Alexander Zorniger lebte fünf Jahre lang in Dänemark, wo er Brondby IF coachte. Im exklusiven Sky Interview hat der Dänemark-Experte unter anderem über den deutschen Achtelfinalgegner und seinen Ex-Schützling Joshua Kimmich gesprochen.
skysport.de: Herr Zorniger, aufgrund Ihrer Zeit in Dänemark und Ihren engen Kontakten zu einigen Nationalspielern kennen Sie den dänischen Fußball sehr gut. Was für eine Mannschaft kommt auf das DFB-Team im Achtelfinale zu?
Alexander Zorniger: "Die meisten dänischen Nationalspieler um Christian Eriksen, Kasper Schmeichel & Co. haben schon in den Top-Ligen in Europa gespielt. Wir sollten es tunlichst unterlassen, zu glauben, dass da ein kleines Fußballland auf uns zukommt. Einige Spieler sind sehr früh auf die Insel in Nachwuchsleistungszentren gegangen und verfügen über eine sehr hohe individuelle Qualität. Die Spielweise der Nationalmannschaft ist allerdings auch extrem abhängig von Eriksen - vergleichbar mit der deutschen Abhängigkeit von Toni Kroos. Er bestimmt klar das Tempo. Ich denke, dass es nach der EM einen großen Umbruch geben wird. Nach der Halbfinalteilnahme 2021 hat die Mannschaft nun aber noch einmal die letzte Chance, in dieser Besetzung etwas Großes zu erreichen und wird brennen."
skysport.de: Worauf muss Deutschland am meisten aufpassen?
Zorniger: "Mit Eriksen hat Dänemark einen der besten Standardschützen im Turnier und mit Jannik Vestergaard und Andreas Christensen zwei der besten Kopfballspieler, da muss Deutschland sehr aufpassen. Es kommt meiner Meinung nach aber auf das Energielevel an. Wenn sie so spielen wie gegen die Schweiz in der ersten Halbzeit, wird Deutschland gegen Dänemark Probleme bekommen. Die Dänen sind taktisch extrem gut geschult. Sie haben nicht die Umschaltspieler wie die Deutschen, aber wenn man sie nicht mit Tempo kontrolliert, könnte das gefährlich werden. Bei Deutschland ist nicht alles so stabil, wie das noch zwischen 2008 und 2016 der Fall war, als eine gewisse Minimum-Leistung nie unterschritten wurde. Aber grundsätzlich ist die deutsche Mannschaft trotzdem in der besseren Position."
skysport.de: Wem drücken Sie am Samstag die Daumen?
Zorniger: "Die Zeit in Dänemark war für mich sehr prägend und das Land liegt mir nach wie vor sehr am Herzen. Dennoch bin ich Deutscher, das hier ist mein Heimatland und deshalb drücke ich eher den Deutschen die Daumen. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn meine Gattin bei einem dänischen Tor jubelt. Für uns wird es in jedem Fall am Samstag keinen Verlierer geben, aber auch keinen kompletten Gewinner - ein weinendes und ein lachendes Auge wird dabei sein."
skysport.de: Blicken wir einmal auf ein anderes Team, das im Achtelfinale steht. Die Österreicher haben mit Ralf Rangnick, den Sie aus Ihrer gemeinsamen Zeit in Leipzig sehr gut kennen, eine furiose Vorrunde gespielt - waren Sie überrascht?
Zorniger: "Ehrlich gesagt hätte mich alles andere als diese Entwicklung überrascht. Ralf Rangnick ist ein totaler Motivator und detailbesessen. Er hat sich jetzt bei Österreich die richtigen Leute dazugeholt und da eine totale Euphorie ausgelöst. Der Großteil der Mannschaft hat schon mal mit ihm gearbeitet und das sieht man auch. Österreich ist gegen den Ball wahrscheinlich das aggressivste Team der ganzen EM und auch mit dem Ball haben Sie enorme Qualität und sind als Mannschaft unfassbar geschlossen."
skysport.de: Was trauen Sie der Mannschaft zu?
Zorniger: "Alles ist möglich. Es ist für mich insgesamt schwierig, von ein oder zwei absoluten Top-Favoriten zu sprechen. Hat man nur einmal einen schlechten Tag, kann das Turnier vorbei sein. Wenn nachher Österreich die EM gewinnt, würde ich jetzt nicht sagen, dass es eine Riesen-Überraschung ist."
skysport.de: Neben Rangnick kennen Sie auch Joshua Kimmich aus Leipzig bestens. Wie sehen Sie ihn in seiner neuen Rolle als Rechtsverteidiger?
Zorniger: "Jo hat die neue Rolle jetzt mit absolutem Teamgedanken akzeptiert. Er stellt sich mit voller Überzeugung in den Dienst der Mannschaft. Er spielt als Rechtsverteidiger sehr kontrolliert, macht die Mannschaft stärker und trägt dazu bei, dass die Mannschaft mit einer brutalen Stabilität spielt und das freut mich sehr für ihn."
skysport.de: Nach Sky Informationen darf Kimmich den FC Bayern im Sommer verlassen. Sollte er Ihrer Meinung nach den Schritt ins Ausland wagen?
Zorniger: "Ich traue Jo den Schritt zu einem Topklub im Ausland auf jeden Fall zu. Grundsätzlich kann ich jedem nur empfehlen, Auslandserfahrungen zu sammeln. Dass die deutsche Öffentlichkeit einen Spieler wie Kimmich so kritisiert, wie das erfolgt ist, steht sinnbildlich für die Probleme in unserer Gesellschaft und ist typisch für unser Land. Ich glaube, dass ihm absolut klar ist, was er will und er eine überlegte Entscheidung treffen wird."
skysport.de: Noch einmal kurz zurück zur EM: Wird ihre Arbeit als Trainer von der SpVgg Greuther Fürth von dem Turnier in irgendeiner Weise beeinflusst - sei es durch Scouting von Spielern aus kleineren Fußball-Nationen oder den Transfermarkt?
Zorniger: "Nicht wirklich. Ich sehe da kaum Spieler, die für uns infrage kommen. Für mich war allerdings im Zuge der EM ein Vortrag vom Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert sehr interessant. Er hat im Rahmen einer Sitzung mit den Erst- und Zweitligatrainern über klare Rollenverteilungen gesprochen. Da arbeite ich jetzt mit meiner Mannschaft dran, auch im Ligabetrieb ein klares Rollenverständnis zu entwickeln und da hat er mich schon inspiriert und beeinflusst, wie auch Julian Nagelsmann mit seinem Team."
Das Interview führte Florian Hartmann