Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Sport. In der neusten Ausgabe schaut Töllner auf die viel diskutierte Blaue Karte.
Was braucht man für eine Revolution? Überzeugende Anlässe können helfen. So wie damals, als die Fußball-Regelhüter die Faxen dicke davon hatten, wie St. Paulis Sensenmann Walter Frosch (der mit der Kippen-Packung unterm Stutzen) die Gebote beharrlich zu seinen Gunsten interpretierte. Gelb - immer wieder gelb! In jedem zweiten Spiel der Saison 76/77 langte der Kiez-Haudegen verwarnungswürdig zu. An den Schreibtischen in der DFB-Zentrale entstand ein penetrantes Störgefühl, das schließlich zu der Überzeugung führte, die Gelbsperre einführen zu müssen. Allzu laute Proteste gab es seinerzeit nicht - nicht mal von Frosch. Manche Anpassungen (Rückpassregel) haben sich seither als zielführend erwiesen, andere (VAR) eine nervenzehrende Dauer-Kontroverse heraufbeschworen. In welche Kategorie wird dereinst wohl die "Blaue Karte" einsortiert werden müssen? So richtig dringend erscheint deren geplante Einführung derzeit jedenfalls nicht.
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Traditionalisten jenseits des 40. Lebensjahres, die in ihrer Blütezeit Amateur-Fußball gespielt haben, dürfte die Karte an sich schon als überflüssiges Utensil erscheinen. Die zuckende Schiri-Hand am Ende des erhobenen Armes. Fünf Finger - doppelt gereckt - bedeuteten in den 1990ern zehn Minuten Abkühlphase fürs Foulen, Festhalten, Krakeelen oder die öffentliche Verbreitung unangemessener Gesten. Zackzack - und raus. Braucht es für diesen Fall tatsächlich noch eine weitere Farb-Variante im Karten-Repertoire der Unparteiischen? Nicht, dass sich die Herrschaften in der ganzen Aufregung aus dem falschen Halfter bedienen! Unglaublich - er zeigt ihm ROT!! Ach nee - doch nicht - er belässt es bei Blau!! Na ja - 'ne Gelbe hätte es ja wohl auch getan.
Neues Niveau an Diskussionen?
Kommen wir also zur Sinnhaftigkeit der angedachten Sanktion. Zehn Minuten Unterzahl - einer oder mehrere Spieler auf der Strafbank. Eine normverdeutlichende Maßnahme, die die Statik des Spiels zweifellos erheblich beeinflussen würde. Zum Guten? Die Trainer - ohnehin erkennbar unter Dauerstrom - würde der blaue Bannstrahl zu weiteren strategischen Planspielen nötigen. Und ganz sicher auch deren (Im)Puls-Kontrolle auf beinharte Proben stellen. Durch die Coaching-Zone zu tigern, das gesplittete Auswechsel-Kontingent im Blick zu behalten und dabei auch noch sicherzustellen, dass der Sechser absprachegemäß abkippt oder der Schienenspieler nicht vom Gleis stolpert - sind das nicht schon mehr als genug Stressfaktoren? Künftig sollen sie auch noch die Unterzahl-Ausrichtung konzipieren - aber nur für zehn Minuten. Anspruchsvoll!
Denkbar - vielleicht sogar einigermaßen wahrscheinlich - ist zudem, dass die Diskussionen nach Abpfiff ein völlig neues Niveau erreichen würden. Ob das spielentscheidende Vergehen nun gelb-, rot- oder blauwürdig war, dürfte zum regelmäßigen Gegenstand der Debatte in Field-Interviews und fachspezifischen Gesprächsrunden werden. Könnte den Entertainment-, eventuell aber auch den Nerv-Faktor drastisch erhöhen. Müssen wir wohl in der Kategorie Geschmackssache abbuchen.
... der riskiert natürlich die Arschkarte
Andererseits könnte es natürlich auch sein, dass wir mit dem angedachten Farb-Dreiklang längst noch nicht solide genug aufgestellt sind. Wer zum Beispiel unbelehrbar unachtsam mit den penibel gepflegten Grasflächen unserer Fußball-Tempel umspringt, könnte künftig mit der "Grünen Karte" belegt und zu einer Woche Sä- und Mäh-Dienst unter den strengen Augen des örtlichen Green-Keepers verdonnert werden. Und wenn wir schon mal dabei sind: Brauchen wir nicht auch zeitnah einen fünften Offiziellen? Der könnte dann schließlich - längst überfällig - die Rolle des Styling-Beauftragten übernehmen und unpassende Frisuren mit Gold, sowie abstoßende Tattoos mit Silber ahnden. Wer im Nachgang als Peinlich-Jubler enttarnt wird (zum Beispiel nach Aberkennung eines Tores) riskiert natürlich die Arsch-Karte - frei Haus geliefert aus dem Kölner Keller.
Der Test-Lauf für die Karten-Revolution wird ja offenbar bereits vorbereitet. Fraglich, ob da eine Erfolgsgeschichte auf den Fußball-Kosmos zurollt. Denn eigentlich ist das Spiel ja in den allermeisten Fällen ganz schön, so wie es ist. Wer's komplizierter macht, riskiert Komplikationen. Und wer dringend mehr Karten braucht, der kann ja zum Canasta gehen. Bei Walter Frosch - Gott hab ihn selig - hätte der blaue Karton mutmaßlich nicht allzu viel Eindruck hinterlassen. Der war mehr an blauem Dunst interessiert.
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