UEFA Champions League
Tabellen zur UEFA Champions League
Videos zur UEFA Champions League
Liveticker zur UEFA Champions League
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.