Markus Babbel ist für seine klare Meinung bekannt. Im Interview mit skysport.de spricht der Europameister von 1996 über die sportliche Krise beim FC Bayern und den unter Druck geratenen Trainer Julian Nagelsmann. Joshua Kimmichs Leistungen kritisiert er, Sadio Mane nimmt Babbel in Schutz.
skysport.de: Herr Babbel, der FC Bayern wartet in der Bundesliga seit vier Spielen auf einen Sieg und steht nur auf Tabellenplatz fünf. Wie erklären Sie sich diese sportliche Krise?
Markus Babbel: Es ist eine Anhäufung von kleinen Dingen. Der FC Bayern hat beim FC Augsburg keinen lustlosen Auftritt hingelegt, aber im Moment passt es nicht mehr zusammen. Am Anfang der Saison dachte man, die Bayern spielen Fußball 3000. So etwas Gutes habe ich lange nicht gesehen. Dann kam sicherlich auch eine gewisse Selbstzufriedenheit. Sie sind zurecht hochgelobt worden und dann fängst du an weniger zu machen. Auf einmal bist du in einem Strudel, in dem sich selbst der FC Bayern schwer tut, da wieder herauszukommen.
skysport.de: Wie sollten die Bayern mit Nagelsmann nun umgehen?
Babbel: Die Trainerposition ist die wichtigste Position in einem Verein. Dem Trainer muss man bis zum Schluss den maximalen Support geben. Das tun die Verantwortlichen aktuell. Hasan Salihamidzic hat einen tollen Kader zusammengestellt. Jetzt liegt es an Julian Nagelsmann, die PS auch auf die Straße zu bekommen. Vor allen Dingen musst du jetzt aber auch mal Tacheles reden. Gewissen Spielern muss gesagt werden, dass sie auf dem Platz das machen sollen, was der Trainer fordert. Ansonsten spielst du nicht mehr. Eine Mannschaft achtet darauf. Wenn sich Spieler etwas rausnehmen dürfen, was andere nicht dürfen, dann bekommst du früher oder später in der Kabine ein Problem. Das muss Nagelsmann in den Griff bekommen.
Babbel: "Spielt Kimmich diszipliniert auf seiner Position, ist der FC Bayern überragend"
skysport.de: Auf welche Spieler muss Nagelsmann jetzt setzen und warum?
Babbel: Nagelsmann sieht seine Mannschaft täglich im Training. Schlussendlich muss er das entscheiden. Ich nenne aber mal ein Beispiel: Joshua Kimmich. Er hat sich in den letzten Jahren ein Standing erspielt, da haben wir alle gesagt: Weltklasse, überragend. Schon in der vergangenen Saison ist mir aber aufgefallen, dass er nicht mehr die Disziplin hat, auf seiner Position zu spielen. Kimmich spielt mal auf der Sechs, dann auf der Acht, als Zehner oder Linksaußen. Er turnt überall herum, nur nicht da, wo er spielen sollte. Mittlerweile habe ich bei ihm das Gefühl, dass er glänzen will und dass man ihn aufgrund seines Status nicht mehr angreifen, geschweige denn berühren darf. Wie wenn er Ballerinaschuhe anhätte, fällt er auf einmal nur noch hin. Dass die Situation im eigenen Strafraum gegen den VfB Stuttgart abgepfiffen wurde, das war Wahnsinn. Ich erwarte, dass er wieder mehr dagegenhält. Das hat ihn zuvor so ausgezeichnet. Spielt Kimmich diszipliniert auf seiner Position, ist der FC Bayern überragend. Macht er das künftig wieder, bin ich davon überzeugt, dass es bald wieder besser bei den Bayern laufen wird als aktuell.
skysport.de: Wenn Sie Trainer beim FC Bayern wären: Was würden Sie nun nach vier sieglosen Spielen machen?
Babbel: Ich würde die Dinge knallhart ansprechen. Ich glaube aber, dass die Spieler nun schon genau hinschauen, ob Nagelsmann sich traut, die Dinge anzusprechen und wie er sie anspricht. Dann musst du eben auch mal Kimmich auf die Bank setzen und ein Zeichen setzen, wenn er nicht das macht, was verlangt wird.
skysport.de: Gelingt Nagelsmann der Turnaround?
Babbel: Ich glaube, die Länderspielpause kam jetzt nicht zum Nachteil. Danach kommt Leverkusen, Pilsen in der Champions League und der Kracher gegen Borussia Dortmund. Wenn die Bayern da nicht bereit sind, dann wird es natürlich auch für Nagelsmann eng.
Babbel über Nagelsmann: "Das darf nicht passieren"
skysport.de: Nach dem 0:1 beim FC Augsburg am vergangenen Wochenende gab sich Nagelsmann ungewohnt schmallippig in den Interviews. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Babbel: Ich stehe es ihm definitiv zu, weil er trotz allen noch ein Bayern-Azubi ist. Nagelsmann muss aber schnell lernen. Das muss ihm bewusst sein. Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes und Hansi Flick haben mit dem FC Bayern die Champions League gewonnen. Diese Trainer waren nie polemisch und über den Dingen stehend. Sie haben sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Nagelsmann muss sich jetzt überlegen: Bleibe ich wie ich bin, oder versuche ich dazuzulernen. Nagelsmann ist ein großartiges Trainertalent, aber der FC Bayern ist seine erste große Station - ohne Hoffenheim oder Leipzig schmälern zu wollen. In der vergangenen Saison war Nagelsmann ein Stück weit der Außenminister des FC Bayern. Da wurde er von Kahn, Hainer und Salihamidzic im Stich gelassen. Jetzt stehen sie alle an Nagelsmanns Seite. Nun muss er versuchen, ruhiger und souveräner zu werden, damit die Spieler auch merken, dass der Trainer draußen alles im Griff hat. Schaut man sich aber nur das Interview nach dem Augsburg-Spiel an, hat man das Gefühl, Nagelsmann weiß nicht mehr weiter. Das darf nicht passieren.
skysport.de: Der Name Thomas Tuchel ist in München bereits allgegenwärtig. Würde er zum FC Bayern passen?
Babbel: Thomas Tuchel ist ein herausragend guter Trainer. Es werden immer wieder Namen gespielt. Damit muss Nagelsmann leben. Das erging auch Hitzfeld, Heynckes und Flick so. Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass die Bayern Nagelsmann entlassen. Es liegt nun aber an ihm, dass das Thema wieder schnell ad acta gelegt wird. Der Name Tuchel wird trotzdem im Hintergrund immer wieder aufkommen, solange er keinen neuen Job hat. Ich weiß, dass viele einflussreiche Leute beim FC Bayern eine hohe Meinung von Tuchel haben. Das gilt aber auch für Nagelsmann.
skysport.de: Sadio Mane wirkte zuletzt wie ein Fremdkörper. Hätten Sie von ihm zum jetzigen Zeitpunkt mehr erwartet?
Babbel: Mane ist für mich das geringste Problem. Er ist ein toller Fußballer, tut sich aber noch etwas schwer, so richtig in der Saison anzukommen. Er hatte aber auch Pech, wenn man die drei Tore hinzurechnet, wo er mit dem Zehennagel im Abseits gestanden ist. Mane ist nicht der einzige, der vorne die Tore nicht macht. Da kannst du alle Offensivspieler mit ins Boot nehmen. Alle Offensiven haben schon drei, vier hundertprozentige Torchancen liegen gelassen.
skysport.de: Hat der FC Bayern den Abgang von Robert Lewandowski möglicherweise unterschätzt?
Babbel: Für mich war das alternativlos. Die Bayern haben ihn verkaufen müssen, ansonsten hätte man ein großes Problem in der Kabine bekommen. Es ist aber nur logisch, dass solch ein Abgang dem FC Bayern wehtut. Nun müssen die Bayern einen Weg finden, die 40 Tore von Lewandowski auf mehrere Schultern zu verteilen.
"Fußballerisch hat mich der BVB bislang überhaupt nicht überzeugt"
skysport.de: Der wohl größte Bayern-Konkurrent um die Meisterschaft, Borussia Dortmund, spielt in dieser Saison minimalistisch, aber weitgehend erfolgreich: Welchen Eindruck macht der BVB bislang auf Sie?
Babbel: Sie haben echt viele Punkte gesammelt, wenn ich mir ihre Spiele anschaue. Fußballerisch hat mich der BVB bislang überhaupt nicht überzeugt. In vielen Spielen waren sie die schlechtere Mannschaft. Die Dortmunder schaffen es trotzdem, die Spiele zu gewinnen. Das spricht für einen guten Charakter, eine gute Mentalität.
skysport.de: Sprechen wir noch über die Nationalmannschaft: Mario Götze und Mats Hummels sind von Bundestrainer Hansi Flick für die anstehenden Länderspiele zwei Monate vor der WM in Katar nicht nominiert worden. Hätten Sie sich eine Berufung des Duos gewünscht?
Babbel: Mich freut es, dass Mats Hummels sich wieder so stark präsentiert. Er musste in der Vergangenheit viel Kritik einstecken. Für mich ist er gerade wieder der alte Mats Hummels. Ihm hat der Konkurrenzkampf in Dortmund gut getan. Mario Götze habe ich lange nicht mehr in solch einer guten Verfassung gesehen. Er macht die Frankfurter besser. Das sagen auch die Spieler. Einen größeren Ritterschlag kannst du nicht bekommen. Mich würde es freuen, wenn er noch auf den WM-Zug aufspringen könnte.
skysport.de: Marco Reus fällt nun erst einmal verletzt aus. Braucht das DFB-Team einen wie Reus bei der WM überhaupt? Schließlich verfügt das deutsche Team in der Offensive über zahlreiche Topspieler.
Babbel: Marco Reus war vor seiner Verletzung in einer tollen Form. Ohne ihn hätte Dortmund nicht so viele Punkte. Für mich gehören die besten Spieler zur Nationalmannschaft, weil ich ein Fan des Leistungsprinzips bin. Da gehört Reus definitiv dazu.
skysport.de: Am Samstag zeigt Sky das Benefizspiel des Team Bananenflanke live im TV (ab 15:15 Uhr live auf Sky Sport News). Sie sind auch mit dabei und stehen als Trainer an der Seitenlinie. Was bedeutet das für Sie?
Babbel: Das ist eine tolle Veranstaltung. Wenn man da seinen Teil dazu beitragen kann, macht man das natürlich gerne. Ich freue mich darauf, viele alte Kollegen zu sehen. Selber spielen werde ich allerdings nicht mehr. Darauf habe ich keine Lust mehr. Als Trainer komme ich aber gerne.
Das Interview führte Fabian Schreiner.
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