Sky Experte Lothar Matthäus blickt in seiner Kolumne auf die prekäre Lage in München und die Unruhe in der Führungsetage. Zudem spricht der Rekordnationalspieler über den Zweikampf um die Deutsche Meisterschaft und nennt die entscheidenden Faktoren, die der BVB für den Titel jetzt braucht.
Die Deutsche Meisterschaft wird am letzten Spieltag kurz vor 17:30 Uhr entschieden. Ich glaube, es bleibt jetzt bis zur letzten Sekunde spannend. Die besseren Karten hat der BVB, weil sie es in der eigenen Hand haben. Wenn sie es schaffen, mit dem Druck des Gejagten umzugehen und ihre Spiele gewinnen, können die Bayern nichts mehr machen.
BVB hat noch Stolpersteine im Weg
Aber wie wir alle wissen, ist der BVB nicht immer konstant. Sie haben ihre Lehren aus dem schlechten Spiel in Stuttgart allerdings gezogen und gegen Frankfurt alles richtig gemacht und mit tollem Fußball die Tabellenführung übernommen. Das war klasse und genauso muss man das machen, wenn die Bayern ausrutschen. Geschafft haben sie es aber noch immer nicht. Denn obwohl die fünf Spiele für Dortmund machbar sind, müssen sie gegen die unberechenbaren Wolfsburger und am letzten Spieltag gegen Mainz ran. Das sind mögliche Stolpersteine.
Es geht jetzt vor allem um die Psyche, das Wollen und die Opferbereitschaft. Bekommen die Dortmunder das alles hin, werden sie Meister. Ihr Glück könnte zudem die unglaubliche Unruhe beim FC Bayern sein. Ich fühle mich jetzt durch die Pleiten und das Theater nicht bestätigt oder fühle Genugtuung. Ja, ich habe oft die Finger in die Wunde gelegt und Dinge, die ich beobachte, kritisiert und bemängelt. Das war nie böswillig oder gehässig von mir gemeint.
Gravenberch und Tel müssten mehr spielen
Schon beim knappen Sieg in Stuttgart fiel mir auf, dass Körpersprache oder Engagement nicht ideal waren. Man muss bei der Performance der Bayern so gut wie alles hinterfragen und analysieren. Auf und neben dem Platz. Führung in beiden Bereichen ist ein entscheidender Punkt. Die Transfers, vor allem die, die den Kader ergänzen sollen, haben nicht allzu viele faire Chancen bekommen. Da fallen mir vor allem Gravenberch und Tel ein. Wenn ich schon ein Sturm-Problem habe, wieso lasse ich den Jungen nicht viel mehr spielen. Er bringt alles mit, um ein großartiger Stürmer zu werden. Und Gravenberch hätte man auch deutlich öfter bringen können, wenn nicht sogar sollen.
Die Kommunikation des CEO kommt entweder nicht richtig an oder findet nicht so statt, wie es die Mitarbeiter benötigen. Der neue Trainer findet einfach keine feste Stammformation. Führungsspieler fehlen entweder, weil sie sich beim Skifahren verletzt haben, nach Barcelona verkauft wurden, in den wichtigen Spielen nicht spielen dürfen (Müller) oder außer Form sind (Kimmich, Goretzka).
Wenn das alles auf einen Schlag zusammen kommt, ist es kein Wunder, dass man aus allen Wettbewerben fliegt. Natürlich könnte man auch bei Bayern ausnahmsweise sagen, dass so eine Saison mal hingenommen und dann wieder voll angegriffen wird. Zusammen im Verbund mit Oliver, Hasan, dem Trainer und dem einen oder anderen Top-Transfer. Bis auf einen Top-Stürmer sehe ich nämlich nicht allzu viel Bedarf an kostspieligen Neuverpflichtungen. Und das hätte man auch schon im Sommer machen sollen.
Warum keinen Alternativ-Plan zu Haaland?
Wenn bei Haaland alles Mögliche getan wurde, wieso gab es keinen 1B-Plan? Was die Aufstellungen von Thomas Tuchel angeht, hätte ich mir persönlich vor allem gegen City die Persönlichkeit von Müller gewünscht. Vor dem haben die Gegner Respekt, etwas Angst und er ist immer ein verlängerter Arm für den Trainer. Und es gab schon einige, denen es nicht gut bekommen ist, wenn sie auf Thomas verzichtet haben. Zudem hätte ich Goretzka eine Pause verordnet, Musiala auf die Doppel-Sechs gestellt und so Platz für Thomas gemacht. Upamecano wäre bei mir auch draußen gewesen. Stattdessen hätte ich das Tempo von Cancelo und Davies genutzt.
Tuchel hat sich nach einem 0:3 in die Mannschaft verliebt. Ganz ehrlich: ich kann nur hoffen, dass er in der Kabine andere Worte gefunden hat. Ich als Spieler hätte mich nach einer deutlichen Niederlage sehr über so eine Aussage gewundert. Diese Mannschaft ist viel zu lange in der Öffentlichkeit viel zu gut davongekommen. Und zwar von allen Verantwortlichen. Ich will nicht permanent die alten Zeiten hochleben lassen. Aber Hoeneß ist früher oft und zurecht in die Kabine gekommen und nach schlechten Spielen war da die Hölle los. Spieler müssen damit zurechtkommen.
Hoeneß mit Chefetage unzufrieden
Ich persönlich habe nie gesagt, dass Kahn oder Salihamidzic keine neue Chance verdienen und man nicht mit ihnen in die neue Saison gehen kann. Das kann nach der schonungslosen Saison-Analyse durchaus sein. Aber mir wurde von mehreren Menschen berichtet, dass Uli mit der Besetzung, die er maßgeblich in der Chefetage installiert hat, seit vielen Monaten unzufrieden ist. Ja, wenn man die Führung und die Macht weitergibt, muss man die Neuen machen lassen. Aber wenn es in der Familie nicht gut läuft, dann kann man sich auch den Rat und die Weisheit des Oberhauptes mal zu Herzen nehmen.
Die Vorbildfunktion und die Art und Weise, wie Bayern München sich sportlich, kommunikativ und auf vielen anderen Ebenen seit längerer Zeit präsentiert, ist nicht so wie gewohnt. Nicht umsonst machen die Fans ihren Unmut auch im Stadion publik. Ich glaube nicht, dass nach einem Trainer-Wechsel jetzt auch noch eine Führungskraft mitten in der Saison entlassen werden sollte. Ich denke auch nicht, dass Karl-Heinz Rummenigge zurückkommt. Und es kann auch nicht die Lösung sein, dass Uli jetzt wieder den Verein an vorderster Front führt.
Viele Dinge müssen sich ändern
Aber ändern muss man einige Dinge trotzdem. Wie viele andere hätte ich nicht gedacht, dass es nach dem Trainer-Wechsel noch schlechter wird. Aber ich war auch nach dem Sieg gegen Dortmund nicht sofort euphorisch, weil mir die Bayern nicht gallig genug waren. Sie sind mir nicht aggressiv genug angelaufen und vieles mehr. Und vor allem bin ich ein Freund davon, gerade in einer entschiedenen Phase zwölf oder dreizehn Stammspieler zu haben und zu stärken und nicht in jedem Spiel eine andere Formation aufzubieten. Der BVB hat gegen Frankfurt so gespielt, wie ich es von der Einstellung her aus besten Münchner Zeiten kenne.
Zum Schuss noch ein dickes Lob an Leverkusen, Freiburg, Union Berlin und Mainz. Traumhaft, was diese Klubs in den letzten Monaten abliefern. Harmonisch, erfolgreich, mit viel Zusammenhalt und Unterstützung auf allen Ebenen. Sie alle können in dieser Saison noch Großartiges erreichen und hätten es total verdient. Alonso macht das klasse in Leverkusen und kann noch in die Champions League und die Europa League gewinnen. Die anderen drei Klubs haben aus ihren Möglichkeiten mehr gemacht, als jemals einer hätte vorausahnen können. Fantastisch…
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