Manuel Baum steckt mit dem FC Schalke 04 tief in der Krise. Im exklusiven Interview mit Sky spricht der Schalke-Trainer über seinen Start in Gelsenkirchen, die Arbeit mit der Mannschaft und darüber, was ihn optimistisch stimmt, dass es bald bergauf geht.
Sky Sport: Manuel Baum, Sie sind ein Bayer im Pott. Was heißt das?
Manuel Baum: Mir geht es richtig gut hier. Ich finde es nur etwas schade mit der gesamten Corona-Situation, dass man weder die Fans des Vereins noch die Kultur und Leute der Region erleben kann. Das finde ich bedauernswert, weil ich doch ein ziemlich affiner Mensch bin, was verschiedene Regionen und Menschen betrifft. Das erlebe ich sonst sehr gerne. Leider geht das aber aktuell nicht.
Sky Sport: Manche Spieler und auch Trainer hatten hier Probleme, eine Bleibe zu finden. Die Vermieter wollen schließlich wissen, wie lang der Mietvertrag laufen soll.
Baum: (lacht) Also ich habe schon eine gefunden und wohne in Gelsenkirchen in einer etwas älteren, aber sehr schönen Wohnung. Bezüglich der Verweildauer gab es keine Probleme.
Sky Sport: Wie schwierig ist es für Sie, ohne die Fans diesen Verein zu spüren und aufzunehmen?
Baum: Das ist tatsächlich nicht so einfach. Als Außenstehender, was ich ja lange Jahre war, war die Situation auf Schalke oft so, dass man sich gedacht hat: Mensch, mit den Fans und diesem Stadion ist es echt unangenehm, hier zu spielen! Hier ist richtig Action: Wenn man zum Beispiel Bilder aus den Trainingseinheiten und aus dem Trainingslager sieht. Es sind immer sehr viele Fans dabei. Das liebe ich und das ist auch ein großer Grund, warum ich so gerne Trainer bin. Das fehlt mir aktuell schon hier auf Schalke.
Sky Sport: Auf der anderen Seite erzeugen die Fans natürlich auch einen großen Druck, gerade jetzt in der aktuellen Situation. Ist das ein Nachteil oder Vorteil? Der Druck von außen kann auch störend sein.
Baum: Für mich ist es immer einen Vorteil, wenn unsere Leute hier aus der Region und unsere Fans dabei sind. Druck hat man so oder so. Oft ist es auch so, dass man gerne externen, positiven Zuspruch hat. Auf der anderen Seite hilft es auch in schwierigen Situationen, zum Beispiel in einem Spiel, einen Push von außen zu bekommen. Der geht uns momentan definitiv ab.
Sky Sport: Sie sind jetzt seit gut sechs Wochen hier. Sie haben, als sie vorgestellt wurden sind, gesagt: "Lassen Sie mich mal Machen!" Was waren denn die Dinge, die sie gemacht haben? Was konnten Sie denn machen?
Baum: In der ersten Phase finde ich es immer wichtig, eine gute Diagnostik zu machen: Wo liegen die Ursachen, die man von außen meint wahrzunehmen? Und zum anderen braucht man dann das Innenleben. In dieser Diagnostik ist dann nicht so einfach, Dinge wie beispielsweise die Taktik als Problem darzustellen. Es handelt sich meistens um eine Gemengelage. Ein oft genannter Begriff war der Kopf. Wenn man dann aber Werte aus unserem ersten Spiel gegen Leipzig anschaut und Punkte wie Sprints ansieht, dann steht fest, dass sehr viel zusammenkommt. Man muss dann in der Diagnostik herausfinden: Woran liegt es, dass wir nur zwei Mal aufs Tor schießen oder wir im letzten Drittel Probleme haben, Tore zu schießen? Oder dass wir nach Gegentoren - gerade in der Anfangsphase - in uns zusammengefallen sind und gar keine Fantasie mehr gefunden hatten, selbst Tore zu erzielen? Es gibt dann nicht diesen einen Knopf, auf den man drückt. Oft ist es eine komplexe Situation. Es gilt, verschiedene Ursachen zu finden, um das Symptom, nämlich die fehlenden Ergebnisse und Leistungen, dann zu beheben.
Sky Sport: Das klingt nach einer Mammut-Aufgabe, oder?
Baum: Es ist eine Aufgabe, die wirklich komplexes Denken und tiefes Eintauchen erfordert. Es hilft dann wirklich, wenn man sich mit Spielern intensiv austauscht, die die Situationen erlebt haben. Da geht es gar nicht darum, wie jung oder erfahren die Spieler sind. Ebenso sind Gespräche mit dem Funktionsteam und dem Umfeld des Vereins wichtig. Aus diesen Gesprächen gilt es dann, sich ein Bild zu machen. Hinzu kommen die Erkenntnisse aus den Trainingseinheiten und den Spielen. Wir greifen Ursachen an, und am Ende des Tages werden Symptome behoben, die offensichtlich sind. Wie zum Beispiel ausbleibende Ergebnisse.
Sky Sport: Überhaupt nicht despektierlich gegenüber Naldo oder Onur Cinel gemeint, aber brauchen Sie für so einen Prozess einen erfahrenen Mann, der Sie unterstützen kann?
Baum: Ich sehe das Trainergeschäft mittlerweile so: Man braucht sehr viele Kompetenzen. Als Trainer sollte man dann wissen: Wo liegen deine großen Stärken? Du solltest aber auch wissen, was dir als Trainer noch fehlt. Ich glaube, dass es wichtiger ist, ein Team um sich zu haben, dass sich so ergänzt, dass man miteinander "ein" guter Trainer ist. Hierbei spielt es nicht die übergeordnete Rolle, dass beispielsweise alle drei im taktischen Bereich außergewöhnliche Qualitäten haben. Beispiel Naldo: Er hat eine riesen Erfahrung, die ich selbst nicht sammeln durfte, weil ich nie Bundesliga gespielt habe. Er aber schon! Onur hat hervorragend die Fußballehrerausbildung absolviert, aber auch die DNA des Vereins inne und kennt den Nachwuchs. Er ist zudem sehr stark im Entwickeln von Spielstrategien. Deswegen ist meine Meinung: Wir brauchen nicht nur in einem Bereich mehrere gute Leute. Wir müssen uns fragen, wie können wir die Kompetenzen, die wir haben, optimal verteilen. Dies ist uns aus meiner Sicht sehr gut gelungen.
Sky Sport: Die Mannschaft ist ja nicht die einfachste, sonst hätte das Team ja nicht so performt, wie sie es in den letzten Monaten und Jahren getan hat. Wie schwierig ist es für Sie, mit so einem relativ unerfahrenen Trainerteam, eine solche Mannschaft zu händlen?
Baum: Woran wird es denn festgemacht, dass es eine "schwierige" Mannschaft ist? Ich kann, Stand jetzt, gar nicht mitgehen. Klar wissen wir auch, dass wir eine heterogene Mannschaft mit verschiedenen Kulturen und Vorgeschichten haben. Ist das ein Argument für "schwierig"?
Sky Sport: Es gab unter anderem Disziplinlosigkeiten verschiedener Spieler, die jetzt auch im Team sind. Spieler, die auch schon suspendiert oder degradiert worden sind.
Baum: Das ist richtig, allerdings kann ich nur das widerspiegeln, was ich in den letzte sechs Wochen erlebt habe. In dieser Phase kann ich es nicht stehen lassen, dass meine Mannschaft eine schwierige Mannschaft ist. Alle unter einen Hut zu bekommen und eine gemeinsame Idee zu entwickeln, ist logischerweise eine Herausforderung. Gott sei Dank sind alle Spieler so eingestellt, dass sie immer spielen wollen. Natürlich ist es auch nicht einfach, wenn gestandene Bundesligaprofis, die auch schon für ihr Land gespielt haben, dann auf der Bank sitzen. Das ist nicht einfach, gehört aber zu der Aufgabe als Trainer dazu.
Sky Sport: Wie schwierig ist es für Sie, Ihren Stil einzubringen, ohne wirklich eine Vorbereitung gehabt zu haben?
Baum: Das ist wirklich eine interessante Herausforderung. Ich habe beim DFB im Nachwuchs auch die Situation gehabt, dass ich das Team drei Tage vor dem Spiel bekommen habe. Da war es auch die Situation: Wie machst du das, ohne die Spieler persönlich zu kennen? Hier verfahre ich ähnlich: Über viele Gespräche, Videos und Training hole ich mir viele Informationen. Dann geht es darum, herauszufinden: Was passt denn am Besten zur Mannschaft? Ich glaube, es ist vor allem am Anfang wichtig, dass der Trainer anpassungsfähiger ist als die Spieler. Den Prozess in die Wege zu leiten, den Spielern den Spielstil vorzuschreiben, der dauert einfach länger.
Sky Sport: Dann gibt es den klassischen Satz, "Die Handschrift des Trainers ist zu erkennen", so gar nicht?
Baum: Das sehe ich nicht so. Zwar ist eine Handschrift, wenn man sie sich bildlich vorstellt, immer gleich. Dies ist bei einer Fußballmannschaft nicht so, denn hier entwickelt sie sich. Wenn ich jetzt an meine Tochter denke, die in der zweiten Klasse ist. Ihre Handschrift wird mit Sicherheit in der dritten, vierten und fünften Klasse anders ausschauen. Ähnlich sehe ich das bei einem Trainer auch.
Sky Sport: Sie wurden sehr viel mit ihrer Prognose vor der Saison, bei der Sie Schalke auf Platz 15 tippten, verbunden. Das wurde schon sehr häufig thematisiert, sie haben darauf auch großartig reagiert. Trotzdem werden Sie jetzt einen größeren Einblick in die Mannschaft haben. Wie viel Wahrheit steckt tatsächlich in diesem Tipp?
Baum: Das mit dieser Tipperei kommt immer von außen. Es ist entscheidend, dass man ein Gefühl dafür kriegt, wie die Mannschaft zu interpretieren ist. Ich halte momentan sehr wenig davon, Prognosen abzugeben. Es geht im ersten Schritt einfach darum, wieder Leistungen zu bringen, die Bundesliganiveau haben. Nicht nur im Ergebnis, sondern in mehreren Bereichen. Seien es Sprints, Laufwerte, im Spielaufbau oder im Pressing. Dorthin arbeiten wir uns ran. Klar ist: Die Erwartungshaltung von außen ist die, dass gleich von Beginn an große Schritte kommen sollen, die sich in Ergebnissen widerspiegeln. Das wünschen wir uns natürlich auch! Im Moment machen wir auch Schritte nach vorne. Es sind noch kleine Schritte, aber in Mainz konnte man, wie ich finde, schon einen etwas größeren Schritt sehen, der sich leider noch im Ergebnis widerspiegeln konnte. Man muss aber aufpassen, dass man sich nicht selbst betrügt und glaubt, der nächste Schritt wird schon von allein kommen. Wir müssen schon noch ein paar Prozent draufpacken, um es zu schaffen, ein Spiel zu gewinnen.
Sky Sport: Beim Mainz-Spiel wurde das Ganze vielleicht auch ein bisschen mit dieser Elfmeterdiskussion überdeckt, die sicherlich berechtigt war, doch wenn man in acht Pflichtspielen sieben Elfmeter bekommt, dann sind doch die Schiedsrichter nicht das Hauptproblem, oder?
Baum: Wir haben, glaube ich, im letzten Drittel 24 Fouls verursacht, aus denen Standardsituationen für den Gegner resultieren. Auf der anderen Seite kriegen wir nur elf Fouls im letzten Drittel. Es ist also definitiv ein Thema, das wir angehen müssen. Und klar, es sind sieben Elfmeter, für die es mit Sicherheit auch eine Ursache gibt, über die man einfach reden muss. Ganz wichtig ist aber, dass man den Spielern dann nicht das Gefühl gibt, jetzt mehr zurückziehen zu müssen. Dann gehen Sie schließlich nicht richtig in die Zweikämpfe rein. Die Ursachen und Lösungen müssen klar thematisiert werden. Das es zu viel ist, liegt ja auf der Hand.
Sky Sport: Spieler wie Ozan Kabak oder Salif Sane treten für Ihre Nationalmannschaften ganz anders auf. In manchen Szenen hat man dann das Gefühl, übertrieben gesagt, sie haben das Spielen verlernt.
Baum: Das glaube ich nicht. Ich denke auch, dass im Laufe der Zeit das Selbstbewusstsein steigt. Wenn sie die ein oder andere Sache einfach bewusster machen und merken, dass wir eine gemeinsame Idee haben, dann kommen sie gar nicht in diese Situation. Ich finde, bei dem zweiten Elfmeter, der unberechtigt gegeben worden ist, hätte man die Situation selbst verhindern können. Das ist das, was ich damit meine: Wenn wir die Abläufe verbessern, können wir auch die Situationen automatisch verhindern, weil wir dann gar nicht mehr in sie reinkommen.
Sky Sport: Sie sind viel zitiert worden für Ihren Ketchup-Vergleich. Glauben Sie tatsächlich, dass es so einfach nach dem Motto geht: Ein Sieg, und dann läuft es? Gefühlt ist die Mannschaft so festgefahren, dass das wahrscheinlich ein Prozess ist, der mit einem Sieg so einfach gar nicht gelöst werden kann, oder doch?
Baum: Den Fehler darf man natürlich nicht machen: Zu denken, jetzt haben wir einmal gewonnen und jetzt schalten wir drei Gänge zurück. Aber wir wissen auch alle: Wenn diese positive Erlebnis wieder da ist, und der Glaube wächst, dann bin ich mir sicher, dass das Selbstvertrauen direkt wieder größer ist. Aber wir sehen auch, was in der Bundesliga nötig ist, um zu punkten. Von selbst wird das nicht laufen.
Sky Sport: Warum funktioniert es ausgerechnet gegen Wolfsburg? Die Wölfe haben diese Saison noch kein Spiel verloren.
Baum: Da wiederhole ich mich wohl: Wir gehen diese Schritte nach vorne. Wir haben gegen Mainz ein ordentliches Spiel gemacht und müssen natürlich noch an einigen Schrauben drehen. Mainz hatte, offen gesagt, drei Kontersituationen, in denen sie auf das Tor rennen. Das sind Sachen, die wir in der Defensive noch besser machen müssen. Wir hatten 22 Torschüsse aufs gegnerische Tor, wovon nur vier oder fünf zwingend war. Das können wir auch noch verbessern. Das stimmt mich positiv, weil ich schon viele Abläufe sehe, die wir im Training absolviert haben, aber noch nicht die Qualität in der Quantität, so wie wir es uns vorstellen.
Sky Sport: Suat Serdar ist ein ganz wichtiger Spieler. Jetzt hat Serdar kürzlich zum ersten Mal wieder mit der Mannschaft trainiert. Wie groß wäre das Risiko, ihn gegen Wolfsburg zu bringen?
Baum: Das werden wir nächste Woche erst sehen. Er hat heute fast alle Teile des Mannschaftstrainings absolviert. Er ist auf einem sehr guten Weg und nächste Woche werden wir ihn auf 100 Prozent hochschießen. Man weiß allerdings auch, dass ein Spieler, der drei bis vier Wochen nicht spielen konnte, nicht direkt auf einem Top-Niveau ist. Aber wir werden Mitte bis Ende nächster Woche entscheiden, ob er spielen kann. Hier ist alles noch offen.
Das Interview führte Dirk große Schlarmann.