Borussia Dortmund gibt Rätsel auf - einmal mehr. Vier langjährige BVB-Reporter finden gegenüber skysport.de klare Worte zur aktuellen Situation.
"Als hätten sie etwas im Frühstück gehabt"
Matthias Dersch (berichtet seit 2017 für den kicker über den BVB): "Vor einigen Jahren haben wir den BVB beim kicker mal als die Sphinx vom Borsigplatz bezeichnet, weil diese Mannschaft so rätselhaft ist. In den vergangenen Monaten war es eigentlich so, dass sie nicht mehr ganz so oft Rätsel aufgegeben hat und reifer wirkte. Der Unterschied zwischen München, Newcastle und Stuttgart war aber jetzt schon extrem. In Stuttgart hatte ich den Eindruck von der Dortmunder Mannschaft, sie spiele wie sediert, als hätte sie etwas im Frühstück gehabt. Diese Inkonstanz, die man geglaubt hatte zu besiegen, die hat nun mit voller Wucht wieder zugeschlagen. Welches Gesicht das Wahre des BVB ist, wird sich in der Zeit bis Weihnachten zeigen. Wenn es ganz schlecht läuft, läuft der BVB dann bereits allen Saisonzielen hinterher oder hat sie gar bereits verpasst. Ich traue der Mannschaft in ihrer Wechselhaftigkeit allerdings auch zu, dass das Pendel auch wieder phasenweise in die andere Richtung ausschlägt. Wichtig wird nun sein, dass alle Beteiligten den Ernst der Lage erkennen - so wie sie es auch im vergangenen Januar gemacht haben. Die Lage beim BVB ist aktuell brisant, ohne dass man dabei jetzt aber gleich wieder alles in Frage stellen muss.
Bei der Gesamtbetrachtung darf man nicht außer Acht lassen, dass es jetzt auch erst die Bundesliga-Niederlagen zwei und drei in diesem ganzen Jahr waren. Man darf aber auch nichts beschönigen, Rang vier darf nicht außer Sichtweite geraten. Gerade in Dortmund geht es mir bei der Wertung in beide Richtungen oft zu schnell. Die Situation, die es jetzt unter Terzic gibt, die gab es auch unter Bosz, Favre, Tuchel und Rose - als wäre Wankelmütigkeit ansteckend. Man muss Terzic zugutehalten, dass er einzelne Spieler teils deutlich bessergemacht hat und sich auch selbst weiterentwickelt. Ich sehe die Mannschaft daher ebenfalls in der Verantwortung. Die elf Spieler, die gegen Newcastle auf dem Platz standen und es da sehr gut gemacht haben, haben in Stuttgart alles vermissen lassen. Dafür nur dem Trainer die Schuld zu geben, wäre viel zu einfach." (Beim BVB schrillen die ersten Alarmglocken)
"Gedemütigt und vorgeführt"
Jörg Weiler (berichtet seit 2001 für die BILD über den BVB): "Ich empfinde Borussia Dortmund als totale Wundertüte. Gegen Newcastle hat man es zweimal gut gemacht. Gegen München wurde der BVB dann aber gedemütigt und eine Woche später in Stuttgart vorgeführt. Das passt überhaupt nicht zusammen. Dortmund muss aufpassen, dass sie zumindest unter die ersten Vier kommen. Die Neuzugänge lassen noch zu wünschen übrig. Ramy Bensebaini muss erst einmal beweisen, dass er auf diesem Niveau spielen kann. Er ist für mich bisher eine absolute Enttäuschung. Auch von Marcel Sabitzer habe ich mir mehr erwartet. Ein Drama ist, was sich zurzeit mit Sebastien Haller abspielt. Natürlich hat auch Edin Terzic Fehler gemacht. Seine Kampfansage an die Bayern unmittelbar vor dem Spiel gegen die Münchner, am Borsigplatz sei Platz, um zwei Titel zu feiern, war im Nachhinein sehr mutig. Der Zeitpunkt dafür war angesichts der dann abgelieferten Spiele gegen Bayern und Stuttgart komplett desaströs.
Edin Terzic hat sich sehr stark für Emre Can eingesetzt und ihn später auch zum Kapitän befördert. Ob das so eine glückliche Wahl war, weiß ich nicht. Da habe ich große Zweifel. Ich hätte Gregor Kobel die Binde gegeben. Dortmund fehlt es an Unterschiedsspielern. Dem Einzigen, dem ich im Moment das Prädikat Weltklasse attestieren würde, ist Kobel. Sowohl Terzic als auch die Mannschaft müssen höllisch aufpassen, dass sie nicht alle Saisonziele vorzeitig vor die Wand fahren. An eine ähnliche Aufholjagd wie in der vergangenen Saison glaube ich nicht, da sie eben keine Unterschiedsspieler mehr haben." (Füllkrug schlägt Alarm: "Bekommen unsere Grenzen aufgezeigt")
"Terzic steht in der Kritik"
Sebastian Weßling (Redaktionsleiter bei Funke Sport NRW, berichtet seit 2012 über den BVB): "Gegen Mannschaften, die zur Bundesliga-Spitze gehören, kann der BVB aktuell nicht mithalten. Der Spielplan hat es bis dahin sehr gut mit Dortmund gemeint. Sie hatten überwiegend Gegner aus dem unteren und mittleren Tabellensegment. Die Spiele gegen Bayern und Stuttgart waren die ersten gegen zwei Top-Teams der Liga. Beim BVB haben die Ergebnisse ein bisschen hinweggetäuscht über die eher schwächeren spielerischen Vorstellungen. Über die Meisterschaft braucht man nach einem Drittel der Saison nicht mehr zu reden. Das Ziel sollte es nun sein, die Champions League zu erreichen. Die Aufstellung und auch die Einstellung in ein Spiel zu gehen, warf zuletzt Fragen auf. Da sind wir dann schnell auch beim Trainer Edin Terzic. Gerade in Stuttgart hat man gesehen, dass mit dem VfB eine Mannschaft auf dem Platz stand, die richtig gut eingestellt war auf dieses Spiel, bei der auch stimmige Abläufe zu sehen waren. Das ist am Ende das Werk eines Trainers. Bei den Dortmundern war das am Samstag nicht zu sehen. Deshalb steht Terzic jetzt auch in der Kritik. Und das zurecht. Aus dieser Mannschaft wäre in diesen Spielen mehr herauszuholen gewesen.
Man kann aber nicht nur mit dem Finger auf ihn zeigen. Viele Spieler sind sehr weit unter ihren Möglichkeiten geblieben. Die Qualität im Kader ist aber eben nun mal auch nicht mehr so hoch wie noch in der Vorsaison. Spieler, die ein Spiel auch mal allein entscheiden können, haben sie kaum noch. Man muss sich sicherlich derzeit auch eingestehen, dass die Kaderplanung nicht so aufgeht, wie man sich das erhofft hat. Der Kader reicht aktuell nicht für den Anspruch, die Meisterschaft zu holen. Das, was daraus herausgeholt wird, allerdings auch nicht. Das ist ein Zusammenspiel aus beidem." (Matthäus-Kolumne: Terzic-Taktik passt nicht zur DNA der Borussia)
"Terzic muss jetzt an die Ehre appellieren"
Dirk Krampe (Ruhr Nachrichten, berichtet seit 2008 über den BVB):
"Der FC Bayern hat am Samstag nach dem Ausgleich von Heidenheim reagiert und das Spiel noch mit 4:2 gewonnen. Von Borussia Dortmund kam nach der sehr schwachen ersten Halbzeit in Stuttgart fast keinerlei Reaktion. Es gibt im Kader genügend erfahrene Spieler wie Hummels, Sabitzer, Süle oder Füllkrug, aber es war keiner in dieser Situation in der Lage, die Ärmel hochzukrempeln, ein Zeichen zu setzen und andere mitzureißen. Wenn es gut läuft, kann die Mannschaft alles in Grund und Boden spielen. Wenn sie Widerstände erfährt, oder wie jetzt bei vielen Gegnern, die sie hoch pressen, hat der BVB Probleme.
Der punktemäßig gute Start hat die Realitäten ein wenig verschleiert. Weiter sind die Ausschläge in der Leistung in alle Richtungen sehr extrem. Ich glaube, dass man auch langsam an einen Punkt kommt, an dem man die Qualitätsfrage stellen muss. Der BVB hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Leistungsträger abgeben müssen. Wie Lewandowski, Sancho, Haaland und zuletzt Bellingham. Für diese Ausnahmespieler konnte nur bedingt gleichwertiger Ersatz verpflichtet werden.
In den Topspielen gegen Bayern oder in Paris hatte ich eigentlich gedacht, dass man auch in den jeweiligen Aufstellungen mit mehr Mut spielen würde, aber die Mannschaft hat es nicht umgesetzt. Dieses Gesicht des BVB tritt wiederkehrend auf, das Problem besteht seit Jahren, es hat oft verhindert, dass man am Ende um die Titel mitspielt. Edin Terzics Verzweiflung darüber war am Samstag deutlich zu spüren. Seine Mannschaft weicht zu oft von den taktischen Vorgaben und ihren eigentlich vorhandenen Qualitäten ab.
Terzic muss jetzt an die Ehre appellieren und auch konsequent reagieren, wenn Spieler seinen Vorgaben nicht folgen. So wie in Stuttgart dürfen sich Spieler von Borussia Dortmund nicht präsentieren. Das muss allen bewusst sein."
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