Was hinter der Strafenflut von Belgien steckt & wer davon profitiert
26.08.2022 | 21:49 Uhr
Beim 14. Saisonrennen in Belgien nehmen zahlreiche Fahrer Startplatzstrafen in Kauf – darunter auch Weltmeister Max Verstappen (Red Bull) und Ferrari-Star Charles Leclerc. Doch was steckt hinter der Strafenflut von Spa-Francorchamps?
Gleich sechs Fahrer werden nach dem Qualifying am Samstag (ab 16 Uhr LIVE & EXKLUSIV auf Sky Sport F1) ans Ende der Startaufstellung versetzt.
Dass gleich mehrere Fahrer so viele Strafen auf einmal hinnehmen, ist nicht ungewöhnlich. Zwar würde bei einem Tausch von nur einer Antriebseinheit nur eine Zurücksetzung von fünf Plätzen erfolgen, jedoch bestünde das Risiko, dass im nachfolgenden Rennen dann eine andere Motoreneinheit getauscht werden müsste. Dann würde der Fahrer wieder fünf Plätze nach hinten müssen.
Mit diesem radikalen Schritt, fast alle Teile zu tauschen, nehmen die Fahrer bewusst eine höhere Strafe für ein Rennen in Kauf. Dafür haben sie dann neue Teile in ihren Autos und können mit frischem Material ins Rennen gehen. Die neuen Teile reduzieren zudem die Gefahr, mit einem technischen Defekt auszufallen und sollten im Rennen gegenüber der Konkurrenz, die mit gebrauchten Teilen unterwegs ist, ein Vorteil sein.
Die Strecke von Spa-Francorchamps ist bekannt für die vielen Überholmöglichkeiten. Gerade im ersten und dritten Sektor gibt es lange Vollgas-Abschnitte. Durch den Ground-Effekt können die Fahrzeuge zudem sehr gut auch in Kurven am Vorderwagen dranbleiben und dann auf den Geraden attackieren.
"Spa gibt einfach die Möglichkeit, sehr gut und einfach zu überholen. Mit den Geraden und dem DRS hat man hier eine gute Möglichkeit, von hinten nach vorne zu fahren. Deshalb ziehen viele Teams hier den Joker und holen sich ein neues Motorenpaket", erklärte Sky Experte Timo Glock. Dadurch sind gute Platzierungen auch von hinten in der Startaufstellung keine Seltenheit.
Lewis Hamilton kassierte 2016 zum Beispiel eine Startplatzstrafe von über 60 Plätzen, fast alle Teile wurden damals am Mercedes getauscht. Von ganz hinten raste der Brite noch als Dritter auf das Treppchen. In Zandvoort, Singapur oder Abu Dhabi ist das Überholen deutlich schwieriger. Zudem ist Spa bekannt für seine Wetterkapriolen und Chaos-Rennen. Auch deshalb ist die Startposition nicht so wichtig wie auf anderen Strecken. Selbst Schumacher, der sich natürlich Regen für das Rennen wünscht, schielt auch in Trockenen noch auf die Punkteränge.
Bei noch neun ausstehenden Rennen ist der Zeitpunkt für einen kompletten Wechsel außerdem sinnvoll, um den Vorteil der frischen Teile auch noch in der zweiten Saisonhälfte ausnutzen zu können und gleichzeitig die anderen Teams, die mit ihren Komponenten bereits am Limit sind, in den kommenden Rennen auch in Bezug auf die Zuverlässigkeit ihrer Autos unter Druck zu setzen.
Verstappen führt die WM-Wertung mit 80 Punkten an. Der Weltmeister muss keine Risiken mehr eingehen. Für ihn macht der Komplettwechsel mit Blick auf die restliche Saison Sinn. Zudem kann Verstappen in der kommenden Woche bei seinem Heimspiel in Zandvoort aus dem Vollen schöpfen.
Zu Saisonbeginn fiel der Niederländer mit seinem Red Bull in Bahrain und Saudi-Arabien durch technische Defekte aus. Durch den Wechsel erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass solche DNFs im WM-Kampf vermieden werden.
Ferrari hätte durchaus überlegen können, ob sie sich die Strafe bei Leclerc nicht aufsparen, da durch die Verstappen-Strafe die Chancen auf einen Sieg in Belgien sehr groß gewesen wäre. Doch nach Zandvoort, wo eine Startplatzstrafe schwer wieder wettzumachen ist, steht das Heimspiel der Scuderia in Monza an. Dort möchte Ferrari den Tifosi ein Spektakel bieten, eine Strafe dort zu ziehen, käme nicht infrage.
Daher mussten die Roten nun auch bereits bei Leclerc die Antriebseinheiten tauschen. Und auch bei Ferrari entschied sich das Team dazu, gleich mehrere Teile zu tauschen, um wieder voll angreifen zu können. Leclerc fiel sowohl in Spanien als auch in Aserbaidschan in Führung liegend mit Defekten aus, hier wollte Ferrari ebenfalls nichts riskieren. Trotzdem können Leclerc und Verstappen in Belgien auch von weit hinten noch viele Punkte holen.
Red Bull und Ferrari waren in den beiden Trainingssessions die mit Abstand schnellsten Autos. "Wir haben einfach geschaut, wie wir das Auto am besten abstimmen können. Sobald wir auf die Strecke gingen, funktionierte das Auto ziemlich gut. Nach dem ersten Run war ich eigentlich zufrieden mit dem Auto", erklärte Verstappen und machte damit deutlich, dass er überhaupt keine Anlaufschwierigkeiten auf der Strecke hatte. Für ganz vorne wird es allerdings schwierig werden.
Zusammen haben Verstappen und Leclerc in dieser Saison elf Rennsiege sowie zehn Pole Positions in den Dreizehn Saisonrennen eingefahren. Durch die Strafen profitieren in erster Linie die beiden Teamkollegen. Sergio Perez (Red Bull) und Carlos Sainz (Ferrari) haben in dieser Saison zwar jeweils eine Pole Position und einen Rennsieg auf dem Konto, stehen aber deutlich im Schatten von Verstappen und Leclerc. In Spa sind Perez und Sainz nun die klaren Favoriten auf die ersten Startreihe am Samstag sowie den Sieg am Sonntag.
Doch Perez lag in FP1 über 1,7 Sekunden hinter Teamkollege Verstappen, in FP2 waren es dann über 1,8 Sekunden. Der Mexikaner - auch wenn es Probleme mit seinem DRS gab - konnte noch nicht in Spa überzeugen. Auch Sainz, der zwar die erste Trainingssession knapp vor Leclerc gewann, hatte in der zweiten Session dann so seine Probleme und war deutlich langsamer als der Monegasse.
Und das wiederum bringt Mercedes ins Spiel. Lewis Hamilton stand bei den vergangenen fünf Rennen jeweils auf dem Podium und zeigt eine aufsteigende Form. George Russell holte sich gar die Pole vor der Sommerpause in Ungarn. Doch einen Saisonsieg konnten die Silberpfeile noch nicht feiern. Doch nun sind Verstappen und Leclerc zumindest am Start weit weg.
"Das sind normalerweise die Autos, die vor uns ins Ziel kommen. Das wird eine große Chance werden, wenn die beiden von hinten starten. Wir müssen uns mehr auf die Rennpace konzentrieren als auf das Qualifying. Wenn wir einen guten Long-Run hinbekommen, dann ist es auch möglich, zwei Autos vorne zu haben", meinte Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin am Sky Mikrofon.
Doch weder Hamilton noch Russell kamen am Freitag mit den kühlen Bedingungen in Belgien zurecht. Allerdings hatte Mercedes schon oft so seine Schwierigkeiten in den ersten Trainingseinheiten in dieser Saison und war dann plötzlich am Samstag viel stärker unterwegs. "Wir stellen oft fest, dass wir zu Beginn eines Wochenendes noch weit weg sind, dann aber die Kurve kriegen und aufschließen. Ich hoffe, dass das auch hier das Fall ist", blickte Hamilton optimistisch voraus.
Ansonsten könnte es aber auch weitere Überraschungen geben: Fernando Alonso (Alpine) oder auch Daniel Ricciardo (McLaren) sind weitere Kandidaten. Letzterer ist übrigens neben Verstappen, Leclerc, Hamilton und Sebastian Vettel (Aston Martin) einer von nur fünf Fahrern im Feld, der schon einmal in Spa-Francorchamps gewinnen konnte.
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