Er kam ja aus der kalten Hose - dieser vermeintliche Scoop, den das altehrwürdige Flaggschiff der deutschen Nachrichten-Elite da kurz vor dem Magdeburger "Polizeiruf" in die deutschen Wohnzimmer katapultiert hatte.
Schlotterbeck steht im EM-Kader - "das erfuhr die Tagesschau aus DFB-Kreisen". Rumms! Ein Kracher und ein beachtlicher Recherche-Volltreffer der Kollegen. Oder? Mal kurz wirken lassen… Ist diese Nachricht denn überhaupt stark genug für einen Platz in der gemeinhin prall gefüllten Viertelstunde, die auftragsgemäß die wichtigsten Geschehnisse des Tages gewissenhaft kanalisieren sollte? Und: Ist die Nominierung des Dortmunders tatsächlich eine solche Überraschung, dass es angemessen erscheint, damit zur wichtigsten Sendezeit die Hosenträger zu spannen?
Gerunzelte Stirnfalten auf den vielen gutbesetzten Fernseh-Sofas der Nation. Na ja - sei's drum, erstmal Konzentration auf den Krimi, in die Eigentlich-auch-wurscht-Kiste mit dem irritierenden Gedanken. Es konnte ja schließlich kaum jemand ahnen, dass das erst der Anfang einer beachtlichen Medien-Strategie des DFB war, die im Wochenverlauf für Aufsehen und Erstaunen sorgen sollte.
Über Promi-Klatsch-Ikone Frauke Ludowig, die patente Dachdeckerin Chiara oder Oma Lotti hat sich das merkwürdige Entree der heißen Euro-Phase ja bekanntermaßen in einer Art Schneeball-System zur knuffeligen Unterhaltungs-Lawine entwickelt.
Nichts scheint zu absurd zu sein
Kaum ein potenzieller Multiplikator scheint inzwischen zu absurd zu sein, um sich als geeigneter Nominator an die Öffentlichkeit zu wenden. Da dürfte also noch einiges gehen bis zur offiziellen Kader-Bekanntgabe, die dann mit einiger Wahrscheinlichkeit Julian Nagelsmann vornehmen wird - und nicht Bernd Stromberg.
Behauptungen, der DFB käme auch in der Außendarstellung bisweilen ein wenig angestaubt daher, sind in den vergangenen Jahren recht häufig unwidersprochen geblieben. Eventuell aus gutem Grund. Mal ein bisschen was Frisches in die Abläufe zu fädeln, hatte sich nicht ganz so deutlich als Kern-Talent der Frankfurter Verbands-Vertreter herauskristallisiert.
Vor diesem Hintergrund schillert die orchestrierte Dropping-Strategie geradezu revolutionär spektakulär. Der verkrampfte Geheimhaltungs-Kult der vergangenen Jahrzehnte war ohnehin ein wenig in den Verdacht geraten, nicht viel mehr zu sein, als ein ritualisiertes Versteckspiel zwischen DFB und motivierten Enthüllungs-Fanatikern.
Da wir uns wohl nicht unbedingt auf allzu überraschende Kader-Teilnehmer einzustellen brauchen (#Odonkor-Effekt), können wir uns alle miteinander auf weitere Sprachrohre gefasst machen, die vollkommen unerwartet aus dem Schatten der Gesellschaftsmitte in den Lichtkegel der Heim-Euro-Euphorie tänzeln.
Wird wohl nicht schaden können, darauf gefasst zu sein, dass beim Gemüsemann ein verstohlenes "Rüdiger - bitte weitersagen" in die Flüsterpost-Rotation geflötet wird. Die Aufregung, die an der Tankstelle heute Morgen kurz aufgeflackert war, hatte sich dann allerdings doch recht zügig als übereifrige Interpretation entpuppt.
"Ilkay, Säule Nummer 8, bitte!" Wer weiß denn in diesen Tagen schon so ganz genau, ob das nicht doch als versteckte Andeutung auf eine unserer mutmaßlich tragenden Euro-Säulen zu verstehen ist. Allgemeine Erleichterung, nachdem Tankwart Ilkay durch gewandtes Kassen-Tasten-Tippen den Dampf aus dem Kessel gelassen hatte.
Nicht auszuschließen, dass das flamboyante Verbreitungs-Modell des Deutschen Fußball-Bundes dereinst als tragfähiges Infotainment-Konzept gefeiert und Einzug in weitere Bereiche der öffentlichen Interessens-Kultur halten wird.
DFB sorgt für Aufmerksamkeit & werthaltiges Entertainment
Müssen die Wahl-Sieger denn wirklich immer von Schönenborn, Schausten & Co. verkündet werden? Oder kann das künftig nicht doch mal das sprachfertigste Mitglied der Kita-Krabbelgruppe Ringelsocke übernehmen? Diplom-Meteorologen, die uns die Wettervorhersage übermitteln. Wo steht denn bitte geschrieben, dass die Aussichten nicht auch per Ausdruckstanz wechselnder Funkenmariechen-Ensembles präsentiert werden dürfen. Die Lottozahlen? Es gibt ja inzwischen wirklich außergewöhnlich intelligente Singvögel.
Der DFB sorgt für Aufmerksamkeit und werthaltiges Entertainment. Passt ja ganz gut zur sportlichen Hauruck-Wende im vergangenen März. Ohne die Stimmungs-Umschwung-Siege in Frankreich und gegen die Niederlande, wäre es in diesen Tagen möglicherweise nicht von jedem als ehrenvolle Aufgabe identifiziert worden, Teil des überraschenden EM-Vorspiels sein zu dürfen.
Spaß-Offensive und sportliche Vorfreude fließen bemerkenswert passend ineinander. Schade übrigens, dass das Dschungelcamp gerade nicht läuft. Müssen wir halt nochmal alle gemeinsam überlegen, wer Nagelsmanns Startelf für die Auftakt-Partie gegen Schottland publik macht.
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