Bernhard Raimann könnte der erste Österreicher werden, der jemals in der ersten Runde des Drafts ausgewählt wird. Historisch - seine Geschichte macht diesen Erfolg noch bemerkenswerter
In Michigan auf einer schwarzen Ledercouch - mit Laptop auf dem Schoß - sitzt ein sympathischer junger Mann. Freundlich und geduldig beantwortet er alle Fragen, bedankt sich bei jedem teilnehmenden Journalisten. Wann und von welchem Team er im NFL-Draft gezogen wird - Bernhard Raimann weiß es natürlich selbst noch nicht, aber ein langer und außergewöhnlicher Werdegang wird auf jeden Fall seinen vorläufigen Höhepunkt finden.
Erst mit 14 zum Football gekommen
Der gebürtige Wiener entdeckt erst im Alter von 14 Jahren seine Football-Leidenschaft und erhält durch ein Austauschjahr in den USA die große Chance. Zunächst als Wide Receiver auf der High School. Raimann reizt dieses besondere Gefühl , das berühmte "Friday Night Lights" - die Faszination High School Football.
Der Start ist gemacht, der nächste Schritt klar vor Augen: Raimann bewirbt sich für Colleges und erhält von der Central Michigan University ein Stipendium, allerdings nicht als Wide Receiver, sondern als Tight End.
Auf den Spuren von Fisher und Staley
Die CMU gehört zur ersten Liga, aber nicht zur ersten Sahne der College Teams. Die Chippewas haben drei große Namen für die NFL ausgebildet: Neben Antonio Brown, dem exzentrischen und streitbaren Wide Receiver sind das vor allem zwei Left Tackle: Eric Fisher, der 2013 als erster Pick überhaupt gezogen wurde und Joe Staley - immerhin sechsmaliger Pro Bowler.
Left Tackle, das ist mittlerweile auch Raimanns Bestimmung. Dank einer glücklichen Fügung und dem eisernen Willen des 24-Jährigen: Die ersten zwei Jahre bei Central Michigan verlaufen nämlich eher suboptimal: Der ehemalige Ringer und Leichtathlet bleibt unauffällig. Das ändert sich nach einer Positionsumstellung wegen Personalmangels: Raimann soll in die Offensive Line wechseln - und dort direkt auf die Königsposition, denn der Left Tackle ist der Blind-Side-Bodyguard der wichtigsten Figur des Sports: des Quarterbacks.
Aus Personalmangel zum Tackle umfunktioniert
Ohne Erfahrung macht sich Raimann als Leichtgewicht mit nur 105 Kilogramm an die Mammutaufgabe und brilliert die nächsten beiden Saisons. Der Wiener muss nicht nur die physischen und mentalen Ansprüche meistern, sondern auch seinen Körper transformieren. Er isst sich von 105 Kilo auf knapp 140 hoch.
Deshalb versorgte er sich im ersten Coronajahr auch größtenteils selbst, statt auf die Kantine der Universität zurückzugreifen, denn alle drei Stunden muss zumindest ein kleiner Snack rein. Raimann meistert jede Herausforderung. Das nicht seltene Übergeben gehört eben zum Job dazu, verrät der Youngster in einem Mediengespräch.
In seiner letzten College-Saison lässt er nur zehn Mal zu, dass sein Quarterback unter Druck gerät. Die angesehene Statistik-Seite Pro Football Focus gibt ihm deshalb auch die zweitbeste Bewertung aller Offensive Linemen überhaupt. Raimann besticht durch Athletik, schnelle Füße und gute Balance. Pro Football Focus resümiert: Top-10-Talent im Draft.
Runde eins erscheint möglich
Ganz so hoch wird Raimann am Ende wohl doch nicht gezogen, wenn man den zahlreichen Mock-Drafts vieler Experten Glauben schenken darf. Aber: Manch ein Mock-Draft sieht ihn der Ende der ersten Runde, andere zu Beginn der zweiten Runde.
Um seinen Draft-Wert noch einmal zu pushen, trainierte er noch einmal besonders hart und sammelt Unmengen an Flugmeilen: Senior Bowl in Alabama, Scouting-Combine in Indianapolis und sein Pro Day in Michigan. Hinzu kommen die Besuche bei manchen Teams.
Welche Mannschaften ein Auge auf ihn geworfen haben, möchte Raimann nicht verraten, aber es sind wohl genug. Der Zwei-Meter-Mann ist froh, nicht mehr so viel unterwegs zu sein, denn eine komfortable Sitzhaltung im Flieger einzunehmen, ist bei seiner Größe ein Ding der Unmöglichkeit.
Vollmer als Vorbild
Raimanns großes Vorbild ist übrigens auch ein Hüne: Ex-Patriots-Left-Tackle Sebastian Vollmer. Der hat Tom Brady jahrelang beschützt, und trägt als Dankeschön zwei Super-Bowl-Ringe.Genau da will Raimann langfristig auch hin, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Erst einmal gedraftet werden, dann einen Stammplatz sichern und schließlich Ring(e) jagen.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag steht Historisches an - ganz Football-Österreich fiebert mit - bei Raimanns Jugend-Klub den Vienna Vikings gibt es eine eigene Draft-Party. Und der kommende NFL-Profi selbst? Der wird zusammen mit der Familie, die er erstmals seit drei Jahren wiedersieht, in Michigan mitfiebern. Natürlich vor dem Fernseher auf seiner schwarzen Ledercouch...