In Hamburg war's heute Morgen mal wieder so weit. Nennenswerte Eisschicht auf den Autoscheiben. Mühseliges Gekratze - ganz und gar nicht stimmungsfördernd. Atmosphärischer Aggregatzustand ungefähr so, als sei Deutschland gerade zweimal nacheinander in der WM-Vorrunde ausgeschieden - kurz nachdem die Bayern den x-ten höflichen Marienplatz-Applaus für den xy-ten Meistertitel eingesammelt haben. Eisig!
Seit kurz vor 10:00 Uhr scheint die Sonne über der Elbe und stimuliert - überdeutlich wahrnehmbar - die Gemüter der Griesgrämigen. Königsklassen-Laune. Ein Stimmungsumschwung im Trikot-Tausch-Tempo. Hamburg genießt das Wetter-Upgrade und Fußball-Deutschland den kunterbunten Kicker-Ruck, den diverse Hauptdarsteller im Heim-EM-Jahr auf die Showbühne katapultiert haben. Zugabe(n) erwünscht - und ganz sicher nicht ausgeschlossen!
Natürlich ist es kein neuartiges Phänomen. Die Geschwindigkeit, in der der Fußball unsere emotionalen Ausschläge beeinflusst, ist schon atemberaubend. Es ist gar nicht notwendig, ein ganzes Jahr zurückzuspulen, als für die Bayern im Viertel-, für Dortmund, Leipzig und Frankfurt im Achtelfinale und für Leverkusen sogar schon in der Vorrunde der Champions League Abpfiff war. Noch vor wenigen Wochen wurde das Tuchel-Konstrukt mit bemerkenswert hämischer Vehemenz öffentlich auseinandergepult. Auch die alljährliche Mentalitäts-Debatte in Dortmund lief bereits recht schwungvoll an. Achtung: Selbstkritik!
Mit dem Husarenritt ins Halbfinale haben sich die beiden Meister-Titel-Duellanten a.D. in der Reputations-Tabelle im Gleichschritt ein gehöriges Stück hinaufgehievt. Und Leverkusen? Eine Fabel-Saison mit diversen Nebenwirkungen. Das quälende FCB-Meister-Abo - endlich ausgelaufen. Das Pillen- und Vizekusen-Image - endlich abgestreift. Und der irritierende "Jeder-Trainer-folgt-dem-Ruf-der-Bayern-Automatismus" - endlich ausgehebelt. Xabi Alonso wird versuchen, die Bayer-Gala-Saison zu bestätigen - statt dem Sprungbrett-Reflex zu folgen.
Zum Glück gibt's Fußball
Wir sollten keineswegs den Spaß unterschlagen, den der aufsässige Drittligist Saarbrücken uns bis zum DFB-Pokal-Halbfinale (!) bereitet hat. Und dennoch geht der geschärfte Vorfreude-Blick natürlich vor allem auch in die nahe Zukunft. In nicht mal mehr zwei Monaten eröffnet Julian Nagelsmanns DFB-Elite in der Allianz Arena die Euro dahoam. Nach den prestigeträchtigen Pleiten im November (gegen die Türkei und Österreich) ist es dem Bundestrainer mit einem Doppel-Wumms im März gelungen, den Wind komplett zu drehen. Die Vorrunde-raus-These ist aus der öffentlichen Meinungsverbreitung ziemlich stabil ausgeschlichen worden. Doch mal wieder ein Titel für die arg überdehnte deutsche Fußball-Seele? Der Glaube an den Euro-Coup wird inzwischen nicht mehr hinter vorgehaltener Hand im Flüsterton verbreitet.
Denkbar auch, dass einige Protagonisten mit königlichem Titel-Elan ins Turnier starten. Das Champions-League-Finale am 1. Juni in der Kathedrale vom Wembley wird ja möglicherweise eine rein deutsche Angelegenheit. Zum Glück gibt's Fußball.
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