Die Ära Jochen Schneider ist auf Schalke Geschichte. Der 50-Jährige war knapp zwei Jahre bei den Knappen im Amt und reihte dabei Fehler an Fehler. Die Trennung ist daher nachvollziehbar und richtig, kommt aber viel zu spät. Eine Analyse.
Jochen Schneider ist sicherlich nicht alleine verantwortlich für die Talfahrt des ruhmreichen FC Schalke 04 in den letzten Jahren. Bereits zum Ende der Amtszeit von Horst Heldt hatten die Knappen einen völlig überteuerten Kader und enormen Schuldenberg angehäuft.
Christian Heidel hat ebenfalls viele Fehler gemacht. Angefangen von Trainer Markus Weinzierl, für den Heidel sogar eine Ablöse an den FC Augsburg zahlte, um ihn nach einer Saison wieder zu entlassen, über diverse teure Transferflops wie Sebastian Rudy oder Nabil Bentaleb bis zu verpassten Vertragsverlängerungen mit jungen Akteuren aus dem eigenen Stall wie beispielsweise Sead Kolasinac, die den Verein letztlich ablösefrei verließen.
Schneider trägt Hauptschuld an möglichem Abstieg
Kurzum: Als Schneider sein Amt im Februar 2019 als Heidel-Nachfolger antrat, waren die Voraussetzungen alles andere als rosig. Die Königsblauen kämpften in der Bundesliga gegen den Abstieg und die finanziellen Rahmenbedingungen waren mehr als ungünstig. Allerdings kann ein Verein auch mit wenig Geld gute Entscheidungen treffen, aber Schneider lag bei fast all seinen Entschlüssen falsch und trägt damit letztlich doch die Hauptschuld, wenn Schalke nicht wie durch ein Wunder doch noch die Klasse halten sollte.
Zwar gelang S04 unter ihm dank Interimstrainer Huub Stevens 2018/19 letztlich der Ligaverbleib, aber Schneider gab schon bei der Demission von Tedesco keine gute Figur ab. Nach dem 0:7-Debakel in der Königsklasse bei Manchester City hielt er noch am jungen Übungsleiter fest und ließ ihn einen Tag später sogar noch das Training leiten, nur um sich dann doch anders zu entscheiden und Stevens zu installieren. Ein Zickzack-Kurs, der sich wie ein roter Faden durch seine Amtszeit ziehen sollte.
STIMMT AB!
Viele falsche Entscheidungen
Denn beispielsweise auch bei der Rassismus-Debatte um den ehemaligen Aufsichtsrats-Boss Clemens Tönnies wollte sich Schneider öffentlich nie so recht positionieren. Diese Fehleinschätzungen wären allerdings noch zu verschmerzen gewesen, wenn wenigstens die sportlichen Entscheidungen Früchte getragen hätten.
Doch das war nicht der Fall: Zur Spielzeit 2019/20 stattete Schneider den neuen Coach David Wagner völlig ohne Not mit einem langfristigen und vor allem gut dotierten Vertrag aus. Zunächst sah dies wie eine clevere Investition aus, denn in der Hinrunde spielt Schalke - trotz fast identischer Mannschaft - tollen Fußball und überwinterte punktgleich mit dem Reviernachbarn aus Dortmund auf Platz fünf.
In der Winterpause dann jedoch die ersten Fehler: Schneiders Neuzugänge Michael Gregoritsch (FC Augsburg) und Jean-Clair Todibo (FC Barcelona) sollten sich als Flops herausstellen und die langfristige Verlängerung mit dem von den Fans stark kritisierten Bastian Oczipka bis 2023 war ebenfalls unklug.
Dennoch träumte ganz Schalke nach dem überzeugenden 2:0-Auftaktsieg zum Start der Rückserie gegen den Tabellenzweiten Borussia Mönchengladbach wieder von der Königsklasse, doch es kam anders: Schalke gewann aus verschiedenen Gründen kein einziges Bundesligaspiel mehr und die Saison wurde immer mehr zum Alptraum. Am Ende stand ein enttäuschender zwölfter Tabellenplatz.
Trennung von Wagner viel zu spät
In der neuen Spielzeit sollte aber alles besser werden. Schneider versprach auf einer Pressekonferenz mehr Transparenz, ging aber nicht einmal dort detaillierter darauf ein, was genau darunter zu verstehen sei. Zudem installierte Schneider mit Werner Leuthard einen alten Bekannten aus Stuttgart als Athletik-Trainer, um die Verletzungen zu minimieren. Rückwirkend betrachtet eine unglaubliche Fehlkalkulation, wenn man sich das aktuelle Lazarett und Leuthards Historie vor Augen führt.
Auch von Wagner war Schneider trotz der Negativserie noch absolut überzeugt und ging mit ihm in die neue Spielzeit. Nach einem 0:8-Debakel beim FC Bayern und einer 1:3-Niederlage zu Hause gegen Werder Bremen aber die Rolle rückwärts und der Coach musste bereits nach dem zweiten Spieltag gehen. Früh in der Saison, aber insgesamt viel zu spät.
Trotz enormer Skepsis im Verein präsentierte der Sportvorstand wenig später Manuel Baum als neuen Coach. Schneider lobte den Neuen als absoluten Fachmann und nannte vor allem die taktischen Kenntnisse Baums als Grund für dessen Verpflichtung. Eine zumindest seltsam anmutende Aussage, wenn man bedenkt, dass die Mannschaft unter Taktikfuchs Tedesco nicht dauerhaft an die Leistungsgrenze kam.
Kapitale Fehler bei der Kadergestaltung
Das hinderte Baum aber natürlich nicht daran, viel zu experimentieren und bei den Formationen zu variieren. Ein Bundesliga-Sieg glückte Schalke unter dem 41-Jährigen in zehn Partien aber nicht. Zu Baums Verteidigung muss jedoch erwähnt werden, dass der Kader auf einigen Positionen nicht bundesliga-tauglich aufgestellt war.
Schneider und der von ihm installierte Kaderplaner Michael Reschke setzten - auch wegen finanzieller Restriktionen aufgrund der Corona-Pandemie - auf zahlreiche Rückkehrer wie Mark Uth, Rudy oder Bentaleb auf wichtigen Positionen. Diese Rechnung ging schief und zudem wurde fatalerweise auch noch auf einen gelernten Rechtsverteidiger kein Wert gelegt.
Statt einen Nachfolger für den vom FC Everton ausgeliehenen Jonjoe Kenny zu verpflichten, wurde das Geld lieber in einen Torhüter investiert. Frederik Rönnow verlor aber im Laufe der Saison seinen Stammplatz an Ralf Fährmann. Auch hinten links sahen Schneider und Reschke keine Problemzone, obwohl dort nur der fehlerbehaftete Bastian Oczipka und der ungewollte Hamza Mendyl als Alternativen zur Verfügung standen.
Farce um Ibisevic und Missverständnis Reschke
Im Nachhinein war dies genauso ein Schneider-Fehler wie die langfristige Verlängerung mit dem 30-jährigen Benjamin Stambouli oder die Verpflichtung von Oldie Vedad Ibisevic, der erst suspendiert wurde und nur wenige Monate nach Unterschrift den Klub bereits wieder verlassen musste. Zeitgleich trennte sich Schalke dann auch von Schneiders Wunschkaderplaner Reschke, der in wichtigen Angelegenheiten nur selten einer Meinung war mit seinem Chef.
Ein Reschke-Nachfolger wurde nicht verpflichtet - die Aufgaben übernahm Schneider selbst und ging im Winter tatsächlich auf Shopping-Tour. Doch weder die Rückkehrer Kolasinac oder Klaas-Jan Huntelaar noch Rechtsverteidiger William oder Abwehrchef Shkodran Mustafi sind bisher die gewünschten uneingeschränkten Soforthilfen. Die Neuen haben aber großen Anteil daran, dass Schneiders neuester Trainer nur kurz im Amt blieb.
Aufstand gegen Gross
Als Nachfolger für den glücklosen Baum entschied sich Schneider nämlich dazu, Christian Gross zu verpflichten, mit dem er vor über zehn Jahren erfolgreich beim VfB Stuttgart gearbeitet hatte. Doch der mittlerweile 66-Jährige Schweizer stand seit 2012 (!) bei keinem europäischen Klub mehr unter Vertrag und konnte bei Schalke das Ruder nicht herumreißen. Im Gegenteil, denn nach der deutlich 0:4-Klatsche im Revierderby zu Hause gegen den BVB beschwerte sich ein Teil des Teams bei Schneider über den Coach.
Die Vorwürfe aus der Mannschaft an Gross waren enorm: Der Übungsleiter soll nicht nur die Namen der eigenen und gegnerischen Spieler immer wieder verwechselt und sie teilweise in der falschen Sprache angesprochen haben, auch die Trainingsgestaltung und vor allem die taktischen Ausrichtungen in den Spielen seien ungenügend gewesen.
PR-Panne um Härtefall-Antrag auch in Schneiders Aufgabengebiet
Doch Schneider, der ohnehin zum Saisonende aus dem Verein ausgeschieden wäre, handelte nicht und beließ Gross beim Spiel beim VfB Stuttgart auf der Bank. Nach der 1:5-Blamage beim Aufsteiger reagierte der Klub schließlich und stellte den Sportvorstand frei.
Eine richtige, aber um einige Monate zu späte und somit überfällige Entscheidung, wenn man sich die Fehlerliste Schneiders vor Augen führt. In dessen Amtszeit und Verantwortungsbereich fallen nämlich beispielsweise auch die PR-Panne um den Härtefallantrag und der Fauxpas um die neue Mediendirektorin.
Schneiders Aufgaben werden nun interimsmäßig von Peter Knäbel übernommen, der zudem von Norbert Elgert und Mike Büskens unterstützt wird. Dieses Trio wird auch bereits für die 2. Bundesliga planen und man kann aus Schalke-Sicht nur hoffen, dass sie bessere Entscheidungen treffen als Schneider, denn sonst stehen Schalke noch schwerere Zeiten bevor, als man aktuell annehmen würde...