22 Punkte Rückstand auf Manchester City, keine Champions League und der größte Umbruch in der Ära Jürgen Klopp. Während sich die Reds mit dem Kapitänswechsel und einem umgekrempelten Mittelfeld für eine neue Ausrichtung entschieden haben, bleibt eine entscheidende Frage bestehen: Kann Liverpool wieder oben mitspielen?
"Hi Skipper, wir werden dich vermissen", verabschiedete Teammanager Jürgen Klopp seinen langjährigen Kapitän Jordan Henderson in einer emotionalen Videobotschaft. "Es ist nicht für immer, sondern nur ein auf Wiedersehen. (…) Wenn es dir noch niemand erzählt hat, du bist eine Legende."
Nach zwölf Jahren im Klub verließ Henderson den LFC in Richtung Saudi-Arabien. Er wird bei Al-Ettifaq FC unter der Leitung von Liverpool-Ikone Steven Gerrard zusammenarbeiten. Der Kapitän ist von Bord gegangen, zahlreiche Routiniers wie Fabinho (für 46,70 Millionen Euro zu Al-Ittihad gewechselt), Roberto Firmino (Al-Ahli), Naby Keita (Werder Bremen), James Milner (Brighton & Hove Albion), Alex Oxlade-Chamberlain (alle ablösefrei, noch vereinslos) sind ebenfalls nicht mehr da.
Dazu ist das erfolglose Kapitel mit Juve-Leihgabe Arthur beendet worden. Nimmt man die prominenten Abgänge genauer unter die Lupe, wird ein Trend deutlich: Mit Ausnahme von Firmino sind ausschließlich zentrale Mittelfeldspieler transferiert worden.
Wie löst Klopp das Mittelfeld-Problem?
"Das war vor der Saison schon ein Schwachpunkt und wird Liverpool dazu zwingen, noch den einen oder anderen gestandenen Profi hinzunehmen zu müssen", machte Sky Premier-League-Experte Raphael Honigstein bei Sky Sport deutlich. In der vergangenen Spielzeit zeigte vor allem das Mittelfeld erhebliche Defizite in den Punkten Konterabsicherung, Kreativität und Torgefahr.
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Zu häufig hat sich die Zentrale überrennen lassen, zu häufig musste Klopp (auch aufgrund von Verletzungen) durchrotieren, zu selten war das Mittelfeld an Toren beteiligt. So erzielten die Spieler der "Schaltzentrale" über die gesamte Saison gesehen gerade einmal acht Treffer. Zu wenig für die Ansprüche des FC Liverpool.
Neue Elemente dank Mac Allister und Szoboszlai
Nun wird das zugegeben in die Jahre gekommene Mittelfeld langsam aber sicher ausgetauscht, ein neues muss zusammenwachsen. "Dieser Umbruch ist jetzt notwendig", betont Honigstein. Ein großer Schritt ist mit den Neuverpflichtungen von Weltmeister Alexis Mac Allister (dank einer Ausstiegsklausel für 42 Millionen Euro aus Brighton verpflichtet worden) und Leipzigs Dominik Szoboszlai (Ausstiegsklausel von 70 Millionen Euro gezogen) bereits getätigt worden.
"Die beiden sind Top-Spieler, sehr, sehr jungen und trotzdem schon sehr, sehr gut", lobte auch Klopp im exklusiven Sky Interview. Beide bringen vor allem offensiv Elemente mit, die dem Kloppschen Spielstil in der jüngeren Vergangenheit gefehlt haben: Mac Allister netzte im Jersey der Seagulls zehnmal und damit mehr als Curtis Jones (drei Tore), Thiago, Henderson, Fabinho (alle ohne Treffer) und alle anderen Mittelfeldakteuren der Reds zusammen.
Szoboszlai als Segen für Salah & Co.
Der ehemalige Leipziger Szoboszlai überzeugte schon im Dress der Roten Bullen mit Dynamik und einer außergewöhnlich guten Schusstechnik. Dazu hat der ungarische Nationalspieler das Gespür, wann er das Spiel schnell machen oder verschleppen muss - diese Qualität ist der Klopp-Elf in der vergangenen Spielzeit abhandengekommen.
Zudem ließ Szoboszlai die Mittelfeldspieler des FC Liverpool in allen relevanten Statistiken hinter sich: So hat der 22-Jährige im direkten Vergleich mehr Tore erzielt (sechs), mehr Treffer vorbereitet (acht), Schüsse abgegeben (29), Chancen kreiert (71) oder Pässe in den Strafraum gespielt (177).
Ein Segen für die Offensivreihe im klopp-typischen 4-3-3 um Mohamed Salah, Darwin Nunez und Cody Gakpo. Dennoch - das hat sich auch in den ersten Vorbereitungsspielen gezeigt - wird sich Szoboszlai erst an die neue Rolle auf der Acht gewöhnen müssen. "Er hat bisher in den Testspielen auch tiefer gespielt, ein bisschen eine andere Rolle als bei Leipzig eingenommen", erklärte Honigstein. Mac Allister sei dagegen ohnehin der klassische Achter, der "zwischen den Räumen und den Strafräumen sehr, sehr viel macht." Dennoch können beide "natürlich super zusammenspielen", machte Klopp deutlich.
Das Sechser-Dilemma bleibt
Während Liverpool die Offensivabteilung bereits eindrucksvoll verstärkt hat, bleibt ein großes Manko bestehen: "Aktuell haben sie nach dem Weggang von Fabinho nicht so den echten Sechser", bemängelte Honigstein. "Sie haben gesehen, wie wichtig diese Position ist, als Fabinho im letzten Jahr nicht gut gespielt hat. Da stand die ganze Defensive nicht solide." Dies sei die Schwachstelle im Kader. "Da zwickt es noch ein bisschen", fügte Honigstein hinzu.
Auf dieser Position soll und wird sich das Team aus der Beatles-Stadt noch verstärken. "Da sind wir dran", betonte Klopp im Gespräch mit Sky Reporter Sven Töllner. "Wir sondieren den Markt und wollen für uns die bestmögliche Lösung finden." Nach Sky Informationen Romeo Lavia vom Premier-League-Absteiger Southampton als Wunschspieler. Auch der 19-jährige Belgier möchte unbedingt an die Anfield Road wechseln. Eine Einigung zwischen den Vereinen steht jedoch noch aus. Das Preisschild wird auf knapp 50 Millionen Pfund (rund 58 Millionen Euro) taxiert.
Zwar könnte auch Thiago die Sechser-Position bekleiden, jedoch hat er defensive Defizite, keine gute Saison gespielt (18 Einsätze, keine Torbeteiligung) und wie Shootingstar Stefan Bajcetic mit Verletzungen zu kämpfen. Ohnehin bevorzugt Liverpool "den klassischen Sechser, der dann Fabinho ersetzt", machte Honigstein deutlich. Und natürlich die Defensive federführend neben dem neuen Kapitän Virgil van Dijk stabilisiert.
"Sie müssen da jetzt durchgehen"
Dennoch - so viel hat beispielsweise die Personalie Declan Rice gezeigt - ist der Sechser-Markt alles andere als einfach: In der Folge verwies Liverpools Teammanager auch auf das bestehende Material und sprach seinen Talenten das Vertrauen aus: "Da gehen neue Türen für andere Spieler auf, sie müssen da aber auch durchgehen", forderte Klopp. "Ich werde ihnen dabei helfen, das ist ja klar. (…) Ich freue mich, dass wir jetzt die Chance bekommen, die nächsten wirklichen Charaktere zu entwickeln, die ja schon da sind und auch ihre Rollen schon ausgefüllt haben."
Der Offensivpart ist schon da, die defensiven Lücken sollen im Kollektiv und mit Nachjustierungen auf dem Transfermarkt geschlossen werden. "Aber die Tatsache, dass Klopp gerade sehr viel über junge Spieler spricht, hat eben auch damit zu tun, dass der Kader noch nicht ganz fertig ist", meinte Honigstein.
Der schmale Grat
Dennoch sieht der Premier-League-Experte Liverpool in der kommenden Spielzeit wieder unter den ersten Vier: "Sie haben es im letzten Jahr aufgrund von vielen schlechten Leistungen und vielen Problemen verpasst, waren am Ende aber doch wieder konkurrenzfähig, als die verletzten Spieler so langsam wieder zurückgekommen sind." Der Umbruch ist nun Chance und Risiko zugleich: Mehr Dynamik, mehr Torgefahr, aber auch ein Spiel mit dem "defensiven Feuer" - zumindest solange die Fabinho-Nachfolge noch nicht geklärt ist.
Dieser Spagat muss von Klopp im Verbund mit dem neuen Sportdirektor Jörg Schmadtke moderiert werden - dann wird Liverpool wieder eine erfolgreiche Saison spielen: "Falls die wichtigen Spieler alle fit sind und auch noch dieser eine Sechser kommt, den die Mannschaft gut vertragen kann, sehe ich Liverpool absolut in der Verfolgerrolle hinter City und gleichauf mit Arsenal", betonte Honigstein.
Und weiter: "Wenn sie ihre Bestleistungen wieder bringen, auch mit den besten 14, 15 Leuten konstant", holte der Premier-League-Experte aus, "sehe ich Liverpool immer noch wenn nicht gar als zweitbeste, dann zumindest als dritt- oder viertbeste Mannschaft in dieser Liga." Dies gilt es nach der schwachen Vorsaison auch unbedingt zu beweisen.
Die nächsten Erkenntnisse sollen aus dem Test gegen den FC Bayern (Mittwoch, ab 13.15 Uhr live auf Sky) gewonnen werden...
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