Das Warten hat ein Ende: Heute startet die SG Flensburg-Handewitt gegen Aalborg (live ab 17 Uhr auf Sky Sport 1 HD) in die neue Saison der EHF Champions League. Am Sonntag warten dann auf den THW Kiel (gegen Paris) und die Rhein-Neckar Löwen (gegen Barcelona) zwei Kracher. Im exklusiven Interview blickt Sky Experte Stefan Kretzschmar auf die neue Spielzeit der Handball-Königsklasse voraus.
Sky Sport: Endlich geht es wieder los! Die Besten der Besten treten wieder in der EHF Champions League gegeneinander an. Wie groß ist die Vorfreude?
Stefan Kretzschmar: Zunächst muss ich sagen, dass ich immer noch im absoluten Bundesliga-Flash bin. Die ersten Wochen in der HBL waren richtig spektakulär. Deshalb ist die Freude natürlich riesig, dass es jetzt auch im Konzert der ganz Großen endlich losgeht.
Sky Sport: In der abgelaufenen Spielzeit gab es erstmals ein Final Four ohne deutsches Team. Was trauen Sie den Bundesliga-Vertretern THW Kiel, SG Flensburg-Handewitt und Rhein-Neckar Löwen in diesem Jahr zu?
Kretzschmar: Das ist nach den ersten Wochen schwierig zu sagen. Alle Teams haben schon Minuspunkte in der Bundesliga gesammelt, Flensburg und Kiel sogar schon vier. Vor der Saison habe ich Kiel vorne gesehen. Ich glaube aber, dass sich die Klubs nicht allzu viel nehmen. Allen dreien traue ich das Final Four zu, auch wenn es dafür etwas Glück braucht. In den letzten Jahren haben sich einige Teams herauskristallisiert, die den Bundesliga-Klubs nicht nur Paroli bieten können, sondern ihnen zuletzt sogar etwas überlegen waren. Das sind zwar keine übermächtigen, unschlagbaren Gegner, aber es wäre schon einfacher, wenn man den ganz Großen vor dem Final Four aus dem Weg geht. Intern haben der THW, die SG und die Löwen schon das Ziel ausgegeben, ins Final Four einzuziehen, und das sind auch keine Luftschlösser.
Sky Sport: Sie haben die Top-Klubs bereits angesprochen - welches Team ist für Sie der Favorit auf den Titel?
Kretzschmar: Paris hat ein Budget von circa 20 Millionen Euro. Wenn man damit nicht Favorit wäre, würde etwas falsch laufen. Alles andere als der Titel wäre eine Enttäuschung. Der Kader ist einfach überragend. Sehr stark sind aber auch Barcelona, Veszprem und die letzten beiden Titelträger Kielce und Vardar Skopje.
Sky Sport: In den vergangenen Jahren hat sich der Top-Favorit nur selten durchgesetzt. Warum ist es so schwer für die Top-Klubs, der Favoritenrolle gerecht zu werden?
Kretzschmar: Handball ist ein Mannschaftssport, da gewinnt das beste Team. Das hat Skopje letztes Jahr überragend gemacht. Dazu musst du von Verletzungen verschont bleiben und in den entscheidenden Momenten die richtigen Entscheidungen treffen. PSG hat mit Sicherheit die größte Ansammlung an Stars. Aber du brauchst auch Spieler, die sich unterordnen, die "Drecksarbeit" machen. Mit Schönspielerei gewinnst du keine Titel. Skopje gelang das zuletzt perfekt, aber auch Flensburg war immer ein Vorbild in puncto Teamgeist.
Sky Sport: Die hohe Belastung wird seit Langem kritisiert. In der neuen Spielzeit haben manche Klubs donnerstags ein Liga- und samstags ein Champions-League-Spiel. Sollten sich die anderen europäischen Klubs hier solidarisch zeigen, und auf Ansetzungen am Samstag verzichten?
Kretzschmar: Das Problem gibt es eben nur in Deutschland, weil nur hier die Liga einen solch großen Stellenwert hat. In allen anderen Ländern ist die Champions League das uneingeschränkte Premium-Produkt. Deshalb wollen die Vereine dort am Samstag spielen, weil da die meisten Fans in die Halle kommen. Ich kann diese Teams deshalb schon verstehen. Ich hoffe vielmehr auf die EHF, dass sie in Kooperation mit der Bundesliga eine Lösung findet.
Sky Sport: Seit Jahren wird über die Einführung einer internationalen Eliteliga diskutiert. Kiels Trainer Alfred Gislason sprach sich zuletzt für eine "Art NBA des Handballs" aus. Eine gute Idee?
Kretzschmar: Von einer europäischen Eliteliga bin ich kein Freund, weil ich nicht glaube, dass das für den Sport gut wäre. Die kleineren Teams würden so noch mehr abgehängt, die Schere zu den Spitzenvereinen immer größer. Das finde ich eine unmoralische Überlegung. Natürlich kann ich die Gedanken, den Wettbewerb noch attraktiver zu machen, verstehen. Wenn eine Eliteliga eingeführt wird, dann hoffe ich auf eine Weltliga, also rein aus Gründen der globalen Popularisierung. Es ist trotzdem schade, dass die Schere immer weiter auseinander geht. Zwölf oder 13 zusätzliche Heimspiele für Kiel oder Flensburg, das wäre auf der Einnahmenseite für viele Verfolger kaum aufholbar.
Aber auch eine Rückbesinnung auf den alten Europapokal fände ich reizvoll. Die Meister aller Länder in einem Wettbewerb, alle Pokalsieger in einem weiteren Cup. Aktuell haben wir ja in der Champions League drei Teams aus Deutschland und Frankreich, aber beispielsweise aus Italien gar keinen Starter.
Sky Sport: Werfen wir einen Blick auf die deutschen Starter und ihre Gruppengegner. Die Rhein-Neckar Löwen kämpfen in Gruppe A ums Weiterkommen. Vergangene Saison gelang das zwar, dann war im Achtelfinale aber Schluss gegen Kiel. Was ist dieses Jahr für den deutschen Meister drin?
Kretzschmar: Das Ausschieden gegen den THW war unglücklich, nachdem man das Hinspiel in Kiel noch gewonnen hatte. Dieses Jahr ist Platz sechs in der Gruppe das absolute Minimalziel der Löwen. Die Spieler werden die Partien absolut ernst nehmen und dieses Ziel auch erreichen.
Sky Sport: Wie bewerten Sie die Konkurrenz in Gruppe A?
Kretzschmar: Der FC Barcelona ist jedes Jahr einer der absoluten Topfavoriten. Sie haben eine gute Abwehr und die Spieler sind alle extrem athletisch.
Titelverteidiger Vardar Skopje ist schwer einzuschätzen, man hört sehr viel aus dem Umfeld des Vereins. Der Investor droht dort wohl auszusteigen, aber keiner weiß wann. Diese Unsicherheit wird nicht beflügelnd für die Spieler wirken. Für mich sind die Mazedonier das große Fragezeichen. Dass sie den Coup wiederholen können halte ich aber für ausgeschlossen. Die anderen Top-Teams werden sich nicht noch einmal so überrumpeln lassen.
Nantes sehe ich auf Augenhöhe mit den Löwen. Generell wird die französische Liga immer stärker. Es ist gutes Geld da, einige Vereine nehmen eine sehr positive Entwicklung, so auch Nantes. Mit der Verpflichtung von Kiril Lazarov vom FC Barcelona hab die Franzosen einen Superstar verpflichtet, Angst braucht man vor dem Team von Dominik Klein aber keine haben.
Traditionell schwer tun sich die Löwen gegen Pick Szeged. Sie sind körperlich sehr stark, zählen für mich aber nicht zur absoluten Spitze des europäischen Handballs. Die Löwen werden Szeged hinter sich lassen.
Kristianstad spielt einen sehr schnellen Handball, Wisla Plock und Zagreb sind vor allem zu Hause sehr unangenehm zu bespielen. Die Vereine stehen nicht ohne Grund in der Champions League. Dennoch gilt: Diese Teams müssen die Löwen hinter sich lassen.
Sky Sport: In Gruppe B treten mit Kiel und Flensburg zwei deutsche Klubs an. Für beide lief der Saisonstart in der Bundesliga nicht optimal. Was trauen Sie dem THW in der Champions League zu?
Kretzschmar: Kiel hat schon vier Minuspunkte, aber man muss auch sagen: Gegen Hannover kann man verlieren, das war nicht die allergrößte Überraschung. Gegen Melsungen hat man gesehen, dass es noch hakt im Kieler Spiel. Ich sage dennoch: Der THW ist in der Lage, deutscher Meister zu werden, und auch international alle Teams zu schlagen.
Sky Sport: Kann Kiel den schwachen Start also einfach so wegstecken? Oder könnte es bei weiteren Negativ-Erlebnissen sogar eng werden für Trainer Alfred Gislason?
Kretzschmar: Die Ansprüche sind in Kiel extrem hoch, sobald es mal nicht so läuft wird dort alles auf den Prüfstand gestellt. Wir brauchen jetzt keine Trainer-Diskussion aufzumachen, Alfred Gislason ist ein toller Coach. Aber: Handball ist ein Leistungssport, deshalb wird auch Alfred an den Leistungen des Teams gemessen. In der Champions League gibt es keine Laufkundschaft. So wie Kiel jedes Team schlagen kann, kann man auch gegen jeden Klub verlieren. Generell will sich der THW immer bestmöglich präsentieren. Das Erreichen des Final Fours ist immer noch das Ziel.
Sky Sport: Wie weit kann es für die SG Flensburg-Handewitt gehen?
Kretzschmar: Flensburg hat auf jeden Fall den Kader, die Vorrunde zu überstehen. Vor allem zu Hause schätze ich die SG sehr stark ein. Die Schwierigkeit wird auch in dieser Saison, konstant auf hohem Niveau zu spielen. Speziell im Rückraum hat man junge Spieler geholt, die diesen extremen Rhythmus noch nicht gewohnt sind. Das braucht Zeit.
Sky Sport: Nach sieben Jahren als Cheftrainer hat Ljubomir Vranjes die SG im Sommer gen Veszprem verlassen. Sein Assistent Maik Machulla übernahm. Eine gute Entscheidung?
Kretzschmar: Es war klar, dass Vranjes geht und man hat viel Geld für ihn bekommen. Dann ist man einen mutigen, aber meiner Meinung nach sehr guten und sympathischen Schritt gegangen. Ich finde die Verpflichtung von Maik Machulla als Cheftrainer toll!
Sky Sport: In der Gruppenphase kommt es zum Wiedersehen. Wie wird das ausfallen?
Kretzschmar: Man wird sich vor dem Spiel die Hand schütteln und dann geht es um den Sieg. Ich glaube nicht, dass man auf dem Feld etwas von der Vergangenheit merkt. Aber klar, Ljubomir Vranjes kennt die SG in- und auswendig, das kann ein kleiner Vorteil für Veszprem sein.
Sky Sport: Apropos Veszprem: Wie schätzen Sie die anderen Teams aus Gruppe B ein?
Kretzschmar: Zu Paris ist bereits alles gesagt. Sie haben einen überragenden Kader. Alles andere als der Titel wäre eine Enttäuschung, das muss man einfach so sagen.
Veszprem ist auch dieses Jahr wieder einer der Top-Favoriten, auch wenn dort im Sommer viel passiert ist. Mit Ljubomir Vranjes hat man einen sehr guten Trainer. Ohne Aron Palmarsson fehlt eine wichtige Waffe, aber der Kader ist auch so extrem stark.
Kielce konnte den Titel 2016 holen. Die wichtigsten Spieler sind zwar etwas älter, aber noch nicht über den Zenit hinaus. Trotzdem wird in Kielce bereits ein Umbruch eingeleitet, um auch in Zukunft mithalten zu können. Man hat Alex Dujshebaev von Skopje geholt, der im besten Handballer-Alter ist. Und auch Andi Wolff wird ja immer wieder mit den Polen in Verbindung gebracht.
Von den übrigen Teams würde ich vor allem Brest nicht unterschätzen. Mit Dainis Kristopans haben die Weißrussen zwar ihren Rückraumriesen an Skopje verloren, aber u. a. mit Petar Djordjic einiges an Qualität für den Rückraum geholt. Aalborg und Celje gilt es aus deutscher Sicht unbedingt hinter sich zu lassen. Das sollte Kiel und Flensburg aber auch gelingen.
Sky Sport: Alle Spiele der deutschen Klubs gibt es live bei Sky. Was erwartet die Fans?
Kretzschmar: Sky hat bewiesen, wie qualitativ hochwertig Handball gezeigt wird. So natürlich auch in dieser Saison: 30 Minuten Vorlauf, ein würdiger Nachlauf, und alles sehr liebevoll gemacht. In Kombination mit den Bundesliga-Übertragungen ist das eine neue Messlatte der Handball-Übertragung.
Die VELUX EHF Champions League live auf Sky:
Den Anfang macht die SG Flensburg-Handewitt im Heimspiel gegen Aalborg Handbold (am 16.9. exklusiv live ab 17:00 Uhr). Am Sonntag, 17.9., zieht der THW Kiel zu Hause gegen die Handballabteilung von Paris Saint-Germain (exklusiv live ab 16:45 Uhr) nach. Den Abschluss machen die Rhein-Neckar Löwen am Sonntag (exklusiv live ab 19:00 Uhr) im Top-Spiel gegen den FC Barcelona Lassa.