Sky Experte Stefan Kretzschmar analysiert in seiner Kolumne die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Diesmal bewertet er den DHB-Kader von Alfred Gislason zu den anstehenden EM-Quali-Spielen. Außerdem spricht er über die schwierige Situation der Spieler bei ihren Nationalteams.
Am Montag hat Bundestrainer Alfred Gislason seinen Kader für die anstehenden EM-Qualifikationsspiele gegen Bosnien-Herzegowina (5. November) und Estland (8. November) bekannt gegeben. Ich kann die Nominierung in vielen Bereichen nachvollziehen.
Alfred hat überrascht und Mut bewiesen
Alfred hatte im Gespräch mir gegenüber gesagt, dass er keine Überraschung eingehen möchte und vor seinem ersten Länderspiel nicht experimentieren möchte. Aber auf einigen Positionen hat er - wie ich finde - schon überrascht und Mut bewiesen, darunter fällt die Nominierung zwei junger Spieler.
Er hat ja insgesamt einen 21er-Kader und gerade auf der Halblinken Position viele Spieler nominiert. Damit hat er noch die Möglichkeit, sich im Training einen Überblick zu verschaffen und noch auszuwählen. Prinzipiell kann man den Kader, nach dem Beginn der Saison und den ersten 5. Spieltagen, nachvollziehen. Es gibt keine Personalie, die für extremes Unverständnis sorgt.
Zum Durchklicken: Kretzsches Meinung zum DHB-Kader
Ich glaube, dass Alfred grundsätzlich auf Routine gesetzt hat, wie man zum Beispiel im Tor sehen kann. Er hat keine Experimente gemacht, man hätte über Dario Quenstedt, Till Klimpke oder Christopher Rudeck für die Top3 nachdenken können. Aber Wolff, Bitter und Heinevetter sind nunmal die absolute Routine.
Es gibt immer ein paar Namen, die man diskutieren kann, die sich auch aufdrängen - und das ist auch gut so. Der Bundestrainer muss nicht in den Niederungen der zweiten Liga nach irgendwelchen Spieler suchen, sondern er hat die Qual der Wahl - das ist eine gute Voraussetzung.
Länderspiele stehen noch in den Sternen
Ob es nun endlich zur Bundestrainer-Premiere von Gislason kommen wird, steht aktuell leider noch in den Sternen. Ich hoffe, dass Alfred irgendwann seine ersten Länderspiele überhaupt mal machen kann, er wartet ja nun auch sehnsüchtig darauf, dass er mal durchstarten kann. Belastung ist im Moment eher das geringste Problem, es steht ja eher im Raum, ob die Vereine die Nationalspieler überhaupt abstellen. Es wird diese Woche sicherlich Gespräche geben oder Lösungen werden gesucht, unter welchen (Hygiene-)Bedingungen die Spieler für die Nationalmannschaften abgestellt werden.
Es kann natürlich nicht sein, dass wir unsere serbischen, kroatischen oder sonstigen Spieler, die in Risikogebiete müssen, nicht fahren lassen, aber die Deutschen spielen lassen. Es ist eine sehr knifflige Situation, die gerade herrscht. Es weiß niemand, wie man mit der Situation umgehen soll, die Interessen sind halt unterschiedlich. Die Bundesliga würde die Spieler am liebsten nicht abstellen, um auf Nummer sicher zu gehen. Die Europäische Handballföderation (EHF) will aber ihre Qualifikationsspiele machen. Da prallen unterschiedliche Interessen aufeinander. Wenn man die Situation in Deutschland und Europa verfolgt, dann kann einem aber schon Angst und Bange werden.
Schwierige Situation für die Spieler
Die Spieler wollen momentan jedes Risiko vermeiden, sie sind in einer sehr angespannten Situation. Sie müssen sich jede Woche ein bis zweimal testen lassen, außerdem sind die Spieler angehalten, möglichst "unnötige Kontakte" zu vermeiden und sich mehr oder weniger in ihrer Blase mit der Mannschaft und ihrer Familie aufzuhalten - das ist für alle Beteiligten eine schwierige Situation. Sie wollen kein großes Risiko eingehen, um den Spielbetrieb in der HBL aufrechterhalten zu können und den nicht zu gefährden.
Unsere Spieler in Berlin sind da auch sehr ängstlich und sehr vorsichtig und gehen damit auch sehr verantwortungsvoll um. Aber wenn man zu seinen Nationalmannschaften fährt, kann man natürlich auch nicht für alle Mannschaften den gleichen Standard erwarten. Ich weiß nicht, ob die Serben oder Kroaten in ihrer heimischen Liga regelmäßig testen - oder wie es in Risikogebieten mit den Hygienevorschriften aussieht. Da sind sehr viele große Fragezeichen.
Wir hoffen ja schon in unserem Bundesligaalltag - und da sind die Hygienerichtlinien sehr hoch - dass da nix passiert und wir einigermaßen schadfrei durchkommen. Daher ist das ein sehr heikles Thema zurzeit - sowohl gesellschaftspolitisch als auch im Sport. Wir kreuzen immer unsere Finger und hoffen, dass wir einigermaßen virusfrei durch die nächste Zeit kommen. Aber es ist natürlich auch eine Frage der Zeit, viele unserer Spieler haben Kinder, die gehen in Kindergarten, da kann man zwar gewisse Risiken minimieren, aber eben auch nicht alle.
HBL darf nicht diktieren, wie die EHF es zu machen hat
Man kann nicht von jemand anderem verlangen, zu verzichten, wenn man selber 38 Spieltage in der Bundesliga bis Ende Juni durchzieht. Es stehen überall natürlich extreme finanzielle Interessen dahinter. Man hätte ja auch einfach die 12 besten Nationen der letzten EM zur kommenden schicken können. Aber dann fallen der EHF Spiele weg, wo sie sich ja auch Einnahmen erhoffen, nicht nur durch Zuschauer, sondern auch durch bestehende TV-Verträge.
Sicherlich rechnen sich auch mal kleinere Länder aus, die Quali zu schaffen und bei einer EM teilzunehmen. Die HBL kann da nicht diktieren, wie das Europa zu machen hat, sondern muss sich auf Kompromisse einlassen und muss auch die Interessen der anderen verstehen und respektieren. Deswegen geht so etwas nur mit vernünftigen Vorschlägen.
Es gibt halt einfach auch keine Zeit mehr, die Spiele zu verlegen. Der Spielplan ist so voll mit Bundesliga, Champions League und Europa-Pokal - da ist kein Zeitraum, die Spiele nachzuholen. Normalerweise startet man im Januar mit Freundschaftsspielen, ehe dann das große Event WM oder EM ansteht. Da sind jetzt dann im Januar EM-Quali-Spiele vor der WM in Ägypten - das ist schon alles sehr eng getaktet. Der Faktor Zeit neben dem Faktor Gesundheit ist das was uns auf die Füße fällt.
Das Interview führte Isabel Barquero Peña