Nach dem Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft bleiben viele Fragen offen. Lothar Matthäus sieht den Grund für das frühe Ausscheiden bei verschiedenen Faktoren – und kritisiert Oliver Bierhoff und den DFB dabei scharf.
Vier Punkte in der Gruppenphase waren zu wenig, die deutsche Nationalmannschaft musste trotz eines 4:2-Sieges gegen Costa Rica vorzeitig ihre Koffer packen. Letztendlich kostete die unnötige Auftaktniederlage gegen Japan den Einzug ins Achtelfinale, die Schuld dafür sieht Sky Experte Lothar Matthäus auch bei Hansi Flick.
"Die Mannschaft war nicht eingespielt und das ist ein Fehler, den ich dem Trainer vorwerfen muss, obwohl ich Hansi Flick bisher nie kritisiert habe. Für mich ist er der richtige Trainer, aber trotzdem hat er gerade beim ersten Spiel und in der Vorbereitung Dinge gemacht, die man hätte vielleicht anders machen sollen", so Matthäus bei Sky.
Roulette auf der Rechtsverteidiger-Position
Die vielen verschiedenen Positionswechsel, gerade auf der Position des Rechtsverteidigers oder die Besetzung der Neuner-Position nannte der zweimalige Weltfußballer als einen der Gründe für das Vorrunden-Aus. Trotzdem sieht er das Ausscheiden in Katar anders, als noch vor vier Jahren bei der letzten Weltmeisterschaft: "Sportlich war es ein anderes Ausscheiden wie vor vier Jahren in Russland. Dort haben wir drei Spiele schlecht gespielt. Dieses Jahr würde ich sagen, waren zweieinhalb Spiele voll in Ordnung."
Für die sportliche Misere der letzten Jahre sieht Matthäus vor allem Teammanager Oliver Bierhoff in der Verantwortung: "Er ist natürlich auch mit verantwortlich, er hat nie einen Punkt gesetzt. Wir haben nicht nur drei Turniere beschämend gespielt, sondern auch zwei Nations-League-Gruppenphasen, da waren auch andere Ziele gesetzt."
Matthäus: "Trainer und Mannschaft im Regen stehen lassen"
Auch die Debatte um die "One Love"-Binde hätte besser gelöst werden müssen: "Da ist natürlich Oliver Bierhoff gefragt, weil er den Druck, die Unruhe, die von außen gekommen ist, nicht konsequent gestoppt hat. Und nicht nur er, sondern auch der Präsident und die Verantwortlichen vom DFB haben den Trainer und die Mannschaft im Regen stehen lassen."
Die Wahl des Teamquartiers sah Matthäus ebenfalls kritisch - und sieht Parallelen zum letzten WM-Desaster: "Das hat es 2018 auch gegeben, Jogi Löw wollte nach Sotschi, Oliver Bierhoff hat sich durchgesetzt und ist in ein trauriges Hotel in Moskau gegangen, weit ab vom Schuss." Ähnlich ist es jetzt in Katar gewesen, 100 Kilometer von Doha entfernt vermisste Matthäus die "Weltmeisterschaftsstimmung" im Hotel, wie sie beispielsweise bei den Niederländern zu sehen war.
Matthäus bringt Rummenigge ins Spiel
"Oliver Bierhoff hat sich in den letzten 18 Jahren sein Imperium aufgebaut, viele Bekannte aus der Vergangenheit sind jetzt beim DFB, die Oliver natürlich zuarbeiten", analysierte Matthäus die Position von Bierhoff. Und forderte einen kritischeren internen Umgang: "Joachim Watzke hat ja etwas Wichtiges gesagt, hier sollten einfach erfahrene Spieler reinkommen, die auch mal den Finger in die Wunde legen und nicht nur diesen Kuschelkurs fahren, den man beim DFB ja seit Jahren kennt."
Diese erfahrenen Spieler könnten sowohl für Widerworte aber auch zusätzliche Unterstützung für Bierhoff und Flick sorgen. "Ich denke zum Beispiel an einen Karl-Heinz Rummenigge, der große Erfahrung mitbringt, der den Vereinsfußball kennt, der Weltmeisterschaften gespielt und das Spielerdenken hat. Das sind Leute, die dem DFB gut zu Gesicht stehen würden", schlug Matthäus vor.
Matthäus kritisiert Neuendorf
Auch bei DFB-Präsident Bernd Neuendorf sieht der Weltmeister von 1990 in der Mitschuld für das Debakel in Katar: "Ich hoffe, dass sie (der DFB, Anm. d. Red.) offen und ehrlich über ihre eigenen Fehler sprechen. Ich denke zum Beispiel an den Präsidenten Neuendorf, der vor der WM alle Sachen hier in Doha kritisiert hat und dann sehe ich ihn im Spiel auf der Tribüne neben Gianni Infantino sitzen und drei Minuten in die Kamera lächeln."
Das würde auch bei den Spielern für Gesprächsstoff sorgen, so Matthäus. "Sowas kriegen die Spieler mit, die werden unter Druck gesetzt, hier Flagge zu zeigen, aber dann sehen sie, dass die Leute, die das fordern, sich lächelnd in der Kamera präsentieren", so Matthäus weiter.
Hoffnung auf junge Generation für 2024
Als Hoffnung für einen besseren Auftritt bei der Heim-EM 2024 sieht der ehemalige Weltfußballer die vielen jungen Spieler, die in Katar im Kader standen "und sich in zwei Jahren nochmal ein Stück weiterentwickeln können."
Von einem Verbleib von Hansi Flick als Bundestrainer geht Matthäus zudem fest aus: "Ich glaube auch, dass er die Verantwortung übernimmt, auch bei der EM 2024 auf der Bank zu sitzen. Hansi Flick ist selbstbewusst, und ich bin überzeugt, dass wir für 2024 dann eine Mannschaft haben, die sich schon früher herauskristallisiert."