Die deutschen Handballer haben bei der Heim-WM das Halbfinale erreicht. Michael "Mimi" Kraus, Weltmeister von 2007, zeigt sich begeistert von der Euphorie in Deutschland und glaubt an den ganz großen Wurf.
Herr Kraus, zunächst zu Ihnen persönlich. Wie geht's Ihnen nach ihrem Handbruch?
Mimi Kraus: Sehr gut. Ich habe vor zwei Tagen erstmals wieder einen Ball in der Hand gehabt. Es fühlt sich gut an, aber es wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis ich wieder ran kann. Ich hoffe, ich kann mein Comeback beim All-Star-Game (am 1. Februar live auf Sky Sport News HD) geben.
Das DHB-Team hat sein erstes großes Ziel erreicht und steht ungeschlagen im Halbfinale. Hand aufs Herz - hätten Sie damit vor Turnierbeginn gerechnet?
Ehrlich gesagt ja! Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, vor heimischem Publikum zu spielen. Die Fans können einen tragen und beflügeln. Die Jungs gehen mit so viel Emotionen und Leidenschaft in die Partien - es macht einfach Spaß, ihnen zuzuschauen. Sie stehen absolut zurecht im Halbfinale.
Und die Handball-Euphorie in Deutschland ist entfacht …
Ich habe mich mit dänischen und anderen Schiedsrichter-Paaren unterhalten und die waren auch der Meinung: Von den Voraussetzungen her gibt's nichts Besseres als den deutschen Handball. Das Publikum saugt diese Events auf, die Hallen sind voll, die Einschaltquoten sind sensationell und das zeigt, dass wir eine Handball-Nation sind. Darum freut es mich umso mehr, dass unsere Nationalmannschaft - unser Aushängeschild - so einen großen Erfolg hat. Denn nur so profitiert der Handball im Allgemeinen.
Sie haben das Winter-Märchen 2007 persönlich erlebt - was löst so eine Stimmung und Euphorie in der Halle in einem Spieler aus?
Das ist ein riesengroßer Faktor. Diese Unterstützung beflügelt und setzt Kräfte frei. Man verdrängt die Müdigkeit und alle Schmerzen, die so ein langes Turnier mit sich bringen. Die Zuschauer nehmen auch Einfluss auf gewisse Schiedsrichter-Entscheidungen. Die Schiris stehen extrem unter Druck und deshalb muss man etwas Nachsicht haben, wenn sie manchmal eine Fehlentscheidung treffen. Das gehört eben dazu.
Wie oft haben Sie sich in den vergangenen Tagen an 2007 erinnert?
Natürlich sind die Erinnerungen in diesen Tagen wieder sehr greifbar, weil die Stimmung - vor allem in Köln - einfach nur sensationell ist. Für mich gibt es keine geilere Arena als die in Köln, deswegen finde ich es auch sehr schade, dass das Finale nicht dort, sondern in Dänemark stattfindet. Das ist keine ideale Konstellation.
Was beeindruckt Sie bei der deutschen Mannschaft am meisten?
Ich glaube, da sind sich alle einig: Die Abwehrarbeit im Zusammenspiel mit den Torhütern ist wirklich sensationell. Da sind wir Weltklasse.
Wie sehr überrascht Sie der Wandel von Bundestrainer Christian Prokop?
Ich kann mir nicht erklären, warum alle von einem Wandel sprechen. Er ist nach wie vor der Trainer, der er immer war. Natürlich lief die EM im vergangenen Jahr nicht so wie gewünscht, aber man darf nicht vergessen, dass Christian Prokop ein junger Trainer ist, der seine Erfahrungen sammeln muss. Als Bundestrainer dann gleich ins kalte Wasser zu springen, muss man auch erstmal machen.
Aber es ist doch schon so, dass er nun mehr mit den Spielern kommuniziert …
Ja, aber das hat er nach der EM auch verlauten lassen. Er hat seine Fehler eingestanden, was auch von Größe zeugt. Kritiker gibt es immer, aber sowas sollte man als Motivation sehen und ich glaube, das tut er auch. Aber generell als Trainer hat er sich nicht sonderlich verändert, das wäre auch der falsche Weg.
Sie galten vor ihrer Verletzung als Kandidat für den vorläufigen Kader und wären nach der schlimmen Verletzung von Martin Strobel wahrscheinlich auch eine mögliche Alternative gewesen. Wie oft kommt bei ihnen der Gedanke auf: 'Verdammt, warum ausgerechnet jetzt ...'
Klar, wenn ich mich nicht verletzt hätte, dann wären meine Chancen auf eine Nominierung mit Sicherheit gestiegen. Natürlich konfrontiert man sich damit und denkt sich: 'Schade, wenn die Hand nicht gebrochen wäre, wärst du jetzt vielleicht dabei.' Aber ich habe Ende November, Anfang Dezember bereits mit dem Thema abgeschlossen, da ich wusste, dass ein Knochen sechs bis acht Wochen braucht, um zu heilen. Und da wäre es utopisch gewesen, von einer Nominierung zu reden. Deswegen bin ich jetzt Fan durch und durch.
Wie schwer wiegt Strobels Ausfall? Er galt im Angriffsspiel ja als verlängerter Arm des Bundestrainers.
Martin hatte das Spiel gut unter Kontrolle und ist ein Sympathieträger. So ein Ausfall lässt sich nur über mannschaftliche Geschlossenheit kompensieren. Zudem ist Tim Suton als Nachrücker gegen Spanien gut ins Turnier gekommen und lässt sich ebenfalls von den Zuschauern tragen.
Nun steht das Halbfinale an. Bei Norwegen steht vor allem Superstar Sander Sagosen im Blickpunkt. Wie nimmt man ihn aus dem Spiel?
Deutschland darf nicht den Fehler machen und Norwegen nur auf Sagosen reduzieren. Sie haben eine komplette Truppe und sind nicht umsonst Vize-Weltmeister geworden.
Was macht Norwegen so gefährlich?
Für mich spielt Norwegen die beste zweite Welle im Turnier. Sie haben extrem viele Tore geworfen und kommen über das Tempospiel. Das ist eine junge, hungrige Mannschaft, die einen erfrischenden Handball spielt. Unser Vorteil ist aber, dass wir zuhause spielen. Deswegen wäre es mir auch lieber gewesen, wir hätten die Dänen im Halbfinale in Hamburg bekommen. Aber die müssen jetzt auch erstmal die Franzosen schlagen.
Ist die Stimmung aus Berlin und Köln denn überhaupt noch zu toppen? Sie kennen die Halle und Atmosphäre in Hamburg ja aus ihrer Zeit beim HSV.
Hamburg wird stimmungsmäßig mit Sicherheit am Limit sein. Das ist ein Halbfinale, da brauchen die Jungs noch mehr Unterstützung. Und ganz egal, ob Berlin, Köln oder Hamburg: Die Arenen sind top und die Stimmung ist überall herausragend, aber Köln ist von der Atmosphäre her nicht zu toppen und das Nonplusultra.
Abschließende Frage: Wird Deutschland Weltmeister?
Ja, wir holen den Titel! Alles andere akzeptiere ich auch nicht. (lacht)