Am Montagabend trifft der Sextuple-Sieger FC Bayern zuhause auf Arminia Bielefeld. Ex-Profi Tobias Rau spricht vor dem Bundesliga-Duell exklusiv mit skysport.de über den Abstiegskampf der Arminen, seine ehemaligen Kollegen Salihamidzic und Kahn sowie die Problematik der Linksverteidiger- Position.
skysport.de: Arminia Bielefeld steht mit 17 Punkten nach 19 Spielen auf dem Relegationsplatz und hat noch alle Möglichkeiten. Wie stehen die Chancen auf den Klassenerhalt?
Tobias Rau: Es wird bis zuletzt sehr eng werden, Arminia muss in jedem Spiel ans Limit gehen, damit die nötigen Punkte geholt werden. Sie profitieren gerade vom Schwächeln anderer Vereine und machen es gut. Mehr ist nicht zu erwarten, bei den wirtschaftlichen Voraussetzungen, die sie gerade haben - im Gegensatz zu anderen Mannschaften. Aber trotzdem, mehr als ein Relegationsplatz wird es nicht werden und auch der muss hart erarbeitet werden.
skysport.de: Die nächsten Gegner heißen Bayern, Wolfsburg und Dortmund. Könnten diese drei Spiele zu einem Einbruch führen?
Rau: Ja, das ist schon auch immer gefährlich, weil man gegen so eine Qualität eigentlich nicht viel erwarten kann. Das kann durch eine Überraschung natürlich einen extremen Schub geben, aber höchstwahrscheinlich wird nicht viel zu holen sein. Und dann verlernt man so ein bisschen wie es ist, zu punkten. Das ist dann immer frustrierend.
skysport.de: Bevor wir zu den Bayern kommen - auch Wolfsburg hat einen Lauf und greift plötzlich nach der Champions League. Woher kommt der derzeitige Erfolg?
Rau: Da wird einfach konstant, ruhig und gut in die richtige Richtung gearbeitet. Sie sind eine sehr gute und ausgeglichene Mannschaft, die trotzdem auch Spieler haben, die den Unterschied machen können - wie zum Beispiel Wout Weghorst.
skysport.de: Nun zu München: Ist gegen die Bayern, die Bielefeld als frisch gebackener Klub-Weltmeister empfangen, etwas drin für die Arminia? Und wenn ja: Wie?
Rau: Wenn sich irgendwann die Chance erhöht, gegen Bayern was zu holen, dann ist sicherlich jetzt der richtige Zeitpunkt - durch die Belastung und diese Reisestrapazen. Aber klar, das Spiel muss man so angehen, dass man sich da reinkämpft und versucht, stabil zu stehen und immer wieder Nadelstiche zu setzen. Um dann mit voranschreitender Zeit immer mehr Kräfte zu wecken bzw. vielleicht auch Verzweiflung beim Gegner zu wecken. Wobei Bayern da sicherlich die Mannschaft ist, die bis zuletzt einen kühlen Kopf bewahrt. Und wenn irgendein Verein gelernt hat, Belastung zu steuern, dann ist das der FCB und die werden auch in diesem Spiel genau wissen, wie hoch sie springen müssen, um die nötigen Punkte zu holen. Aber ich glaube nicht, dass sie Bielefeld überfahren werden.
skysport.de: Was ist ihr Tipp für das Spiel - und wem drücken Sie die Daumen?
Rau: Es ist immer schön, wenn es im Fußball Überraschungen gibt. Deswegen fände ich es gut, wenn Arminia etwas holt. Gerade auch um die Bundesliga spannender zu gestalten. Aber wenn ich objektiv tippe, dann denke ich, dass Bayern das Spiel mit 2:0 gewinnt.
skysport.de: Bei den Bayern wird derzeit gute Arbeit geleistet, auch im Hinblick auf Transfers. Das liegt vor allem auch an Sportdirektor Hasan Salihamidzic und Vorstandsmitglied Oliver Kahn. Was sagen Sie zu Ihren ehemaligen Mitspielern?
Rau: Alle wollen die Arbeit der beiden beurteilen, die meisten können es aber nicht. Man muss sich dann auf die Fakten verlassen und die sind gerade im Hinblick auf den Transfer mit Dayot Upamecano einfach gut. Ich kenne die beiden, weil ich mit ihnen zusammengespielt habe. Ich finde die beiden sehr kompetent. Ich denke, dass sie sich gut ergänzen und habe Vertrauen in die beiden, dass sie gute Arbeit leisten.
skysport.de: Sie haben 2009 das letzte Bundesliga-Jahr der Arminia miterlebt und auch den Abstieg aus der Bundesliga. Damals ging der Verein schnell weiter runter in die 3. Liga. Was würde ein Abstieg für Bielefeld in diesem Jahr bedeuten?
Rau: Wir haben damals sehr lange die Bundesliga gehalten und haben jedes Jahr wieder gegen den Abstieg gespielt. Das war uns bewusst - es ist sicherlich auch ein Vorteil, wenn man es gewohnt ist. Diese Saisons sind dann natürlich geprägt von unangenehmen Alltagen. Es musste immer wieder gekämpft und Kräfte an das Limit gebracht werden, damit man es schafft, auch wirklich die Klasse zu halten. Eine Atmosphäre des Wohlfühlens oder des Zufriedenseins darf es einfach nicht geben, wenn man gegen den Abstieg spielt. Das ist eine besondere Situation und damit muss man sich einfach identifizieren. Das ist die große Frage, ob das die Mannschaft kann.
skysport.de: In der 2. Liga steht Braunschweig ähnlich da wie die Arminia. 20 Spiele, 17 Punkte als Aufsteiger - noch alle Möglichkeiten. Mit Bochum, Regensburg und Nürnberg warten unterschiedlich schwere Gegner. Was sind die Ziele für die kommenden Wochen?
Rau: Ich bin bei Braunschweig immer noch tätig und sehr aktiv dabei im Aufsichtsrat. Die kommenden Gegner sind sicherlich auch Teams, wo wir punkten können und auch müssen. Die Situation ist auf jeden Fall sehr vergleichbar mit der von Arminia. Ich erlebe das in Braunschweig hautnah mit und da wird es genau auf das selbe ankommen. Wir müssen ans Limit gehen und fighten, um in dieser Liga zu bleiben. Wir haben genauso schwere finanzielle Voraussetzungen gegenüber allen anderen in der 2. Bundesliga - wie Arminia vielleicht auch in Relation in der Bundesliga.
skysport.de: Sie haben acht Spiele als Linksverteidiger in der Nationalmannschaft bestritten, sogar ein Tor erzielt. Ihre alte Position gilt seit Jahren als Schwachstelle im DFB-Team. Woran liegt das?
Rau: Die Linksverteidiger-Position ist ganz oft als Schwachstelle ausgemacht worden, auch zu meiner Zeit. Es ist einfach so, dass es weniger Linksfüße gibt, damit es immer eine Bestbesetzung gibt. Und es ist eine Position, auf der man schwer glänzen kann. Man ist sehr viel unterwegs, hat es oft mit extrem dribbelstarken Gegenspieler zu tun, die über außen kommen. Deswegen glaube ich auch, dass auf dieser Position mehr Fehler gemacht werden als vielleicht auf anderen. Man sieht oft nicht so gut aus. Da kommt einiges zusammen. Die Position ist auch bei vielen Vereinen immer vakant, es wird immer versucht, die passende Person zu finden.
skysport.de: Wenn Sie für die kommende EM einmal Bundestrainer spielen dürften, wer würde die linke Seite verteidigen?
Rau: Da muss ich sagen, habe ich keine wirkliche Überzeugung, ich kann da keine Person nennen. Ich würde es mir auch nicht anmaßen, die richtige Entscheidung treffen zu können, weil ich auch einfach nicht den Einblick habe. Das wird aber sicherlich eine interessante Maßnahme werden, es gibt außerdem noch andere Besetzungen, auf die man gespannt sein kann.
skysport.de: Nach Ihrer Profikarriere haben sie ein Lehramtsstudium absolviert. Als Lehrer sind Sie nun auch schwer von der Corona-Pandemie betroffen. Wie erleben Sie die aktuelle Situation?
Rau: Es ist etwas ganz Anderes, schwierig ist es sicherlich auch. Man muss sich an ganz neue Sachen gewöhnen und auch an Sachen, die man vielleicht selber gar nicht so gut findet. Aber ich denke, dass es wichtig ist, in dieser Situation variabel zu sein und das Beste draus zumachen - auch wenn das Beste nicht so gut ist, wie das, was man vorher gemacht hat. Man muss diese Situation annehmen und nicht hadern oder darüber nachdenken, was jetzt alles schlechter geworden ist.
Das Interview führte Isabel Barquero Peña