Steffen Baumgart beerbt Tim Walter als HSV-Trainer und will mit seinem neuen Klub endlich den ersehnten Wiederaufstieg in die Bundesliga schaffen. Sky Reporter Sven Töllner blickt auf den neuen "Volkshelden" im Volkspark
Das war mehr als beachtlich! Ein derartiger Menschen-Auflauf beim HSV-Training an einem schmuddeligen Dienstagnachmittag - Ovationen und Applaus inklusive. Der Volkspark scheint einen neuen Volkshelden zu haben.
Zumindest hoffen die gut 500 Fans, die Steffen Baumgarts erste Trainingseinheit bejubelten, darauf, dass Tim Walters Nachfolger die Euphorie, die seit seiner Ankunft über das Klub-Gelände weht, mehr ist als eine leidenschaftliche Momentaufnahme. Mit dem Neuen soll es unverzüglich hinaufgehen in die alte Heimat. Nach sechs Jahren Zweitliga-Gewühle lasten die Hoffnungen ab sofort auf den kräftigen Schultern des kantigen Mecklenburgers.
HSV-Fan seit der Kindheit
Mit dem Auto hatte Baumgart sich morgens gegen 6.30 Uhr auf den Weg nach Hamburg gemacht. Zum HSV - dem Traum-Klub seiner Kindheit. Die Verbindung, die Baumgart seit seinem Abgang in Köln in nennenswerter Weise mitbefeuert hatte, erhielt um 12.33 Uhr den offiziellen letzten Pinselstrich.
Mit einem Foto - flankiert von Sportdirektor Claus Costa und Vorstand Jonas Boldt -, das aufgrund seiner Gesamtanmutung einige Schmunzler in den sozialen Medien heraufbeschwören sollte, machte der HSV das Engagement des Wunschkandidaten offiziell. Und der erste Baumgart-Satz, den die Medienabteilung des Klubs unters euphorisierte HSV-Volk brachte, ließ keinerlei Interpretationsspielraum: "Das Ziel ist klar, da müssen wir nicht drumherum reden: der Aufstieg."
"Sicher, dass es passt"
Was Tim Walter in zwei Relegationsanläufen nicht gelang, soll nun also der 52-jährige Ex-Kölner vollziehen. Der hemdsärmelige Pragmatiker schätzt die Ausgangslage so ein: "Ich bin mir sicher, dass es mit mir und dem HSV sehr gut passt. Alles andere versuchen wir passend zu machen." Aber warum passte es denn eigentlich nicht schon ein bisschen früher? Womöglich direkt nach Tim Walters Freistellung zum Beispiel.
Man darf annehmen, dass es Baumgart nicht ungelegen kam, auf einen Kaltstart in seiner Heimatstadt Rostock verzichten zu dürfen. Zudem hat es dem Vernehmen nach sehr wohl intensiver Verhandlungen bedurft, um die Zahlen an die richtigen Stellen zu schieben. Auch ein glühender HSV-Fan arbeitet natürlich nicht pro bono. Das Gehalt, das Baumgart zuletzt beim Erstligisten in Köln bezogen hatte, kann und will der HSV nicht zahlen.
Artverwandt mit Walter
Was kann man sportlich von dem Mann erwarten, der die Begeisterung in die Mannschaft hinein und die Verunsicherung aus dem Rauten-System heraustransportieren soll? Seine Fußball-Idee lässt Artverwandschaften zu Tim Walters Stil erkennen. Beide wollen den Ball, beide setzen auf Dominanz. Mit entwaffnender Offenheit machte Baumgart gleich an Amtstag Nummer eins deutlich, dass ein gegentorfreies Pflichtspiel unter seiner Führung womöglich nicht allzu häufig zu erwarten sein wird.
Ganz genau das war seinem Vorgänger ja zunehmend deutlicher auf die akribisch und öffentlich geführte Mängelliste geschrieben worden. Werden die Probleme in der Defensiv-Ordnung, die den HSV vom Aufstiegsfavoriten in die Verfolger-Rolle zurückgeworfen haben, also weiterhin Bestand haben und lediglich einem neuen Adressaten zum Vorwurf gemacht werden? Auszuschließen ist das nicht. Baumgart wird schnell für Ausgewogenheit zwischen Offensive und Defensive sorgen und ein sinnvolles Risiko-Management etablieren müssen.
Debüt gegen Elversberg
Zugute kommt dem agilen Coaching-Zonen-Fighter ganz sicher, dass sein ehemaliger Paderborner Abwehrchef Sebastian Schonlau die hartnäckigen Wadenverletzungen offenbar ausgeschlichen hat. Der Kapitän ist matchfit und wird bei Baumgarts Debüt daheim gegen Elversberg in der Startelf stehen - sofern es bis dahin keine Rückschläge gibt.
Die Ära Tim Walter (zweieinhalb Jahre hielt es seit Frank Pagelsdorf kein Trainer auf der HSV-Bank aus) wird als unvollendete Episode in die Klub-Annalen eingehen. Dem zweimaligen Beinah-Aufsteiger erheblichen Einfluss auf die positive Entwicklung abzusprechen, wäre allerdings ignorant und ungerecht. Es war nicht nur, aber auch Walters Spektakel-Fußball zu verdanken, dass das Volksparkstadion permanent bis zum Bersten gefüllt ist. Die Art, wie er seine Spieler gegen externe Attacken verteidigt hat, war außergewöhnlich.
Und nur zur Erinnerung: Alle seine Zweitliga-Vorgänger schafften es am Saisonende lediglich auf Platz vier. Walters Nachfolger peilt Platz zwei an. Die Lorbeeren dafür würde Baumgart dann zu Recht einstreichen. Es ist anzunehmen, dass er im Moment des möglichen Triumphes nicht vergessen wird, dass ein saftiges Stück des Aufstiegs-Kuchens auf Tim Walters Teller gehören würde.
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