Borussia Dortmund kassiert vor ausverkauftem Haus eine herbe Heimpleite gegen Leipzig. Der Meisterzug ist nun endgültig abgefahren. RB-Trainer Domenico Tedesco setzte sich mit seinen taktischen Kniffen im Trainerduell gegen Marco Rose klar durch. In dieser Form ist Leipzig noch viel zuzutrauen.
Die Kulisse in Dortmund versprach ein großes Fußball-Spektakel. Für den BVB sollte es eine Lehrstunde werden.Bei der 1:4.Klatsche im Topspiel gegen ein abgezocktes RB Leipzig spielte der amtierende Pokalsieger 20 gute Anfangsminuten, der Rest des Spiels war ein großes schwarz-gelbes Fehlerfestival.
Dabei war der Signal Iduna Park zum ersten Mal seit rund zwei Jahren wieder ausverkauft. 81.365 Fans sorgten für Gänsehaut. Schon vor dem Spiel marschierten Tausende Dortmunder Fans friedlich durch die Innenstadt gemeinsam zum Stadion. Vor Anpfiff ertönte der Klassiker "You' ll Never Walk Alone", die Zuschauer machten Stimmung und die Sicht auf das Spielfeld war wegen gelber Rauchschwaden kaum zu sehen.
Die positive Atmosphäre übertrug sich auch zunächst auf das Dortmunder Spiel. Der BVB, der in Sondertrikots mit einer Grußbotschaft an die Fans sowie an seine Fanklubs auflief, begann offensiv. Marco Reus (7.), der sein 350. Pflichtspiel für die Borussia absolvierte, und Erling Haaland (13.) vergaben eine mögliche frühe Führung. Die beiden Chancen sollten allerdings bis in die Schlussphase hinein die einzigen beiden Torgelegenheiten für den BVB bleiben.
Can steht neben sich
Denn anschließend übernahm Leipzig das Kommando. Auslöser dafür war Emre Can, der zunächst den Ball gegen Konrad Laimer vertändelte, seinen Gegenspieler im Anschluss laufen ließ und dann auch noch das Abseits aufhob. Laimer lupfte nach Vorlage vom starken Christopher Nkunku den Ball zur Führung ins Tor (21.).
"Dieser Ballverlust darf einfach nicht passieren. Can hätte in der Szene zum Torwart zurückspielen sollen. Aber er hat das gemacht, was er nicht so gut kann: Dribbeln", kritisierte Sky Experte Lothar Matthäus den deutschen Nationalspieler. Can agierte in der Dortmunder Dreierkette zunächst als rechter Innenverteidiger und erwischte insgesamt keinen guten Abend.
Denn kurz darauf stand der 28-Jährige erneut im Mittelpunkt, als er einen Schuss von Laimer unhaltbar für Gregor Kobel ins eigene Tor abfälschte (30.). Vorausgegangen war ein schneller RB-Gegenangriff - erneut über Nkunku und Laimer. "Ich nehme ihn manchmal auf den Arm, da er, wenn er schießt, alles trifft außer das Tor. Jetzt hat er das gut gemacht. Unabhängig von den Toren hat er ein riesiges Spiel gemacht", schwärmte RB-Trainer Domenico Tedesco nach Schlusspfiff bei Sky von seinem Matchwinner Laimer.
Matthäus fand hingegen noch während der ersten Halbzeit nur positive Worte für den Matchplan von Tedesco. "Leipzig hat ein klares Konzept: Sie stehen kompakt, sind gut organisiert, schalten schnell um und rücken gut nach. Der Plan von Tedesco ist deutlich erkennbar", lobte der Sky Experte die Ideen Tedescos sowie die Umsetzung der Spieler auf dem Rasen.
Tedescos Plan geht voll auf
In der Tat hatte sich der Leipziger Trainer einige taktische Kniffe für das Duell gegen Marco Rose auf der anderen Seite einfallen lassen. Statt dem gewohnten RB-Angriffspressing setzte Tedesco in Dortmund auf ein Mittelfeldpressing. Der BVB konnte dadurch zwar von hinten heraus ruhig das Spiel aufbauen und hatte am Ende 61 Prozent Ballbesitz, doch konnten sie damit wenig anfangen. Sobald die Dortmunder in die Leipziger Hälfte vorrückten, wurden sie konsequent zugestellt.
Der Gastgeber agierte mit dem Ball hektisch, unpräzise und vor allem ideenlos. Laimer, Kevin Kampl und Dani Olmo produzierten einen BVB-Ballverlust nach dem anderen und sorgten dann durch schnelle Umschaltsituationen immer wieder für Gefahr. Olmo selbst lief anders als gewohnt nicht in der offensiven Zentrale auf, sondern fügte sich im 5-3-2-System gegen den Ball auf der halblinken Seite im Mittelfeld ein.
Mit dem Ball machte der Spanier zusammen mit Angelino auf der linken Leipziger Seite mächtig Alarm, das Duo konnte seine spielerischen Vorteile gegen Can und Marius Wolf immer wieder ausspielen. Kampl spielte den einzigen Abräumer vor der Abwehr und hielt seinen Vorderleuten den Rücken frei. Laimer nutzte diese Freiheiten, agierte als Box-to-Box-Spieler und spulte mit 11,2 Kilometer die meisten aller Akteure auf dem Platz ab.
Mit den taktischen Kniffen von Tedesco hatte Dortmund offensichtlich nicht gerechnet und fand dagegen keine Mittel. Die Fans quittierten den Auftritt der Schwarz-Gelben schon kurz vor der Pause mit ersten Pfiffen. Der Frust war auch auf dem Spielfeld sichtbar. Nachdem Thorgan Hazard Nkunku regelwidrig stoppte und die Gelbe Karte sah, regte sich Rose lautstark beim vierten Offiziellen Arne Aarnink auf. Der BVB-Coach musste Dampf ablassen.
Roses Anpassungen verpuffen
Zur zweiten Halbzeit reagierte Rose und stellte auf Viererkette um, der gewünschte Effekt blieb aber aus. Stattdessen war es weiter Leipzig, das mit Spielfreude und vielen richtigen Entscheidungen zuschlug. Dieses Mal legte Doppeltorschütze Laimer sehenswert mit der Hacke für Nkunku auf, der zu seinem 16. Saisontor traf (57.).
"Wenn du so im Flow bist, wie er, und so viel wie er investierst, freut es mich einfach, wenn ein Mitspieler einfach weiter macht. Es sieht so leicht und gut aus. Das resultiert aus harter Arbeit, welche sich endlich auszahlt. Dass er die Qualität hat, hat man schon immer gesehen. Dass er nun die Konstanz hat, macht jetzt den Unterschied. Ich bin mir auch sicher, dass er das noch weiterhin so macht, und er bringt uns eine Menge Spaß", freute sich auch Laimer bei Sky nach Spielende über die erneut starke Performance von Nkunku.
Während Rose den schwachen Axel Witsel zugunsten von Mahmoud Dahoud vom Feld nahm und damit für mehr Stabilität vor der Abwehr sorgen wollte (61.), wechselte Tedesco mit Emil Forsberg für Kampl überraschend offensiv (68.) - beim Stand von 3:0. Tedesco strahlte damit viel Selbstvertrauen aus. Eine Reaktion der Gastgeber blieb dagegen auch weiterhin aus.
"Leipzig spielt es mit einer Qualität, die ich nach der Hinrunde nicht von dieser Mannschaft erwartet habe. Leipzig hat Lösungen, Dortmund findet offensiv hingegen einfach keine", meinte Sky Experte Matthäus. Die Ideenlosigkeit im BVB-Angriffsspiel konnte sich der deutsche Rekordnationalspieler allerdings auch nicht erklären.
Haaland mit Torflaute
Der überraschende Anschlusstreffer von Donyell Malen (84.) nach einer Ecke aus dem Gewühl heraus - der erste Dortmunder Abschluss nach 70 (!) Minuten - sollte nur kurz für Hoffnung bei den BVB-Fans sorgen. Olmo machte nach einem Zuspiel von Nkunku - der wie Laimer an drei Treffern direkt beteiligt war - mit einem Traumtor im Gegenzug endgültig den Deckel auf die Partie (86.).
Und was war eigentlich mit Haaland? Der Norweger spielte zwar 90 Minuten durch, wirkte allerdings nach seinen Knöchelproblemen nicht fit, war kaum im Dortmunder Spiel eingebunden und hatte nur 27 Ballkontakte (die mit Abstand wenigsten aller Spieler, die das komplette Spiel auf dem Platz standen, Anm. d. Red.). Der 21-Jährige wartet nun bereits seit Ende Januar auf einen Torerfolg - die längste Durststrecke in der Bundesliga für den Stürmerstar.
Nach Abpfiff waren neben einem Pfeifkonzert von den Rängen auch vereinzelte "Rose-Raus-Rufe" zu hören. 42 Gegentore in 28 Spielen stehen in der Bilanz des 45-Jährigen - so viele waren es in Dortmund zu diesem Zeitpunkt in der Saison zuletzt vor 14 Jahren, damals stand noch ein gewisser Thomas Doll an der Seitenlinie der Borussia.
"Wir haben einige zu einfache Fehler begangen. Zur Pause haben wir dann einige Dinge angepasst und in der zweiten Hälfte waren wir auch ordentlich im Spiel. Leipzig hat aber weiterhin ein gutes Umschaltspiel demonstriert und dann steht ein extrem bitteres Ergebnis da. Wir haben uns vorm vollen Haus mehr vorgenommen und wollten uns Schwung für die Schlussphase der Saison holen. Nun haben wir uns selbst ausgebremst", sagte Rose selbst nach Abpfiff bei Sky.
Hummels liegt daneben
"Ich weiß, dass es für Aussagen wie die Folgenden immer auf den Sack gibt: Es war ein Sieg der Effektivität und der Chancenverwertung. Es war von den Leistungsverhältnissen kein 4:1-Sieg", versuchte BVB-Abwehrchef Mats Hummels nach dem Topspiel am Sky Mikrofon den Auftritt der Borussia zu beschönigen. Mit seiner Analyse lag der Weltmeister von 2014 aber komplett daneben.
Dortmund fehlte es an Konsequenz und Kreativität. Leipzig hingegen agierte defensiv diszipliniert und setzte offensiv immer wieder gekonnt Nadelstiche mit hoher Qualität. Die Quittung für den BVB nach einem schwachen Auftritt: Neun Punkte Rückstand auf den FC Bayern München bei noch sechs Spielen - der Meisterzug ist abgefahren. Eine weitere Enttäuschung nach den peinlichen Ausscheiden aus der Champions League, Europa League und dem DFB-Pokal.
"Es war eindeutig ein Unterschied zu erkennen zwischen Leipzig und Dortmund. Alles, was im Fußball wichtig und nötig ist, hat Leipzig mitgebracht. Wir können definitiv nicht sagen, dass Dortmund und Leipzig auf Augenhöhe gespielt haben. Der BVB hat viele Fehler gemacht und die wurden bestraft", fasste Matthäus die Begegnung zusammen.
Leipzig nimmt Titel ins Visier
Während der BVB die Partie nun schnell abhaken muss, will Leipzig die gute Stimmung mit in den Saisonendspurt nehmen. Für die Sachsen, die in diesem Jahr in 15 Pflichtspielen nur einmal als Verlierer vom Platz gegangen sind (2:3 beim FC Bayern, Anm. d. Red.), ist nicht nur die erneute Champions-League-Qualifikation in der Liga in Reichweite, sondern auch der erste Vereinstitel in der Klubhistorie.
Matthäus traut Leipzig in dieser Verfassung sowohl im DFB-Pokal (Halbfinale gegen Union Berlin) als auch in der Europa League (Viertelfinale gegen Atalanta Bergamo) den ganz großen Wurf zu. "Für einen wie mich, der schon lange hier ist, wäre es ein Titelgewinn das Karriere-Highlight", blickte RB-Schlussmann Peter Gulacsi am Sky Mikrofon bereits auf die nächsten Wochen voraus.
Dann würde Leipzig in den möglichen Endspielen erneut eine ähnlich emotionale und mitreißende Stadion-Atmosphäre wie in Dortmund erwarten. Und dass sie mit einer starken Leistung ein großes Spiel gewinnen können, hat RB gegen den BVB bewiesen.
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