Max Kruse soll beim VfL Wolfsburg nicht mehr spielen, trainiert aber weiter mit. Eine Situation, die sich in den vergangenen Wochen Schritt für Schritt ankündigte.
Die Klaviatur, die er bespielt, hat Kollateralschäden zur Folge. Immer und überall. Das weiß Max Kruse. Er tut es trotzdem - oder gerade deshalb? Einer, der sich nicht verstellt, urteilen die Zugewandten wohlwollend. Einer, der den Bogen bis zum nervenzerfetzenden Quietschen überspannt, befinden die Skeptiker.
Den Hochbegabten zu verpflichten, ist für alle Klub-Verantwortlichen stets eine Güterabwägung gewesen. Man bekommt einen außergewöhnlich versierten Impulsgeber, der jeder Mannschaft das gewisse Extra einhaucht und mit besonderen Momenten Spiele entscheidet. Man erträgt derweil einen kaum kontrollierbaren Exzentriker, der Team-Regeln als unverbindliche Empfehlungen auslegt und Konventionen wie den verstaubten Inhalt aus Omas Mottenkiste behandelt.
DFB-Karriere endet krachend
Unverbiegbar - und für manche unerträglich. Seine DFB-Karriere hat Kruse mit Ansage selbst beendet. Klare Vorgabe von Joachim Löw, die Dinge etwas ruhiger anzugehen, am nächsten Tag Geburtstagsparty in einem Berliner Club - inklusive Handy-Streit mit einer Reporterin. Das Aus bei der Nationalmannschaft nach 14 Länderspielen. Den detaillierten Ablauf hat der 34-Jährige kürzlich nochmal selbst amüsiert geschildert - über seine privaten Kanäle.
Das ist seit Jahren Teil seiner persönlichen Medienstrategie. Wer's genau wissen will, muss dem strammen Max bei Instatiktokyoutubetwittertwitch folgen - klicken und staunen! Das Gesamtpaket Kruse liegt also für Jedermann da wie ein offenes Buch. Das wussten sie auch in Wolfsburg - und stehen nach einem kunterbunten Potpourri aus öffentlichkeitswirksamen Eskapaden vor einem kostspieligen Dilemma.
Denn Kruses "Nervakte" hat sich bei seinem zweiten Engagement im Volkswagen-Land derart prall angefüllt, dass seine Anwesenheit seit vergangenem Wochenende zwar weiterhin äußerst gut bezahlt, von den Verantwortlichen aber nur noch zähneknirschend geduldet wird.
Von Union zum Abstiegskandidaten
30.1.2022: Kruse wechselt am letzten Tag der Winter-Transferperiode von Europa-League-Aspirant Union Berlin zum damaligen Abstiegskandidaten Wolfsburg und verabschiedet sich bei den Fans der Eisernen mit ein paar warmen Worten und dem Hinweis darauf, sein Vertrag beim VfL sei "langfristig und hochdotiert". Herrlich ehrlich, finden viele. Kein Geschwafel von der guten Wolfsburger Luft, sondern Tacheles im Zaster-Kosmos Profi-Fußball. Für Wolfsburg zahlt sich der Deal zunächst aus - Kruse übernimmt Verantwortung, schießt sechs Tore, trägt erheblich dazu bei, dass die Wölfe die Klasse halten.
15.5.2022: Der VfL entlässt Florian Kohfeldt, der Kruse die lange Leine gelassen und Kruses Spitzenposition in der Team-Hierarchie befeuert hat - zum Leidwesen mancher Mitspieler. Mit Niko Kovac wird ein Trainer verpflichtet, der ein anderes System bevorzugt, Disziplin und 100prozentige körperliche Fitness als Grundvoraussetzung sieht und die soziale Ordnung im Team neu justieren wird. Beobachter halten Kruses und Kovacs Charakterbeschaffenheit frühzeitig für nicht synchronisierbar.
22.6.2022: Trainingsauftakt beim VfL. Kovac weist frühzeitig darauf hin, dass er bei Kruse Defizite sieht. Der Auftakt zu einem kommunikativen Eiertanz, der dem Trainer mit zunehmender Zeit spürbar zusetzen wird.
27.6.2022: Kruses Gattin Dilara hat ebenfalls Freude am Austausch mit der Öffentlichkeit. Wenn die Instagram-live-Ankündigung flackert, leuchten in der VfL-Medienabteilung die Alarmknöpfe. Ihre Kritik an den Wolfsburger Spielerfrauen, die "sich nicht vorstellen und nicht für mich interessieren" sorgt für Stirnrunzeln am Mittellandkanal.
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30.7.2022 bis 20.8.2022: Beim Pflichtspielauftakt im Pokal in Jena fehlt Kruse angeschlagen, bei den ersten drei Liga-Spielen gegen Werder, in München und gegen Schalke setzt Kovac seinen Offensiv-Star auf die Bank.
17.8.2022: "Meine täglichen Arbeitszeiten sind so von 9 bis 13 Uhr, würde ich sagen", twitcht der Großverdiener und irritiert nicht nur die sportliche Führung, sondern sorgt damit dem Vernehmen nach auch für pulsierende Halsschlagadern auf der anderen Straßenseite. Die VW-Bosse sind offenbar erbost über die nonchalante Einschätzung, werten sie als Respektlosigkeit gegenüber den Menschen in der Arbeiterstadt Wolfsburg.
18.8.2022: Der Führungsspieler als Bankdrücker - für Kruse unverständlich und unerträglich. „Wir müssen auch ehrlich sein, und ich bin ja ein ehrlicher Typ: Dass ich nicht zufrieden bin mit der Rolle, die ich im Moment habe, ist ganz klar." Knapp zwei Wochen vor dem Ende der Transferperiode scheinen die Zeichen gut sichtbar auf Abschied zu stehen.
20.8.2022: Nach dem 0:0 gegen Schalke hat Kovac genug von den Fragen nach Kruse, liefert sich ein unterhaltsames Scharmützel mit Sky-Reporter Jens Westen. "Ich war auch mal Fußballer und kann mir nicht anmaßen, hier jetzt noch zu spielen. Das war früher mal", antwortet der VfL-Coach genervt auf die Frage nach Kruses Verdiensten in der vergangenen Saison.
27.8.2022: In Leipzig taucht Kruse überraschend erstmals in der Startelf auf und legt wie die gesamte Mannschaft einen schwachen Auftritt hin. "Das war von A bis Z zu wenig", ledert er hinterher, bezieht sich selbst bei der Kritik allerdings ausdrücklich mit ein.
1.9.2022: Der letzte Tag des Transferfensters - keine ernstzunehmenden Angebote für den erfahrenen Angreifer. Nun ist klar: Er bleibt Wolfsburg erhalten - als Spieler und als Dauerthema. „Die Kruses" feiert derweil Premiere auf Youtube.
2.9.2022: Kovac wird auf der Pressekonferenz vor der Partie gegen Köln auf die Show, bei der Kruse gemeinsam mit Gattin Dilara aus dem sehr privaten Nähkästchen plaudert, angesprochen und reagiert irritiert. Sport-Direktor Marcel Schäfer wendet sich danach verwundert an die Runde der Berichterstatter: "Ihr seid doch SPORTjournalisten." Ein berechtigter Hinweis. Und doch ist es angesichts der Fülle von Kruses öffentlichen Aktivitäten längst eine journalistische Notwendigkeit, den möglichen Einfluss aufs Teamgefüge abzufragen. Wie sich später herausstellen wird, ist das auch den VfL-Verantwortlichen klar.
3.9.2022: Kruse startet gegen Köln und spielt schwach. Das Team verliert erneut. Kovac, zunehmend unter Druck, kritisiert die Mannschaft, spricht ihr die Grundtugenden des Fußballs ab. Es wird erneut deutlich: Für den Kovac-Fußball ist Kruse nicht geschaffen - und auch nicht bereit. "Gemeinsam als Team gegen den Ball arbeiten", lautet die Forderung des Trainers.
8.9.2022: Folge 2 wird veröffentlicht. "Die Kruses" sprechen dieses Mal unter anderem über die Anzahl ihrer bisherigen Sexualpartner.
10.9.2022: Im Kader für das richtungsweisende Spiel in Frankfurt fehlt Kruse - Leistungsgründe. Nach dem ersten Saisonsieg schafft Kovac Fakten. „Wir haben keine Impulse von Max gesehen. Er wird definitiv nicht mehr spielen." Auf die Frage von Sky-Reporter Uli Potofski, ob damit eine große Bundesliga-Karriere zu Ende gehe, antwortet der Trainer mit: "Ja." Um den Spielbeginn herum melden sich Dilara und Max Kruse zu Wort - sie sind in ihrem gemeinsamen Wohnort Berlin auf dem Weg nach Kreuzberg zum Frühstück.
11.9.2022: Kruses Replik lässt nur einen Tag auf sich warten. Schmunzelnd und in besonnenem Ton stellt er via Instagram klar: "Ich entscheide selbst, wann meine Zeit vorbei ist. Das entscheidet niemand anders."
13.9.2022: Das erste Training nach dem Eklat - mit Kruse. Aufwärmprogramm und Sprints mit der Mannschaft. Danach beordert Kovac den Rest des Teams zu taktischen Übungen, Kruse übt derweil Abschlüsse mit den Ersatztorhütern. Im Dauerregen und in unmittelbarer Nähe der an diesem Tag ungewöhnlich zahlreich vorhandenen TV-Kameras. Eine öffentliche Demütigung? Kovac versucht den Eindruck, er habe Kruse vorführen wollen nach der Einheit zu entkräften, lässt ausrichten, dass er beim 11 gegen 11 als überzähliger Spieler nicht eingesetzt werden konnte.
14.9.2022: Max Kruse wäre nicht Max Kruse, wenn er nicht auch auf das Training mit den Ersatztorhütern die passende Antwort via Instagram liefern würde. Er lässt seine Follower abstimmen: "Welcher Beruf wäre wie gemacht für mich? Zeugwart, Balljunge, Busfahrer, Teamkoch"
Der vorläufige Tiefpunkt in der Chronik eines angekündigten Desasters. Eine Vertragsauflösung scheint derzeit der einzig vernünftige Ausweg aus dem Schlamassel - mit üppiger Abfindung. Ein entsprechender Vorschlag der VfL-Bosse liegt dem Spieler nach Sky-Informationen bislang allerdings nicht vor. Fortsetzung folgt also: Bei Youtube - und auf dem Wolfsburger Trainingsplatz. Der Hauptdarsteller ist in beiden Fällen derselbe.