Sören Gonther spielte von 2012 bis 2017 beim FC St. Pauli und war sogar Kapitän der Kiez-Kicker. In seiner Kolumne erklärt der Sky Experte die besondere Bedeutung des Hamburger Derbys und gibt eine Aufstiegs-Prognose ab.
Als ehemaliger Kapitän des FC St. Pauli werde ich im Vorfeld viel zum Spiel gefragt, durch meine Sky-Tätigkeit noch etwas mehr als in vergangenen Jahren.
Ich durfte das Derby als Spieler leider nie selbst miterleben, deswegen freue ich mich umso mehr, am Freitag als Experte im Stadion zu sein.
Aus meiner Zeit in Hamburg weiß ich, dass für viele in der Stadt ein Sieg im Derby wichtiger ist als die gesamte restliche Saison.
- Alles zur 2. Bundesliga
WER GEWINNT DAS DERBY? STIMMT AB!
Ich kam zwar erst 2012 zum FC St. Pauli, aber ich erinnere mich an das Derby im Februar 2011, als keiner mit einem Sieg gerechnet hat und der Abstand zwischen beiden Klubs viel größer war als er heute ist.
Die Geschichte dieses 1:0 hatte schon märchenhafte Züge. Trainer Holger Stanislawski traf die Entscheidung, seinen Ersatztorwart aufzustellen. Benedikt Pliquett machte das Spiel seines Lebens und Asamoah, der als Leihgabe keinen so einfachen Stand hatte, erzielte das Siegtor. Von diesem Spiel sprechen immer noch alle.
Die damalige Generation mit Größen wie Fabian Boll, Timo Schultz, Florian Bruns, Fabio Morena oder Marius Ebbers war von der dritten Liga bis in die Bundesliga marschiert, im Pokal wurden sie im Halbfinale erst von den Bayern gestoppt. Was diese Jungs erreicht haben, hat die Basis dafür gelegt, was der Verein heute ist.
Typen wie Bene Pliquett oder später Jan-Philipp Kalla haben den FC St. Pauli verkörpert, weil sie den Verein gelebt haben. Timo Schultz ist Ostfriese und trotzdem St. Paulianer durch und durch.
Dass ich selbst Kapitän des FC St. Pauli war, macht mich sehr stolz. Ich wurde damals vom Trainerteam bestimmt und von der Mannschaft zum Nachfolger von Fabian Boll gewählt. Das waren unfassbar große Fußstapfen und eine sehr große Ehre für mich. Ich erinnere mich heute sehr gern an diese Zeit zurück, weil St. Pauli ein besonderer Klub ist.
Klar, der Verein ist viel größer geworden, die Mannschaft ist internationaler besetzt, die Fluktuation ist höher. So etwas geht etwas auf Kosten der Identifikation. Aber es gibt auch in der aktuellen Mannschaft Spieler wie Jackson Irvine (Mittelfeld, WM-Teilnehmer mit Australien, Anm. d. R.), die den Klub so verkörpern wie die Größen von damals. Jackson wohnt dort, wo das Herz von St. Pauli schlägt, und mischt sich auch ganz normal unter die Leute, er ist wie einer von ihnen. Ein sehr sympathischer Typ, der das St. Pauli-Gefühl total lebt.
Was mit Leidenschaft und Willen möglich ist, haben wir im Hinspiel beim 3:0 für St. Pauli gesehen. Auch wenn die Siegesserie am vergangenen Wochenende gerissen ist, wird der Lauf auch von einer Niederlage nicht ausgebremst. St. Paulis Mannschaft wird sich an die zehn Siege davor erinnern und mit viel Schwung ins Derby gehen.
Trainer Fabian Hürzeler hat die Mannschaft aus der Abstiegszone bis in Reichweite der Aufstiegsplätze geführt. Er war schon als Assistent von Timo Schultz sehr stark eingebunden, jetzt hat er in Peter Nemeth einen Co-Trainer mit viel Erfahrung, der auch sehr akribisch arbeitet. Was dieses Gespann mit der Mannschaft geleistet hat, ist herausragend.
In Zukunft wird es darum gehen, diesen Start zu bestätigen. Schon zu meiner Zeit hat uns die Konstanz gefehlt. Wir haben es nie geschafft, die Leistung über eine komplette Saison abzurufen. Für Hürzeler und sein Team wird das die Herausforderung für die kommende Saison sein. Dann werden sie von Anfang an oben dabei sein.
Ich glaube nicht, dass St. Pauli in dieser Saison noch um den Aufstieg spielen kann, dafür war die Hinrunde mir nur 17 Punkten eine zu große Bürde. Aber Derby ist Derby. Egal, wie die Tabellenkonstellation ist. Und die St. Paulianer würden sich bestimmt freuen, wenn sie dem HSV den Aufstieg verderben würden.
WER STEIGT AUF? STIMMT AB!
Natürlich ist noch alles möglich, aber ich glaube nicht, dass sich der HSV den dritten Platz noch nehmen lassen wird. Platz drei würde allerdings wieder die Relegation bedeuten, und in der kann alles passieren, wie wir letztes Jahr gegen Hertha gesehen haben.
Ich denke, dass Darmstadt direkt aufsteigt. Der HSV kann vielleicht Heidenheim noch abfangen, das hängt auch vom Ausgang des Derbys ab.
Der HSV hat zwar zuletzt in Kaiserslautern verloren, aber über die ganze Saison hinweg macht das Team von Trainer Tim Walter einen stabilen Eindruck auf mich. Gerade zuhause ist der HSV eine Macht, das hat das 6:1 gegen Hannover gezeigt.
In der Defensive sind sie zwar etwas anfällig, aber vorne haben sie immer die Qualität zu treffen und in Robert Glatzel einen herausragenden Torjäger. St. Pauli hat keinen Knipser wie Glatzel, aber sie spielen sehr variabel.
Ich erwarte ein knappes Ergebnis, wobei ich mir, bei aller Neutralität, die ich mir für meinen Experten-Job bewahre, als St. Paulianer im Herzen einen Auswärtssieg wünschen würde.
Das Derby am Freitag im kostenlosen Livestream
Derbyzeit in der 2. Bundesliga! Beim Duell zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli planen Sky und WOW mit "Dein Derby - Große Freiheit für alle" eine ganz besondere Aktion für alle streamingaffinen Fußballfans in Deutschland. Ausnahmsweise wird das Hamburger Derby am kommenden Freitag, 21. April 2023 (ab 18.15 Uhr) im kostenlosen Livestream auf skysport.de und in der Sky Sport App ausgestrahlt.
Sören Gonther ist ein Kind der 2. Bundesliga. Als Abwehrspieler hat er für Paderborn, St. Pauli, Dresden und Aue 294 Zweitligaspiele absolviert und elf Tore erzielt. Als Sky Experte analysiert er die Spiele im Unterhaus.
Mehr zu den Autoren und Autorinnen auf skysport.de
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.