Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen der Fußballwelt auf skysport.de. Heute geht es um die Zukunft von Lucien Favre bei Borussia Dortmund.
Die Diskussionen um Lucien Favre und seine Zukunft beim BVB gibt es nicht erst seit der 0:1-Niederlage gegen die Bayern am letzten Dienstag.
Trainerdebatte beim BVB kommt nicht von außen
Es steht für mich außer Frage, dass die Debatte um den BVB-Coach nicht - wie gerne behauptet wird - von außen, also den Medien hineingetragen wird. Es ist vielmehr so, dass man in Dortmund nach einer gewissen Zeit den Trainer von oberster Stelle nicht so unterstützt und öffentlich stärkt, wie es nötig wäre.
Der Letzte, der diese Wertschätzung offen, ehrlich und regelmäßig bekommen hat, war Jürgen Klopp. Und dem trauert man, zumindest hinter vorgehaltener Hand, immer noch nach. Es wird nach außen gerne der Eindruck erweckt, dass man natürlich keine Trainer-Diskussion führt und alles in Ordnung sei. Ganz glaubhaft ist das für mich aber leider nicht. Seit Jürgen weg ist, sehnt man sich in Dortmund quasi nach einem Klopp-Klon. Und den gibt es eben nicht.
Egal ob Tuchel, Bosz, Stöger oder nun Lucien Favre. Sie alle mussten diesen Vergleich irgendwie ertragen und das färbt irgendwann mal auf die Laune und die Leistung ab. Es ist so ähnlich wie mit Niko Kovac beim FC Bayern. Auch er hatte nicht die absolute Rückendeckung der gesamten Vereinsführung und dann wird es irgendwann für jeden Trainer schwierig.
Man kann Klopp nicht kopieren
Man kann weder Jürgen Klopp noch sonst irgendwen kopieren. Jeder ist auf seine Art einzigartig und jeder Trainer hat andere Qualitäten. Die von Lucien Favre sind unbestritten. Nicht umsonst ist er statistisch der erfolgreichste BVB-Mann der Geschichte an der Seitenlinie. Aber er holt eben nicht die Big Points, die nötig sind, um den Bayern die Meisterschaft ernsthaft streitig zu machen.
Und auch einige Tage nach dem alles entscheidenden Spiel um den Titel bleibe ich dabei: Ich hätte gerade in dieser Partie mit Jadon Sancho und Emre Can begonnen. Nicht das Thomas Delaney und Mahmoud Dahoud kein gutes Spiel gemacht hätten, im Gegenteil. Am Ende wurde das Match ja auch durch einen Geniestreich gepaart mit einem Torwart-Fehler entscheiden.
Can und Sancho hätten gegen Bayern starten sollen
Aber im wichtigsten Spiel des Jahres, vor über 200 Ländern an den Bildschirmen, hätte ich an Favres Stelle den Mentalitätsspieler Can und einen der besten Spieler und Top-Scorer der Liga, nämlich Sancho, aufgestellt. Zum einen hat es eine ganz andere Wirkung auf den Gegner, wenn ich mit diesen beiden beginne. Und zum anderen hat Favre sie ja dann in der 46. Minute gebracht. Also hätten sie genauso gut starten können. In so einem Spiel wären sie womöglich über sich hinausgewachsen.
Diese TV-Audience und die Wichtigkeit der drei Punkte wäre für beide eine Art Leistungsdoping gewesen. Allein die Leistung und Ausstrahlung von Sancho im zweiten Durchgang zeigt ja, wie sehr es ihn gestört, ja gekränkt hat, ausgerechnet gegen Bayern nicht begonnen zu haben.
Das muss diskutiert werden, denn das hat am Ende vielleicht den Titel gekostet. Mir geht es hier rein um sportliche Inhalte und nicht darum, Recht zu haben. Es gibt schließlich nicht die eine, einzig richtige Aufstellung. Aber ich glaube, Favre hätte mutiger sein sollen und viel mehr riskieren können. Vor allem in den alles entscheidenden 90 Minuten.
Brodelt es in Favre?
Ich war weiß Gott nicht ein solch guter und erfolgreicher Trainer wie Lucien Favre. Aber ich war lange genug dabei um zu wissen, dass Can und Sancho auch 60, 70 Minuten oder gar das ganze Spiel im Tank gehabt hätten.
Und natürlich kommen nun wieder die Fragen an Favre und die Verantwortlichen, ob er der Richtige ist, um Dortmund zum Titel zu führen. Wenn ich mir seine Reaktion nach dem Spiel nochmal vor Augen führe, bleibe ich bei meinem ursprünglichen Impuls. Ich glaube nicht, dass Favre in der nächsten Saison noch auf der BVB-Bank sitzt. Die Aussage, "darüber werde ich in ein paar Wochen sprechen", interpretiere ich weiterhin so, dass es in ihm brodelt.
Ich glaube, er möchte das so nicht mehr. Ähnlich wie bei seinen Stationen in Berlin oder Gladbach. Dort mögen es andere Gründe gewesen sein. Der Fakt, dass er die dortigen Mannschaften in seinen Augen nicht mehr weiterentwickeln konnte oder die fußballerischen Möglichkeiten ausgereizt waren. Ich schätze Favre aber so ein, dass er ein total konsequenter Mensch ist, wenn er davon überzeugt ist, dass ein Weg zu Ende ist. Und mein Gefühl sagt mir, dass dieser Punkt für ihn nun auch in Dortmund erreicht ist.
Kovac würde zum BVB passen
Ich habe am Dienstag intuitiv gesagt, dass ich an Niko Kovac als neuen Dortmunder Trainer gedacht habe. Und diese Vermutung kommt nicht von ungefähr. Es ist bekannt, dass die Dortmunder im Winter das Gespräch mit Niko gesucht haben. Ich kann nur spekulieren, ob sie bei einer Zusage von Niko sofort gehandelt hätten oder ob sie sein generelles Interesse an einem Engagement für die Zukunft ausloten wollten.
Niko hat der Hertha abgesagt und dürfte weiterhin bei vielen Klubs hoch im Kurs stehen. Er ist zwar erst 48 Jahre alt, hat aber bereits eine Menge Erfahrung als Trainer. Er hat Kroatien, Frankfurt und die Bayern trainiert. Und er hat jetzt schon einiges vorzuweisen.
Die Eintracht hat er erst vor dem Abstieg gerettet, dann den DFB-Pokal mit ihnen gegen die Bayern gewonnen und mit den Münchnern hat er das Double geholt. Er ist emotional, empathisch, akribisch und ein großartiger Typ. Ich kann ihn mir sehr gut als Trainer von Borussia Dortmund vorstellen.