Sky Experte Lothar Matthäus schreibt in seiner Kolumne "So sehe ich das" über den Start der neuen Trainer bei ihren Klubs und verteilt Noten nach den ersten Eindrücken von Nagelsmann, Rose und Co.
Viele Bundesligavereine sind in die neue Saison mit einem neuen Chefcoach gestartet. Natürlich ist es nach fünf Spieltagen noch deutlich zu früh, um die Arbeit wirklich beurteilen zu können. Und trotzdem möchte ich heute über die acht Trainer sprechen, die einen neuen Verein übernommen haben.
Nagelsmann hat die Bayern nicht neu erfunden - und das ist gut
Julian Nagelsmann war clever genug, beim FC Bayern nicht gleich alles auf den Kopf stellen zu wollen. Das ist auch überhaupt nicht nötig, jedoch machen dies einige zu Beginn gerne, um ein Zeichen zu setzen. Nicht so Julian. Er hat sich das alles in Ruhe angeschaut und nur ein paar Kleinigkeiten verändert. Er hat auch überhaupt keinen Grund, vieles anders zu machen. Die Arbeit von Hansi Flick war in den knapp zwei Jahren davor außergewöhnlich. Im Grunde gehört das 4-2-3-1-System seit circa zehn Jahren zur Bayern-DNA.
In Ausnahmefällen wird aus der Viererkette eine Dreierkette. Aktuell ist Davies derjenige, der sich öfter und regelmäßiger in das Offensiv-Spiel mit einschaltet. Früher waren das mit Alaba und Lahm beide Außenverteidiger. Julian macht einen wunderbaren Eindruck bei Bayern. Die ersten Spiele waren noch ein kleines bisschen holprig. Das lag aber vor allem daran, dass er auf die meisten Nationalspieler aller Bundesligisten warten musste und die richtige Vorbereitung länger gedauert hat.
Die Bayern-Maschinerie läuft auf Hochtouren
Es gab nur ein Unentschieden in Gladbach und einen knappen Sieg gegen Köln. Seitdem läuft die Maschinerie aber wieder auf Hochtouren. Die Bayern sind Tabellenführer, haben jetzt schon ein unglaubliches Torverhältnis und nicht nur national, sondern auch in der Champions League bereits das erste Zeichen gesetzt. Die Art und Weise, wie die Mannschaft auch unser Nagelsmann weiter Fußball spielt, ist großartig, hungrig, attraktiv und erfolgreich.
Julian hat Sane wieder auf die linke Seite gestellt und dieser kommt Woche für Woche immer besser in Tritt und nähert sich seiner Bestform. Lewandowski trifft weiter ohne Ende, die Defensive spielt sich immer besser ein und zentral liefern Kimmich, Goretzka und Müller ohnehin Spitzenleistungen am Fließband ab. Bis hierhin gibt es die Bestnote für Nagelsmann. NOTE: 1
Van Bommel macht den Wechsel-Fehler wieder wett
Bayerns ehemaliger Aggressive-Leader Mark van Bommel trainiert seit dieser Saison den VfL Wolfsburg. An der Außenlinie und mit der Verantwortung für eine Mannschaft tritt der sympathische Holländer anders auf als damals auf dem Feld. Ruhig, bedacht, analytisch. Er hat einen tollen Kader und knüpft nahtlos an die guten Leistungen von Vorgänger Glasner an. Der Kader ist sogar noch besser als in der Vorsaison.
Die Siege sind nicht ganz so überzeugend und glanzvoll wie die der Bayern und fallen meistens knapp aus. Der Wechselfehler und die Leistung an sich im Pokalspiel waren natürlich alles andere als erfreulich. In der Champions League kann man mit dem Punkt beim französischen Meister zufrieden sein. Van Bommel liefert bisher ab, auch weil man in Wolfsburg in aller Ruhe arbeiten kann. NOTE: 2
BVB ist unter Rose Spektakel pur! - Auch im negativen Sinne
Bisher ist der BVB unter Marco Rose Spektakel pur. Es hagelt Tore. Aber nicht nur vorne durch Haaland, sondern leider auch immer wieder hinten. Ich will nicht von Schießbude sprechen, aber es sind definitiv viel zu viele Gegentreffer. Das kann auf Dauer in einer ganzen Saison nicht gut gehen. Man kann nicht ständig drei oder vier Tore schießen, um ein Spiel zu gewinnen. Irgendwas stimmt mit der Defensivarbeit nicht.
Rose musste oft auf Stammspieler verzichten. Einige waren verletzt, andere hatten Trainingsrückstand und zudem spielt er meistens nur mit einem Sechser vor der Abwehr. Die Qualität der Abwehrspieler ist durchaus vorhanden, aber eventuell müssen die Vordermänner mehr mit nach hinten arbeiten. Wenn er Titel holen will - und davon gehe ich aus - muss er dafür sorgen, dass die Mannschaft weniger Tore kassiert. NOTE: 2,5
Seoane hat mich ziemlich überrascht
Von Gerardo Seoane bin ich ziemlich überrascht. Er hat im Eilverfahren die Liga verstanden und angenommen und Bayer Leverkusen eine richtig tolle Handschrift verpasst. Schneller, attraktiver Fußball über die Flügel, ein toller Mittelstürmer mit Schick und defensive Struktur sowie eine Stabilität, die fast noch besser ist als in der Vergangenheit.
Und das, obwohl man beispielsweise die Bender-Zwillinge nicht mehr im Team hat. Hinzu kommt Florian Wirtz, der mittlerweile kein Talent mehr, sondern ein Nationalspieler ist und außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt. Eine tolle Truppe und ein Trainer, der richtig Spaß macht. NOTE: 2
Was Hütter und die Borussia bieten, ist nicht Gladbach-like
Bei aller Sympathie und größter Wertschätzung für Adi Hütter und Borussia Mönchengladbach: Was die Borussia und ihr Trainer bisher bieten, ist absolut nicht Gladbach-like. Das, wofür der Klub steht, wird total vermisst. Begeisternder Offensiv-Fußball, viele herausgespielte Chancen, Tore, Tempo, Leidenschaft. Von alledem ist bisher so gut wie nichts zu sehen. Ergebnis: Platz 16.
Adi hatte auch in Frankfurt seine Anfangsschwierigkeiten und ohnehin lassen sich die beiden Klub-Philosophien nicht kopieren. Hinzu kommt natürlich, dass in Gladbach viele Leistungsträger verletzt ausfallen und andere wiederum weit entfernt von ihrer Normalform sind. Vier Punkte aus fünf Spielen, drei Auswärts-Niederlagen in Folge und die nächsten Gegner heißen Dortmund und Wolfsburg. Ich glaube, dass es mindestens bis Weihnachten richtig schwer für Gladbach bleibt. Das Potenzial dieser Mannschaft ist, wenn alle gesund sind, viel größer, als es gerade den Anschein macht. Hütter hat viel Arbeit vor sich und bis hierhin hat er nicht überzeugt. NOTE: 4,5
Baumgart ist schon der König von Köln
Steffen Baumgart ist gefühlt bereits der neue König von Köln. Aber ich bin mir sicher, dass er auch die momentane Euphorie um sich und seine Mannschaft richtig einschätzen kann. Eines ist offensichtlich: Er hat diesem Team und dem Verein wieder Leben eingehaucht.
Sie glauben an sich, spielen mutig und haben keine Angst vor Fehlern. Baumgart nimmt das fantastische Kölner Publikum mit jedem Auftritt mehr und mehr mit. Spieler wie Modeste, Hector oder Horn hat er wieder stark geredet, ihnen Selbstvertrauen gegeben und das zahlen sie auf dem Feld zurück. Es macht richtig Spaß, Baumgart und dem Effzeh zuzuschauen. Da sieht man mal, was der richtige Trainer am richtigen Ort alles bewirken kann. NOTE: 1,5
Die Balance in Leipzig stimmt unter Marsch noch nicht
Auch in Leipzig steht ein wirklich sympathischer, emotionaler und total engagierter Trainer am Spielfeldrand. Ich mag und schätze Jesse Marsch total. Im Gegensatz zu Nagelsmann hat er allerdings bei RB ein bisschen zu viel in zu kurzer Zeit verändern wollen. Natürlich tendiert ein neuer Coach dazu, teure und gute Transfers sofort einbinden zu wollen. Aber vor allem junge Spieler brauchen erfahrene Profis neben sich, die sie auf dem Feld führen. Die beste halbe Stunde, die RB unter Marsch bisher abgeliefert hat, waren die letzten 30 Minuten in Köln. Hier standen die Spieler auf dem Feld, die die höchst erfolgreiche RB-Geschichte der letzten Jahre mitgeschrieben haben. Kampl, Forsberg, Poulsen, Orban, Gulasci.
Ähnlich wie Hansi Flick bei seinem Beginn als Bayern-Trainer auf Müller und Boateng gesetzt hat, könnte auch Marsch die Erfahrung dieser Spieler für sich und die Mannschaft besser nutzen. Er braucht ein Gerüst und meiner Meinung nach wäre es mit diesen Spielern am besten. Die Balance stimmt noch nicht in Leipzig. Das zeigen auch die vielen Gegentore. Er braucht noch Zeit, aber ich bin der Meinung, dass er ein sehr guter Trainer ist, der zu diesem Klub passt. Bis hierhin sind die Ergebnisse samt Performance natürlich noch nicht so, wie sie sein müssen. NOTE: 4
Bei Frankfurt und Glasner ist noch viel Luft nach oben
Ähnlich geht es Oliver Glasner bei Eintracht Frankfurt. Die Hessen haben nicht nur Top-Stürmer Silva an Leipzig verloren. Es herrschte viel Unruhe im Transferfenster und auch neben dem Platz gab es viele wichtige Abgänge wie der von Macher Fredi Bobic nach Berlin. Mit Krösche hat Glasner einen guten Mann an seiner Seite, aber auch der benötigt Zeit, um im neuen Verein richtig anzukommen.
Der Österreicher hat bei seinem Ex-Verein Wolfsburg am Wochenende einen Punkt geholt, das war ordentlich. Aber natürlich ist der Anspruch in Frankfurt aufgrund der letzten Jahre gestiegen. Ein einstelliger Tabellenplatz sollte wohl mindestens erreicht werden. Die Eintracht ist aktuell auf Platz 15 mit nur vier Punkten. Zu wenig. Da ist noch viel Luft nach oben. NOTE: 4