WM 2022: Hamann über Flick, Bierhoff, Sammer, Watzke

"Kein gutes Gefühl, was die nahe und mittlere Zukunft angeht"

Von Didi Hamann, Sky Sport Experte

Laut Hans-Joachim Watzke stand eine Trennung von Hansi Flick nie zur Diskussion. Stattdessen hätte man mit dem Bundestrainer konstruktive Gespräche geführt.

In seiner Kolumne schreibt Sky Experte Dietmar Hamann, warum ihn das Verhalten von Bundestrainer Hansi Flick nach dem Aus von Oliver Bierhoff irritiert hat. Hamann erklärt, wie der deutsche Fußball sich am besten für die Zukunft aufstellt - und nennt seine Favoriten fürs WM-Finale.

Ich habe in meiner letzten Kolumne vor einer Woche bereits meine Meinung zur Bundestrainerfrage geäußert.

Hansi Flick hat nach dem Aus von Oliver Bierhoff mitgeteilt, er müsse schauen, wie er das mit seinem Team verarbeitet und wie es weitergeht. Das hat mich irritiert und verwundert, weil er nicht in der Position ist, Ansprüche zu stellen. So innig sein Verhältnis zu Bierhoff gewesen sein mag - er hat einen Vertrag mit dem DFB und nicht mit Bierhoff. Wenn ihm das Verhältnis so wichtig war, wäre für Flick die einzige Konsequenz der Rücktritt gewesen.

Der Bundestrainer hat einen Vertrag bis 2024, und wenn er weitermachen will, habe ich Verständnis dafür. Nur verstehe ich seine Aussagen nach dem Aus von Bierhoff nicht.

Hans-Joachim Watzke hat erklärt, dass ein Trainerwechsel zu keinem Zeitpunkt in Frage kam.

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Laut Hans-Joachim Watzke stand eine Trennung von Hansi Flick nie zur Diskussion. Stattdessen hätte man mit dem Bundestrainer konstruktive Gespräche geführt.

Dazu sage ich: Wir sind vor 20 Jahren zweimal früh bei einer EM ausgeschieden, da gab es gar keine Diskussion, ob der Trainer seinen Hut nehmen muss, damals sind sie von sich aus gegangen.

Im Endeffekt trägt der Trainer die sportliche Verantwortung. Bei der WM ist die Mannschaft sang- und klanglos ausgeschieden, beim Thema Kapitänsbinde hat die sportliche Leitung keine Führung gezeigt. Man hätte Entscheidungen treffen müssen, weil so etwas eine Mannschaft spalten kann.

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Gräben in der Mannschaft müssen verschwinden

Wenn ich jetzt lese, dass der Rest der Mannschaft Probleme mit dem Bayern-Block hatte, weil sie das Gefühl hatten, die Bayern-Spieler würden anders oder besser behandelt, dann frage ich mich, warum das in den nächsten 18 Monaten besser werden sollte. Die Spieler werden bis auf zwei oder drei, die vielleicht aufhören, dieselben sein, der Großteil wird vom FC Bayern sein. Warum soll mit demselben Trainerteam in 18 Monaten anders werden, wenn es die Gräben innerhalb der Mannschaft gegeben hat?

Wir haben eine Weltmeisterschaft "verschenkt"

Man hat eine Chance verpasst, einen Neuanfang zu machen. Ich habe kein gutes Gefühl, was die nahe und mittlere Zukunft angeht. Mit der Aussage, das Ziel sei immer die EM 2024 gewesen, macht man es sich beim DFB zu einfach.

Wir haben eine Weltmeisterschaft "verschenkt". Spieler wie Füllkrug werden vielleicht nie wieder eine WM oder ein anderes Turnier spielen können. Mit fehlender Führung hat man sich die Chance genommen, erfolgreich sein zu können. Das ist fatal und nicht zu entschuldigen. Deswegen wäre es der einzige vernünftige Schritt gewesen, mit einer komplett neuen sportlichen Führung einen Neuanfang zu starten.

Hans-Joachim Watzke will neue DFL-Spitze selber suchen.

Flick muss jetzt schauen, dass er eine echte Mannschaft formt und alle zusammenbringt. Spieler, Trainerteam, Therapeuten, Busfahrer, alle, die dazugehören, müssen ein Ziel haben und füreinander durchs Feuer gehen.

Bei der Ausbildung der Spieler sind andere Nationen weit vor uns. Wenn wir die deutschen Tugenden nicht an den Tag legen, langt es international nicht. Wir sind wahrscheinlich nicht so gut aufgestellt wie andere Nationen, aber wir sind viel besser, als wir es bei der WM gezeigt haben.

Bierhoff-Nachfolge wird keine einfache Aufgabe

Was die Nachfolge von Oliver Bierhoff angeht, muss man jetzt ein geeignetes Konstrukt finden. Es wird keine einfache Aufgabe, und einigen Leuten wird sie vielleicht zu heiß sein. Die Frage wird auch sein, wie viel du in diesem Konstrukt wirklich entscheiden kannst.

Fredi Bobic wäre für mich eine sympathische Lösung. Er ist ein sehr erfahrener Mann, der einen klaren Kopf und klare Vorstellungen hat. Bobic hat aber erklärt, dass er nicht auf Jobsuche ist.

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Sammer, Rummenigge, Völler - alle sind gefragt

Man sollte vielleicht eine Gruppe zusammenziehen mit Leuten wie Matthias Sammer, Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler, womöglich auch Thomas Hitzlsperger, dann einen Sportdirektor installieren und mit vereinten Kräften etwas voranbringen.

Die Expertise eines Rummenigge oder eines Völler sollten wir auf alle Fälle nutzen. Sammer ist jemand, der die Dinge anspricht, wie sie sind. Genau wie Hans-Joachim Watzke. Deswegen sehe ich es positiv, dass Watzke jetzt mehr Einfluss hat. Einer muss am Ende entscheiden, aber in den Entscheidungsfindungsprozess müssen Leute wie Sammer einbezogen sein. Weil sie visionär denken und großen Fußball-Sachverstand haben.

Es geht schließlich um den deutschen Fußball, da sind alle gefragt, mit vereinten Kräften vorwärtszukommen. Denn die nächsten 18 Monate werden unheimlich wichtig sein für die Entwicklung der kommenden sechs bis acht Jahre.

Diesen Fehler dürfen wir beim Nachwuchs nicht machen

Was die DFL betrifft, sehe ich die Situation etwas entspannter. Wichtig wird sein jemanden zu finden, der die Interessen aller vertritt. Wenn die Dortmunder oder die Bayern das Zepter übernehmen, darf man all die anderen nicht vergessen. Wie beim DFB müssen wir auch hier ausschließlich das Interesse des deutschen Fußballs im Kopf haben. Da geht es nicht um Machtpositionen oder Machtspiele, sondern um den deutschen Fußball, da sind wir alle gefragt.

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Was die Ausbildung der Talente angeht, wir unsere Aufgabe sein, die Individualität der Kinder und Jugendlichen zu stärken. Bei uns gibt es - bis auf wenige Ausnahmen - keine Straßenfußballer mehr. Ich habe das Gefühl, dass wir den Kindern zu früh zu viel vorgeben und erklären und damit in gewisse Weise das Talent aus ihnen heraus coachen.

Dass vier, fünf Nationen bessere Kader haben als die deutsche Nationalmannschaft, steht außer Frage. Dennoch haben wir es in der Vergangenheit geschafft, diese Teams mit Einsatz und Leidenschaft zu schlagen. Da müssen wir wieder hinkommen, darauf müssen wir uns besinnen.

England hat es uns vorgemacht

Die Engländer sind - im Gegensatz zu uns - bei der WM zu einer Einheit geworden. Ein Harry Maguire war außen vor und wurde teilweise ausgelacht. Wenn ich sehe, wie er jetzt bei der WM spielt, dann kann ich nur den Hut ziehen. Das ist Herz, Wille und mentale Stärke. Das geht aber nur, wenn du die anderen 25 Spieler im Kader hinter dir stehen. Ohne die Unterstützung seiner Teamkollegen wäre er aus dem Loch, was man ihm teilweise auch eingeredet hat, nicht wieder herausgekommen. Sein Beispiel zeigt, dass jemand, der mit wenig Selbstvertrauen zu einem Turnier fährt, auf einmal ein wichtiger oder der wichtigste Spieler werden kann.

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Brasilien wird nicht Weltmeister

Mit Blick auf die verbleibenden K.o.-Spiele sage ich: Brasilien wird nicht Weltmeister. Die Tanzerei und das Einwechseln des dritten Torwarts gegen Südkorea, solche Dinge werden sie irgendwann einholen. Wenn sie ein Tor schießen, sollen sie ein kurzes Tänzchen machen, aber wenn der Trainer noch tanzt, müssen wir vorsichtig sein. Dann auch noch den dritten Torwart einzuwechseln - so etwas macht man nicht oder nur im Ausnahmefall. Den dritten Torwart muss man bei einer WM nicht bei Laune halten. Du musst den Gegner respektieren, alles andere ist nicht so wichtig. Es würde mich nicht wundern, wenn die Argentinier die Brasilianer im Halbfinale schlagen würden,

Den Sieger des Spiels England gegen Frankreich werden wir ebenfalls im Finale sehen. Mein Tipp für das Finale ist Argentinien gegen Frankreich.

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