Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt. Dieses Mal spricht der Rekord-Nationalspieler über das CL-Finale und beide Trainer. Zudem spürt er einen neuen Wind im DFB-Team - auch dank der Rückkehrer Müller und Hummels.
Jetzt ist auch Thomas Tuchel im Olymp der ganz großen Trainer angekommen. Schön, dass er nach Jürgen Klopp und Hansi Flick der dritte Deutsche Coach hintereinander ist, der den Henkelpott gewinnen kann. Im Grunde ist seine Leistung mit Chelsea ein kleines bisschen höher einzuschätzen, als der Sieg von Liverpool oder der Bayern.
Diese Londoner Mannschaft war von der Zusammenstellung und der Erfahrung noch nicht dafür geschaffen, die beste in Europa zu werden. Vor ein paar Monaten, bevor Tuchel übernahm, stand der Verein auf Platz neun der Premier League. Doch Thomas hat etwas geschafft, das fantastisch ist.
Tuchel kann mit Superstars umgehen
Einmal mehr zeigt sich auf allerhöchster Ebene, dass der Trainer durch Ehrlichkeit, taktische Finesse, einem Wir-Gefühl und einer tollen Atmosphäre, Dinge erreichen kann, die nur sehr wenige für möglich gehalten hätten. Dass sich die Ersatzspieler fast noch mehr gefreut haben, als diejenige auf dem Feld, sagt alles über das Innenleben dieses Teams. Tuchel hat etwas ganz spezielles an sich und es ist ihm in kürzester Zeit gelungen, die Mannschaft und den Verein für sich zu gewinnen. Mein Freund und Klubeigner aus Paris, kommt mit Sicherheit ins Grübeln und fragt sich, wie der Sportchef diesen Thomas Tuchel im Winter hat rauswerfen können.
Denn schon bei PSG war ganz klar. Tuchel kann sogar mit den größten Superstars wie Neymar und Mbappé prima umgehen. Sie waren im Champions-League-Finale gegen Bayern auf keinen Fall die schlechteren und haben national souverän die Titel gewonnen. Wie man spätestens jetzt sieht, ist das wohl doch nicht so ganz selbstverständlich.
In London können sie sich jedenfalls über Tuchel freuen und werden noch lange Freude an ihm haben. Jemand der drei Duelle in einer Saison gegen Pep Guardiola gewinnt, gehört zur Creme de la Creme. Und trotz aller Verdienste von Tuchel und Chelsea muss man noch einmal klar und deutlich sagen: Pep allein hat Manchester City um den Pokal gebracht. Er hat durch seine Aufstellung dem Klub und den Fans die Champions League gestohlen und er muss sich die harte Kritik von allen Seiten jetzt zurecht anhören.
Zeit von Guardiola bei City zu Ende?
Ich bin mir sicher, dass intern darüber diskutiert wird, ob man sich von ihm trennt. Die Spieler werden seit diesem Finale an ihm zweifeln. Er musste mal wieder irgendwas probieren, eine ausgedachte Genialität im schlechtesten Moment präsentieren und hat total verdient verloren. Wie kann man im wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte auf einen defensiven Mittelfeldspieler verzichten, der in fast jeder Partie der Saison auf dem Platz stand, der für die Balance sorgt, der allen Beteiligten die nötige Sicherheit gibt? Wieso hat er Rodri und oder Fernandinho draußen gelassen, sechs Offensive gebracht und auch auf einen Mittelstürmer verzichtet?
Die Spieler auf dem Feld wussten teilweise überhaupt nicht, wo sie hinzulaufen haben, weil er sie auf für sie fremden Positionen aufgestellt hat. Das ist das Schlechteste was ein Trainer nur machen kann. Unerklärlich und unverzeihlich. Er hat damit garantiert bei jedem intern und extern viel Kredit verspielt. Am allermeisten bei seinen Spielern. Und das lässt sich kaum zurückgewinnen. Ich würde mich nicht wundern, wenn die Zeit von Pep Guardiola bei Manchester City jetzt zu Ende ist.
Ich war geschockt, als ich dann auch noch seine Aussagen nach dem Spiel gehört habe. Von Einsicht keine Spur. Ich denke, er würde alles genauso wieder machen. Er ist so ein großartiger, hochdekorierter Trainer. Er müsste es doch selbst besser als alle anderen wissen. Aber das war leider nicht der Fall.
"Ich finde Rüdiger klasse!"
Erfreulicher als für Pep, läuft es gerade für Jogi Löw. Die Stimmung rund um das DFB-Team ist endlich wieder positiv. Die Rückkehr von Thomas Müller von Mats Hummels war genau richtig und drei deutsche Champions-League-Sieger geben Jogi, unserer Mannschaft und der Mission EM-Titel einen richtig großen Schub.
Neben dem alles überragenden Kante waren Antonio Rüdiger und Kai Havertz die besten im Finale von Porto. Werner hat zwar wieder ein paar Chancen vergeben, aber das macht ihm nicht viel aus. Er wird die Dinger irgendwann wieder verwandeln, kein Zweifel und der große Triumph fühlt sich natürlich auch für Timo überragend an. Aus Rüdiger hat Tuchel einen komplett neuen Spieler gemacht. Er war schon so gut wie weg aus London, bis ihm der Trainer neues Leben und Selbstvertrauen eingehaucht hat. Ich finde Antonio klasse. Er hat keine Angst, kann dem Gegner richtig weh tun und man hat ihn definitiv lieber bei als gegen sich.
DFB-Team ist nicht DER Topfavorit
Jogi kann offensiv rechts oder ganz vorne mit Serge Gnabry, Timo Werner und Kai Havertz auf höchstem Niveau variieren. Der Bundestrainer macht auf mich wieder den alten, positiven, gelassenen aber entschlossenen Eindruck. Die alte Lethargie und Negativität ist passé. Auch wenn wir 0:6 gegen Spanien und 1:2 gegen Nordmazedonien verloren haben. Wir sind immer noch Deutschland und wir haben ein Top-Team, dass sich vor niemandem verstecken muss.
Neuer, Rüdiger, Hummels, Kimmich, Müller, Sane, Werner, Gnabry, Havertz, Kroos, Gündogan, Goretzka und und und. Das sind alles fantastische Fußballspieler, die bei den größten Klubs der Welt spielen und in den letzten Jahren so ziemlich alles gewonnen haben, was es zu gewinnen gibt. Ich habe schon so einige Wetten abgeschlossen und sehe Deutschland mit sehr guten Chancen mindestens das Halbfinale zu erreichen. Wir sind vielleicht nicht DER Topfavorit auf den Titel, aber wir werden ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Auch Dank Thomas Tuchel…