Martin Schmidt trainierte den FSV Mainz 05, den VfL Wolfsburg und den FC Augsburg. Seit dieser Saison analysiert der Schweizer die Bundesliga als Sky Experte. Im Interview spricht Schmidt über den FC Bayern, Schalke-Trainer Manuel Baum, den Mainzer Weg und das Spiel seiner Ex-Klubs (So., ab 14.30 Uhr auf Sky Sport Bundesliga 1) .
Sky Sport: Herr Schmidt, Sie sind seit dieser Saison Sky Experte. Wie ist es, eine andere Sicht auf die Spiele zu haben? Was sind die Unterschiede zur Trainer-Perspektive?
Martin Schmidt: Für mich ist die Experten-Sicht nicht ganz neu. Ich war vorher schon mal Studiogast bei Sky und habe im Schweizer Fernsehen Spiele bei Welt- und Europameisterschaften analysiert. Es gibt da durchaus auch Parallelen zum Ingame-Coaching, selbst wenn man nicht direkt an der Seitenlinie steht. Man muss als Trainer während des Spiels das Geschehen beobachten und einschätzen, man schaut zum Beispiel nach taktischen Ansätzen. Da ändert sich also gar nicht so viel. Die Arbeit als Experte macht mir sehr viel Spaß.
Sky Sport: Haben Sie jetzt, wo sie nicht als Trainer arbeiten, wieder mehr Zeit für andere Dinge? Sie haben ja schon viele andere Sachen gemacht, zum Beispiel Mechaniker im Motorsport oder Skilehrer.
Schmidt: Ein Fulltime Job ist die Arbeit als Experte in dem Sinne nicht, auch wenn ich sie natürlich sehr ernst nehme. Ich habe im Wallis immer noch mein Unternehmen im Arbeitsbekleidungssektor. Meine Schwestern führen das Geschäft, aber ich arbeite mit, wenn ich daheim bin. Die ersten 20 Jahre meines Erwachsenenlebens hatte ich immer Benzin im Blut, auch damit habe ich immer wieder zu tun. Und man hat Zeit, um an sich zu arbeiten, zu Netzwerken, sich weiterzubilden und Sprachen zu lernen.
Sky Sport: Welche Sprache lernen Sie gerade?
Schmidt: Ich lerne intensiv Italienisch. Ich habe mittlerweile auch schon Interviews für italienische TV- und Radiosender gegeben. Ich bin auch dort als Experte gefragt, weil die Medien auch wissen, dass ich den deutschen Markt kenne und Italienisch spreche.
Sky Sport: Haben Sie dabei ständig auch im Hinterkopf, ob, wann und wo Sie wieder als Trainer arbeiten?
Schmidt: Dass man mit einem Auge den Trainermarkt beobachtet, ist klar. Aber es ist nicht so vordergründig, wie man sich das oft vorstellt. Man weiß, dass man die Dinge eh nicht beeinflussen kann. Es ist nicht so, dass ich morgens aufstehe und denke: wer ruft an oder hat jemand angerufen? Mittlerweile arbeite ich auch ohne Berater, und ich könnte mir auch andere Tätigkeiten im strategischen Bereich vorstellen.
Sky Sport: Kommen wir zur Bundesliga. Nach zwei Spieltagen stehen Hoffenheim und Augsburg auf den ersten beiden Plätzen. Für Sie überraschend oder nicht?
Schmidt: Für mich gar nicht mal so überraschend. In den vergangenen Jahren hat man immer wieder beobachtet, dass Teams, die zusammen geblieben sind und eingespielt waren, häufig gut starten. Die Mannschaften, bei denen es größere Änderungen gab, brauchen oftmals ein paar Spiele, um richtig in die Saison reinzukommen. Gerade in diesem Jahr, wo im Oktober das Transferfenster noch offen steht.
Sky Sport: Bayern und Dortmund haben beide schon jeweils ein Spiel verloren. Hängt das mit der großen Belastung zusammen?
Schmidt: Die alte Saison ging durch die Corona-Pandemie länger. Für die Bayern, die in der Champions League und in den Supercups im Einsatz waren, war die Belastung zuletzt intensiv, aber auch für Dortmund, die viele Nationalspieler abgestellt haben. Vielleicht ist auch die letzte Konzentration noch nicht voll da. Aber Teams wie Bayern und Dortmund bekommen das in den Griff, davon bin ich überzeugt.
Sky Sport: Könnte Hertha BSC am Sonntag (ab 17.30 Uhr LIVE auf Sky Sport Bundesliga 1) davon profitieren, dass die Bayern vielleicht etwas müde sind? Was erwarten Sie von den Berlinern?
Schmidt: Hertha hat eine super Offensive mit Piatek, Cunha, Lukebakio und auch Cordoba, der aus Köln gekommen ist und den ich schon in Mainz trainiert habe - als er übrigens gegen Pep Guardiola in der Allianz Arena den Siegtreffer gegen die Bayern erzielte. Bei Ballverlust greifen die Mechanismen noch nicht ganz so gut, aber ich mache mir keine Sorgen um Hertha. Die bauen ein Team zusammen, das in den nächsten ein, zwei Jahren im vorderen Teil der Tabelle mitreden kann.
Sky Sport: Werden die Bayern die Niederlage in Hoffenheim und die Belastung der letzten Wochen wegstecken?
Schmidt: Alle drei, vier Tage ein Spiel zu haben, ist für die Bayern nichts Neues. Irgendwann ist dann die Breite des Kaders entscheidend, das ist klar. Aber zu Beginn der Saison glaube ich nicht, dass die Ermüdung schon so tief steckt, dass die Spieler am Anschlag sind.
Sky Sport: Hansi Flick wünscht sich Verstärkungen. Wie wichtig ist gerade in dieser Saison eine starke Bank?
Schmidt: Es ist bei den Bayern momentan ein Abschätzen: Wo braucht man noch ein Backup oder eine Verstärkung. Beim Supercup ist mir aufgefallen, dass die Dortmunder Bank gefühlt besser besetzt war als die der Bayern. Aber auf der anderen Seite saßen Goretzka, Sane und andere Granden auch noch auf der Tribüne. Ich bin mir sicher, dass die Bayern punktuell noch die eine oder andere Sache machen werden. Aber sie werden nichts erzwingen. Sie haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sie mit einem sehr schmalen Kader eng getaktet funktionieren können.
Sky Sport: Seit Hansi Flick Trainer ist, sammeln die Bayern Siege und Titel. Sind die Bayern mit Flick so gefestigt, dass der erfolgreiche Weg so weitergehen kann?
Schmidt: Es wurde sehr gut gearbeitet. Dass nach so vielen Erfolgen mal eine Niederlage kommt, ist normal. Im Supercup gegen Dortmund hat man gesehen, dass die Bayern bereit sind. Man hat aber auch gesehen, dass sie - wie schon gegen Hoffenheim - im Passspiel fehlerhaft waren, sie haben zwei Tore nach Ballverlusten gefangen. Für Bayern ist wichtig, dass sie mit ihrem Kernteam Woche für Woche spielen, dann stimmen die Automatismen, das Gegenpressing und die Rückraumsicherung. Ich bin überzeugt, dass der Weg der Bayern so weitergeht, wie sie ihn eingeschlagen haben.
Sky Sport: In der vergangenen Saison gab es nach neun Spieltagen noch keinen Trainerwechsel, jetzt gab es nach zwei Spieltagen schon zwei Entlassungen. In vielen Klubs fehlt die Konstanz auf der Bank. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Schmidt: Das bringt das Geschäft mit sich und hat immer etwas mit den Umständen zu tun. Frühe Trainerwechsel sind oft Reaktionen auf Dinge, die vielleicht schon im Vorjahr unrund liefen. Man hat im Sommer gesagt: "Wir versuchen es nochmal." Dann klappt es nicht und man trennt sich. Andere gehen gefestigt in eine Saison, aber dann gibt es einen Fehlstart. Die Corona-Pandemie hat auch einige Dinge in den Herbst verschoben. Ich möchte da keine Tendenzen suchen.
Sky Sport: Wie schnell es gehen kann, hat man mal wieder am Beispiel Manuel Baum gesehen. Der hat neben seinem Job beim DFB auch als Sky Experte gearbeitet, und jetzt ist er Trainer von Schalke 04. Schalke ist ein spezieller Verein, die Mannschaft gilt als schwierig. Wie beurteilen Sie Baums Arbeit und seine Aufgabe?
Schmidt: Manuel Baum ist ein sehr guter Taktik- und Spielanalytiker. Wenn man die Spiele seiner Mannschaften gesehen hat, hatte er immer einen klaren Plan, wie er Fußball spielen lassen will. Das alles hat sicherlich dafür gesprochen, dass Schalke sich für ihn entschieden hat. Ich freue mich für Manuel Baum, dass er die Chance bekommt. Das zeigt doch auch, dass es sich auszahlt, dran zu bleiben, sich weiter zu entwickeln, bereit zu sein. Ich bin überzeugt, dass er auf Schalke gute Arbeit verrichtet.
Sky Sport: Ihre erste Trainerstation in der Bundesliga war bei Mainz 05. Sie waren damals zuerst der Coach der zweiten Mannschaft und haben dann die Profis übernommen. Jan-Moritz Lichte war seit drei Jahren dort Co-Trainer und wurde jetzt auch befördert. Wie beurteilen Sie die Situation?
Schmidt: Es ist eine Weiterverfolgung dieses Mainzer Weges, der schon mit Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, mit mir oder Sandro Schwarz gegangen wurde. Lichte ist seit drei Jahren in Mainz, er hat den Verein und die Abläufe kennengelernt. Er bringt die Ausbildung und die Fähigkeiten mit und er hat diese Chance verdient. Ich habe seine Pressekonferenz gesehen: sehr eloquent, gute und klare Ansagen, realistische Einschätzung. Das passt zu Mainz, das gefällt mir und das ist der Weg, den man gehen sollte.
Sky Sport: Der Streik von Adam Szalai und Trennung von Achim Beierlorzer haben für großen Wirbel gesorgt. So etwas kannte man aus Mainz bisher nicht. Kann es aber vielleicht auch ganz gut für diesen beschaulichen Verein sein, dass er einmal kräftig durchgerüttelt wurde?
Schmidt: Die Unberechenbarkeit ist ein wichtiger Teil des Fußballs und auch ein Grund für seinen großen Stellenwert in der Gesellschaft. Vielleicht hat es einen Auslöser gebraucht, vielleicht war es auch Zufall, auf jeden Fall hat man reagiert und die jeweiligen Schlüsse gezogen. Man kann gespannt sein, wie schnell sich die Mainzer von unten wegbewegen können. Ich wünsche es Ihnen auf jeden Fall von Herzen.
Sky Sport: Wolfsburg gegen Augsburg, die zwei Vereine waren Ihre letzten Trainerstationen. Beide Klubs laufen häufig unter dem Radar. Glauben Sie, dass sich das wieder ändern kann? Wolfsburg war ja schon einmal ganz oben.
Schmidt: Wolfsburg wie auch Augsburg haben sich in der Bundesliga etabliert und spielten auch immer mal spielt wieder international. Früher hat man bei Wolfsburg immer gesagt: "Die haben so viel Geld und sind nur deshalb vorne dabei." Jetzt sind sie aber auch mit einem stark gekürzten Budget erfolgreich. Der Stamm der Mannschaft ist lange zusammen, viele Spieler habe ich vor zweieinhalb Jahren noch trainiert. Ich bin sicher, dass sie sich im vorderen Drittel etablieren. Augsburg hatte letzten Sommer zu meiner Zeit einen sehr großen Umbruch und hat den Kader in diesem Jahr mit Daniel Caligiuri, Tobias Strobl und Rafal Gikiewicz punktuell sehr gut ergänzt. Auch für sie wird es eine sorglose Saison geben.
Sky Sport: Was erwarten Sie vom Spiel am Sonntag (ab 14.30 Uhr auf Sky Sport Bundesliga 1)?
Schmidt: Ich erwarte ein intensives, körperbetontes und sehr spannendes Spiel. Wolfsburg muss gewinnen um dahin zu kommen, wo sie hinwollen und gehören. Denn nach der herben Enttäuschung von Donnerstagabend gilt für den VfL nun: 100 Prozent Fokus auf die Bundesliga. Ein Wegfall der Doppelbelastung könnte für sie im Saisonverlauf nun ein Joker werden. Für Augsburg gilt es, den guten Start zu bestätigen.
Das Interview führte Thorsten Mesch