Für den 27-Jährigen ist mit dem Gewinn der Larry-O'Brien-Trophy ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Nach dem Triumph in der NBA waren seine Gedanken vor allem bei seinen Eltern. Hartenstein will nun viel zurückgeben und hat dabei vor allem die Jugend in Deutschland im Auge.
Das Interview führte Niklas Korzendorfer
Sky Sport: Herr Hartenstein, Sie sitzen hier auf Ihrem eigenen Festival, dem iHart-Fest auf dem OrangeCampus von ratiopharm Ulm. Neben Ihnen steht die Larry-O'Brien-Trophy, die Sie mit Oklahoma City gewonnen haben. Sie sind der erste deutsche Basketballer, der die Trophäe nach Deutschland gebracht hat, und der zweite nach Dirk Nowitzki, der sie überhaupt erst gewonnen hat. Hätte man Ihnen das vor einigen Jahren erzählt, wie hätten Sie reagiert?
Isaiah Hartenstein: Zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere musste ich mich erst einmal in die NBA hineinarbeiten. Es gab viele Höhen und Tiefen, und jetzt hier zu sein, ist etwas Besonderes. Als Kind war es immer mein Traum, in der NBA zu spielen, einen Titel zu gewinnen und dabei eine bedeutende Rolle einzunehmen. Ich denke, mein Weg kann vielen Jugendlichen als Beispiel dienen. Als ich jung war, habe ich es nicht direkt in die Nationalmannschaft geschafft. Viele Lehrer haben mir gesagt, dass ich mit Basketball nichts erreichen kann.
Sky Sport: Wie ist es Ihnen trotzdem gelungen?
Hartenstein: Durch harte Arbeit und den Glauben daran, dass ich irgendwann auf diesem hohen Niveau spielen kann, habe ich es geschafft. Es war viel harte Arbeit. Jetzt ist es für mich etwas ganz Besonderes, die Trophäe nach Deutschland bringen zu können und den Kindern damit zu zeigen, dass auch sie es schaffen können. Ich habe in den vergangenen Tagen ein Jugendcamp am OrangeCampus veranstaltet, um ihre Begeisterung zu sehen. Einige Kinder haben mir gesagt, dass sie irgendwann das Gleiche erreichen wollen. Es ist einfach großartig zu sehen, was man damit bewirken kann.
Sky Sport: Der Titelgewinn ist jetzt etwa sechs Wochen her. Haben Sie schon realisiert, was für eine außergewöhnliche Leistung Sie erbracht haben?
Hartenstein: In den ersten zwei Wochen haben wir viel gefeiert, aber danach habe ich mich hingesetzt und darüber nachgedacht. Wie ich schon gesagt habe, war ich fast raus aus der NBA und musste vieles opfern, besonders im Zusammenhang mit der Nationalmannschaft, um mich in der Liga zu etablieren. Jetzt stehe ich in der Starting Five meines Teams und habe eine große Rolle beim amtierenden NBA-Champion. Das ist etwas Besonderes.
Sky Sport: Wie haben Sie die ersten Tage nach dem Triumph verbracht? Wie viele Tequila gab es für Sie auf der Championship-Party?
Hartenstein: Es gab viele, viele Flaschen Don Julio, das ist sicher (lacht). Wir hatten viel Spaß. Auch die Parade durch Oklahoma City war besonders. Es waren rund 600.000 Menschen auf den Straßen unterwegs, obwohl dort nur etwas mehr als 700.000 Leute wohnen. Es war unglaublich, mit ihnen zu feiern und auch hier die Begeisterung zu spüren, dass der Titel wieder nach Deutschland gekommen ist.
Sky Sport: 14 Jahre nach dem Triumph von Dirk Nowitzki mit den Dallas Mavericks…
Hartenstein: Dirk Nowitzki hat so viel für den Basketball in Deutschland getan. Ich will damit nicht sagen, dass ich wie Dirk Nowitzki bin. Ich habe als Jugendspieler gesehen, wie er es geschafft hat. Das hat uns allen gezeigt, dass wir es auch schaffen können. Und nun als zweiter deutscher Spieler diesen Titel zu gewinnen, ist außergewöhnlich. Ich hoffe, dass auch nach meiner Karriere weitere deutsche Spieler in der Liga Fuß fassen werden und wieder den Titel holen. Das ist mein Ziel mit der Nachwuchsarbeit.
Sky Sport: Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf, als Sie sich nach Game 7, in diesem Krimi gegen die Indiana Pacers (Anm. d. Red.: 103:91), tatsächlich zum Champion gekürt haben?
Hartenstein: Ich glaube, präsent waren vor allem die vielen Tiefen, die ich in meiner Karriere durchgemacht habe. Viele sprechen nicht darüber, dass der Weg nicht immer einfach ist. In meiner Karriere musste ich viel durchmachen, vor allem mental war es eine große Herausforderung. Es war einfach unglaublich, dass sich all die Arbeit in diesem Moment ausgezahlt hat. Ich denke, vor allem junge Spieler müssen verstehen, dass während einer Karriere nicht immer alles perfekt läuft. Es gibt Momente, in denen man denkt, alles geht den Bach runter. Genau dann muss man weiter arbeiten und an sich glauben. Ich hatte diesen Glauben immer. Ich war überzeugt, dass ich es schaffen kann, auch wenn viele Leute gesagt haben, dass ich diesen Titel nie erreichen werde. Ich glaube, andere junge Spieler können das jetzt auch sehen, dass es egal ist, was die Leute sagen. Du kannst erreichen, was du willst, wenn du die Sache mit harter Arbeit und dem Glauben daran angehst.
Sky Sport: Wie viele Nachrichten haben Sie nach dem Titelgewinn bekommen? Ihr Handy stand vermutlich nicht still…
Hartenstein: Mein Handy war kurz aus, es war sehr viel los. Aber auch während der NBA-Finals mit Oklahoma City hatte ich fast mehr das Gefühl, einen zweiten Krimi zu erleben.
Sky Sport: Warum?
Hartenstein: Ich habe gleichzeitig die Spiele von Ulm verfolgt. Sie waren auch im Finale um die deutsche Meisterschaft (Anm. d. Red.: Gegen Bayern München, 2:3-Niederlage in der Best-of-Five-Serie). Ich habe ihre Spiele in unseren Spielpausen angeschaut und mitgefiebert. Leider haben sie die Serie nicht gewonnen, aber sie haben einen großartigen Job gemacht. Ich denke, wir haben einmal mehr gezeigt, was wir für junge Spieler tun können. Wir haben zwei Spieler (Anm. d. Red.: Noa Essengue und Ben Saraf), die in der ersten Runde des NBA-Drafts gepickt wurden. Das ist wirklich außergewöhnlich. Ich denke, wir beweisen immer wieder, dass wir für die Jugend da sind. Aus diesem Grund bin ich auch mit dieser Initiative als Investor in Ulm eingestiegen. Ich wollte dort dabei sein, wo ich als Jugendlicher gerne selbst gespielt hätte und wo junge, talentierte Basketballer ihren Traum von der NBA wirklich erreichen können.
Sky Sport: Was trauen Sie den Ulmer Senkrechtstartern Noa Essengue bei den Chicago Bulls und Ben Saraf bei den Brooklyn Nets in Ihrer Rookie-Saison zu?
Hartenstein: Sie sind beide sehr talentiert, aber wie ich schon gesagt habe, wird es Höhen und Tiefen geben - das ist normal in einer Rookie-Saison. Als Verein versuchen wir, die Spieler bestmöglich darauf vorzubereiten. Der Unterschied zwischen College und den Profis, wie zum Beispiel in Ulm, ist groß. Wir haben zwei Spieler geholt, von denen wir glauben, dass sie in der NBA bestehen können. Während der Saison haben wir versucht, Spiele zu gewinnen, aber unser Ziel war es auch, diese Jungs so weiterzuentwickeln, dass sie in der NBA eine lange Karriere haben können. Ich glaube, in den letzten Jahren haben wir in Ulm einen sehr guten Job gemacht.
Sky Sport: Einer, der Sie stets begleitet, ist Ihr Vater Florian Hartenstein. Er ist Ihr Mentor und Trainer. Welchen Anteil hat Ihre Familie - insbesondere auch Ihre Mutter Theresa - an diesem Erfolg?
Hartenstein: Ohne sie wäre ich nicht hier. Wenn ich älter werde, sehe ich immer öfters, wie viel sie aufgegeben haben, damit ich meinen Weg gehen kann. Als Jugendlicher wird einem das oft nicht bewusst. Sie haben sehr viel gegeben, damit ich meinen Traum verwirklichen konnte. Mein Vater war früher Trainer, hat dann aber aufgehört und ist zu mir nach Amerika gekommen, um mich zu coachen. Meine Mutter ebenso. Diese Opfer für meine Ziele waren entscheidend. Jetzt zu feiern, was sie mir ermöglicht haben, ist unglaublich.
Sky Sport: Nach guten Spielen oder Trainingseinheiten sind Sie öfter mal mit Ihrem Vater ins Steakhouse gegangen. Was haben Sie gemacht, als Sie die NBA-Trophy mit nach Hause gebracht haben? Haben Sie Ihre Eltern besonders beschenkt?
Hartenstein: Wir haben auf jeden Fall gefeiert mit meinem Team. Meinem Vater habe ich einen kleinen Bonus gegeben. Er ist autoverrückt und hat sich davon direkt wieder ein neues Auto gekauft (lacht).
Sky Sport: Sie haben in Ihrer Karriere bereits einige Stationen hinter sich. Sie haben unter anderem in Houston, Denver, Cleveland, Los Angeles, New York und jetzt in Oklahoma City gespielt - mit vielen namhaften Teamkollegen. Welcher Mitspieler hat Sie besonders inspiriert?
Hartenstein: Ich glaube, ich habe so viel von verschiedenen Spielern gelernt, dass ich meinen Weg auch nicht ändern würde. In Houston habe ich viel von James Harden und Tyson Chandler gelernt, und bei den LA Clippers von Nicolas Batum. In unserem aktuellen Team ist es auch besonders - man lernt sogar viel von den jüngeren Spielern.
Sky Sport: Bei den New York Knicks haben Sie auf sich aufmerksam gemacht, sind zu einem der besten Spieler auf Ihrer Position gereift, bevor Sie nach Oklahoma City gewechselt sind. NBA-Legende Shaquille O'Neal war als TV-Experte ein großer Fan von Ihrem Spiel in New York. Hat er sich mal bei Ihnen persönlich gemeldet?
Hartenstein: Er hat sich nicht direkt bei mir gemeldet, aber nach guten Spielen haben wir manchmal kurz gesprochen. Es ist auf jeden Fall cool, die Leute zu treffen, mit denen man früher als Kind teilweise mit Freunden in Videospielen gespielt hat. Einige meiner alten Kumpels, mit denen ich früher NBA 2K gespielt habe, sind auch hier beim Jugendcamp und beim iHart-Fest dabei. Sie wiederzusehen und sich zu erinnern, dass wir früher LeBron James und andere Legenden in einem Videospiel gespielt haben, und sie jetzt über mich reden, ist schon etwas Cooles.
Sky Sport: Eine Hiobsbotschaft: Sie mussten die Europameisterschaft im September aufgrund von Problemen an der Achillessehne absagen. Wie traurig sind Sie, nicht dabei sein zu können?
Hartenstein: Ich bin sehr traurig. Es gab Zeiten, in denen ich mich erst in der NBA durchsetzen musste. Ich glaube, viele in Deutschland wissen nicht, dass es in der NBA anders ist als beispielsweise im Fußball. Die NBA interessiert sich nicht so sehr für die Nationalmannschaften wie andere Ligen in anderen Sportarten. Es gab Zeiten, in denen mir geraten wurde, in der NBA zu bleiben, statt zur Nationalmannschaft zu reisen, wenn ich meine Karriere fortsetzen will. Jetzt bin ich in einer Phase, in der ich so viel wie möglich spielen möchte. Auch der neue Bundestrainer (Anm. d. Red.: Alex Mumbru - seit 15. August 2024 im Amt) war vor einigen Wochen während der Saison in Oklahoma City zu Gast. Wir hatten viel gesprochen. Mir ist klar: Ich will auf jeden Fall für die Nationalmannschaft spielen und viel mehr für Deutschland machen. Ich versuche, durch meine Jugendcamps und das iHart-Fest so viel wie möglich zurückzugeben. Ich verdiene damit kein Geld, ich gebe alles zurück und spende die Einnahmen. Die NBA-Trophäe mit nach Deutschland zu bringen, ist für mich ein guter Anfang.
Sky Sport: Gibt es ein Ziel für die Zukunft? Eine goldene Olympia-Medaille im Jahr 2028 würde sich sicher gut neben der Larry O'Brien Championship Trophy im Schrank machen…
Hartenstein: Zuerst haben wir noch die WM 2027. Wenn wir dort und bei Olympia in Los Angeles noch ein paar goldene Medaillen dazuholen, wäre das auf jeden Fall etwas Gutes (lacht).
Sky Sport: Mit Blick auf die Nationalmannschaft: Sie sind nicht der einzige deutsche Spieler in der NBA. Mit dabei sind beispielsweise auch Moritz und Franz Wagner, aber auch Dennis Schröder. Wie ist das Verhältnis zu ihnen?
Hartenstein: Hier und da haben wir miteinander Kontakt. Es ist nicht so, dass wir ständig im Austausch sind, die Saison ist lang und es passieren viele Dinge. Daher konzentriert man sich natürlich auch auf sich und sein eigenes Team. Aber wir reden hier und da. Was die Nationalmannschaft definitiv besonders macht, ist, dass wir alle gute Jungs sind.
Mehr zu den Autoren und Autorinnen auf skysport.de
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.