Lange Zeit war der "Zehner" die wichtigste Position im Weltfußball. Doch in den vergangenen Jahren hatten Spielmacher einen schweren Stand. Vier besonders prominente Exemplare stehen aktuell vor einer sehr unsicheren Zukunft.
Die Nummer 10 auf dem Rücken zu tragen, ist im Fußball ein echtes Statussymbol - auch heute noch. In Jugendteams war es schon immer die Nummer, die dem Spielmacher überlassen war, dem besten Spieler des Teams, dem Akteur, der die Offensive lenken soll und den Fixpunkt der Mannschaft darstellt. Der Gegner wusste das auch, denn der beste Verteidiger wurde meistens auf diesen Zehner angesetzt. "Der muss ja was können, sonst hätte er nicht die Zehn", war ein viel zitierter Satz auf den Fußballplätzen jedes Dorfvereins.
Viele Legenden trugen die 10
Kein Wunder, wenn man bedenkt, welche legendären Spielmacher in der Geschichte diese Nummer alles getragen haben. In Frankreich beispielsweise Michel Platini und Zinedine Zidane, die die Equipe Tricolore zu EM-Siegen 1984 und 2000 und dem Weltmeistertitel 1998 im eigenen Land führten.
Oder in Argentinien, wo Diego Armando Maradona und Lionel Messi verehrt werden. Ähnlich sieht es in Brasilien aus: Gestalter wie Zico, Kaka oder Ronaldinho haben einen ganz besonderen Platz in den Herzen der Fans. Und auch in Deutschland kennt jeder Anhänger dominante Zehner vergangener Tage wie Günter Netzer oder Lothar Matthäus, die das DFB-Team zu WM-Titeln 1974 und 1990 führten.
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Auch beim vierten WM-Erfolg Deutschlands setzte Bundestrainer Jogi Löw in seinem 4-2-3-1 System auf einen klassischen Zehner in Mesut Özil, doch der 31-Jährige verkörpert aktuell wie kaum ein anderer Spieler den Wertverfall der einstigen Königsposition.
Nach seinem Wechsel in jungen Jahren von seinem Jugendklub FC Schalke 04 zu Werder Bremen trat Özil in der Bremer Mittelfeld-Raute nahtlos in die Fußstapfen von brillanten Dirigenten wie Johan Micoud oder Diego, so dass Real Madrid einige Jahre später zuschlug.
Kein Platz im System für Özil
An der Seite von Cristiano Ronaldo begeisterte Özil einen Trainer wie Jose Mourino. "Jose sagte mir mal, dass er bei Real im Mannschaftstraining mit dem Rücken zum Spielfeld merkte, wann Mesut Özil am Ball war", erklärte Ex-Liverpool-Verteidiger Mark Lawrenson einmal in einem Interview mit der BBC. Das Spielgerät würde laut des heutigen Trainers der Tottenham Hotspur "ein anderes Geräusch" machen, wenn der Edeltechniker am Ball sei oder schießen würde.
Als "The Special One" Madrid im Jahr 2013 verließ, zog auch Özil weiter und wechselte für 50 Millionen Euro zum FC Arsenal in die Premier League. Unter Arsene Wenger lief es zunächst auch gut, aber die Nachfolger Unai Emery und aktuell Mikel Arteta hatten immer weniger Verwendung für die Fähigkeiten des Spielmachers. Aktuell spielt Özil gar keine Rolle mehr und stand zuletzt vier Mal nicht einmal im Kader der Gunners. Eine Verlängerung seines bis 2021 laufenden Vertrags ist ausgeschlossen.
Özils Problem? In Artetas 3-4-3-System ist schlicht kein Platz für einen Zehner. Der Spanier setzt auf Dynamik und vor allem Geschwindigkeit und gibt daher anderen Spielern im Mittelfeld den Vorzug. Damit ist der Coach in England nicht alleine: Manchester City agiert unter Trainer Pep Guadiola meistens im 4-3-3-System ohne klassischen Strategen und dominierte damit in den vergangenen Jahren die Premier League. Die Nummer zehn bei den Citizens trägt mit Sergio Agüero bezeichnenderweise der zentrale Stürmer.
Geschwindigkeit wird immer wichtiger
In Liverpool hat diese mit Sadio Mane ein trickreicher, pfeilschneller Flügelstürmer auf dem Rücken. Also genau so ein Spieler, der aktuell im Weltfußball neben einem treffsicheren Torjäger die größte Waffe darstellt und den Zehner als wichtigste Position in der Offensive abgelöst hat. Dank Mane und seinen kongenialen Partnern Mo Salah und Roberto Firmino eilen die Reds aktuell unter Jürgen Klopp von Trophäe zu Trophäe. Nach dem Champions-League-Triumph in der Vorsaison holte Liverpool in der aktuellen Spielzeit die erste Meisterschaft seit 30 Jahren.
Die Idee dahinter ist klar: Wenn das Spiel zu sehr auf einen einzigen Spielmacher ausgelegt ist, lahmt die Offensive natürlich, wenn es dem Gegner gelingt, diesen aus der Partie zu nehmen. Wenn jedoch die Kreativität auf mehreren Schultern verteilt ist, erschwert dies dem Kontrahenten die Arbeit.
Real Madrid setzte daher bei seinem Champions-League-Hattrick unter Zidane auf eine vergleichbare Grundordnung und steht aktuell auch vor der ersten spanischen Meisterschaft seit 2017. Sehr zum Leidwesen eines weiteren echten Zehners: James Rodriguez.
James spielt bei Real keine Rolle
Der Kolumbianer, der zuvor zwei Jahre an den FC Bayern ausgeliehen war, kommt in der aktuellen Spielzeit nur auf acht Einsätze in der Primera Division und soll den Verein zum Saisonende trotz Vertrags verlassen. Doch anders als 2014, als der Stern des mittlerweile 29-Jährigen bei der WM aufging, stehen Topklubs dieses Mal nicht mehr Schlange. Vielmehr wird über ein Engagement beim FC Everton oder den Wolverhampton Wanderers spekuliert. Zweifelsohne ambitionierte Klubs, aber keine Vereine, bei denen man Spieler dieses Kalibers erwarten würde.
Özil und James wird es da auch wenig trösten, dass in diesem Sommer zwei weitere Spielmacher vor einer ungewissen Zukunft stehen.
Philippe Coutinho, praktisch James' Nachfolger in München, wird beim deutschen Branchenprimus nicht mehr benötigt und auch der FC Barcelona, wo der Brasilianer noch bis 30.06.2023 unter Vertrag steht, will ihn unbedingt abgeben. Dabei zahlten die Katalanen vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren umgerechnet etwa 145 Millionen Euro für den Gestalter.
Wie geht es weiter für Coutinho und Götze?
Doch weder bei Barca noch bei den Bayern konnte der 28-Jährige Werbung in eigener Sache betreiben und es ist völlig unklar, wo die Reise für den Nationalspieler hinführt. Zahlreiche Topklubs wie Ex-Klub FC Liverpool haben bereits abgewunken. Angeblich soll Inter Interesse haben, wo Trainer Antonio Conte oft im 3-4-1-2 spielen lässt - also in einem der wenigen Systeme, die einem Spielmacher die nötigen Freiheiten lässt.
Diese benötigt auch Mario Götze, um seine Stärken voll auszuspielen. Bei Borussia Dortmund waren diese nicht mehr gefragt, weil Lucien Favre dafür in seinem System keine Verwendung hat. Der BVB setzt wie die meisten Klubs auf flinke Flügelspieler und plante Götze höchstens als Aushilfsstürmer ein. Angeblich sollen Klubs aus Frankreich, Italien und Spanien am Finaltorschützen von 2014 dran sein - ob es sportlich letztlich eine Verbesserung zu Schwarz-Gelb wird, ist aber offen.
Nummer bleibt Statussymbol - Position wird zum Auslaufmodell
Seine Nummer in Dortmund blieb übrigens nicht lange frei. Flügelstürmer Thorgan Hazard wird zukünftig mit der Nummer zehn auflaufen. Ähnlich sieht es in München aus, wo Leroy Sane diese Zahl ab der kommenden Spielzeit auf dem Rücken trägt.
Und bei Real Madrid schlug Luka Modric sofort zu, als James seinerzeit nach München ging. Das zeigt: Die Nummer 10 auf dem Rücken zu tragen, ist im Fußball ein echtes Statussymbol - auch heute noch. Nur die Position, für die die Nummer über Jahrzehnte stand, wird immer mehr zum Auslaufmodell.