Brasiliens Spieler führen nach jedem ihrer Tore beim 4:1-Sieg im WM-Achtelfinale gegen Südkorea einstudierte Jubeltänze auf. Nichts gegen Lebensfreude, aber mehr Respekt vor dem Gegner würden der Selecao besser zu Gesicht stehen, meint Sky Redakteur Thorsten Mesch.
Um eins gleich klarzustellen: Mir geht es nicht um Kritik am brasilianischen Fußball oder an der brasilianischen Kultur.
Ich war 2014 bei der WM in Brasilien und werde diese Zeit immer in meinem Herzen tragen. Die Freude am Spiel, die Freundlichkeit der Menschen.
Ich habe Brasilianer lachen sehen, auf der Straße, nach dem 3:1 im Auftaktspiel gegen Kroatien oder nach dem 2:1 im Viertelfinale gegen Kolumbien. Ich habe aber auch viele Brasilianer weinen sehen, als ich beim 1:7 gegen Deutschland im Stadion von Belo Horizonte war.
Löw und Deutschland haben gezeigt, wie man es macht
Das respektvolle Auftreten trotz der klaren Führung im Halbfinale gegen die chancenlosen Gastgeber hat der deutschen Nationalmannschaft viele Sympathien - nicht nur bei den Brasilianern - gebracht.
"Ich möchte nicht, dass wir die Brasilianer in der zweiten Halbzeit lächerlich machen", hatte Bundestrainer Joachim Löw seinen Spielern damals in seiner Kabinenrede mitgegeben.
Brasiliens Trainer tanzt mit
Ich weiß nicht, was Adenor Leonardo Bachi, von allen Tite genannt, seiner Mannschaft in der Pause des WM-Achtelfinals gegen Südkorea gesagt hat. Aber ich habe gesehen, wie Brasiliens Nationaltrainer in der ersten Hälfte nach dem 3:0 bei einer Choreographie seines Teams mitgemacht hat.
Nach jedem der vier brasilianischen Treffer wurde ein Tänzchen aufgeführt. Offenbar haben die Spieler der Selecao sogar zehn verschiedene Jubel-Szenarien vorbereitet. Das mag ein Ausdruck von Lebensfreude sein, wie es Flügelstürmer Raphinha und Torschütze Lucas Paqueta später erklärten.
Roy Keane wirft Brasilianern Respektlosigkeit vor
Die einstudierten Showeinlagen gegen einen klar unterlegenen Kontrahenten können aber auch den Verdacht aufkommen lassen, dass Brasiliens Kicker ihre Gegenüber nicht ernst nehmen.
"Sie schießen vier Tore, und sie machen es jedes Mal", kritisierte der ehemalige irische Nationalspieler und Manchester-United-Legende Roy Keane am Montagabend im irischen Fernsehen und warf den Brasilianern Respektlosigkeit vor. Nun ist Keane wegen seiner rustikalen Spielweise und nicht zimperlichen Wortwahl nicht gerade als Vorzeige-Sportsmann bekannt, aber in diesem Punkt gebe ich ihm recht.
Theatralik von Neymar rund um den Elfmeter
Die übertriebenen Showeinlagen hätten sich die Brasilianer gegen die Südkoreaner, die sich in ihrem Auftreten trotz der klaren Niederlage stets respektvoll zeigten, besser gespart.
Nicht auszudenken, wenn der Gegner am Montag das heißblütige Team aus Uruguay gewesen wäre.
Neymars Theatralik vor, während und nach der Ausführung des Elfmeters zum 2:0: leider nichts Neues beim Superstar des fünfmaligen Weltmeisters.
Dass Dani Alves noch ein paar Spielminuten sammeln durfte - eine nette Geste des Trainers. Dass Tite zehn Minuten vor dem Ende auch noch den dritten Torwart einwechselte, war allerdings zuviel des Guten. Man stelle sich mal vor, Jogi Löw hätte 2014 beim 7:1 Ron-Robert Zieler eingewechselt. Der Aufschrei wäre wahrscheinlich groß gewesen, es wäre von den Brasilianern womöglich als Verhöhnung empfunden worden.
Zucker-Tore mit bitterem Beigeschmack
Noch einmal: Was Brasilien bei dieser WM bisher gezeigt hat, lässt das Fußballherz höher schlagen. Das Volley-Tor von Richarlison gegen Serbien, die Kombination vor Richarlisons 3:0 gegen Südkorea oder die Vorarbeit von Vinicius jr. und der anschließende Direktschuss von Paqueta: Zucker!
Neymars Elfmeter-Orgie und der einstudierte und übertrieben zu Schau gestellte Jubel hinterlassen bei mir jedoch einen bitteren Beigeschmack.
Es bleibt abzuwarten, wer nach dem Viertelfinale gegen Kroatien oder einem möglichen Halbfinale gegen Argentinien am Ende tanzt.
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.