Sky Experte Didi Hamann bewertet in seiner Kolumne die Leistungen der deutschen Klubs in der Champions League. Für Bayern und Dortmund, aber auch für Leipzig und Frankfurt sieht er gute Chancen. Zudem schätzt Hamann die Situation von Thomas Müller in der Mannschaft des FCB ein.
TOP 1: DAS HAT DORTMUND DEM FC CHELSEA VORAUS
Die Dortmunder haben beim 1:0 gegen Chelsea eine Seite gezeigt, die man ihnen lange Zeit abgesprochen hatte. Ich habe seit Jahren keine BVB-Mannschaft gesehen, die sich so aufgeopfert hat. Sie haben mit einem unglaublichen Willen und einer Hingabe ihr Tor verteidigt, das war herausragend.
Der BVB hat unter Edin Terzic zwar schon bessere Spiele gemacht, aber du musst schauen, welchen Gegner du vor dir hast. Du kannst nicht immer alles spielerisch lösen.
Chelsea hat sehr viel Geld investiert, die Mannschaft ist noch auf der Suche nach ihrer Identität, aber sie haben herausragende Einzelspieler, das hat man am Mittwochabend gesehen. Dortmund hat diesen Qualitätsunterschied mit Geschlossenheit und Teamgeist wettgemacht und verdient gewonnen. Das stimmt mich sehr positiv für das Rückspiel in London.
Ich habe Emre Can oft kritisiert, aber er hat wieder sehr gut gespielt. Niklas Süle und Nico Schlotterbeck haben es in der Abwehr herausragend gemacht. Und wenn die Dortmunder den Torwart mal gebraucht haben, war auf ihn Verlass. Das war in den vergangenen Jahren auch nicht immer der Fall.
Adeyemi profitiert von Haller
Das Siegtor von Karim Adeyemi war absolute Weltklasse. Adeyemi hatte seine Anlaufschwierigkeiten beim BVB, aber das war bei Dembele oder Sancho genauso. In den vergangenen Wochen hat er gezeigt, was er für eine Waffe sein kann. Seit dem Restart nach der Weltmeisterschaft ist er ein anderer Spieler. Er hat viel an sich gearbeitet und sich auch körperlich verbessert. Ich glaube auch, dass Adeyemi insgesamt, gestern weniger, von Sebastien Haller profitiert. Der Franzose hält vorne die Bälle, bindet Gegenspieler und schafft Räume. Das sieht im Moment sehr gut aus.
Reus und Hummels müssen auf ihre Chance warten
Marco Reus und Mats Hummels haben 90 Minuten lang auf der Bank gesessen. Terzic hat anscheinend einen sehr guten Draht zu ihnen, beide waren damals wohl auch stark involviert, als Terzic zum ersten Mal den Trainer-Job bekommen hat. Aber es geht um die Mannschaft. Keiner ist größer als das Team. Die Mannschaft hat sieben Mal in Folge gewonnen, Reus und Hummels müssen auf ihre Chance warten. Für beide heißt es: trainieren, hart arbeiten und sich in die bestmögliche Verfassung bringen und da sein, wenn sie gebraucht werden.
TOP 2: MÜLLER-THEMA IST NICHT DAS WICHTIGSTE BEI BAYERN
Für mich als Fußball-Romantiker waren die letzten beiden Tage ein Sieg für den Fußball. Die zusammengekaufte Truppe von Chelsea wurde in kämpferischer Hinsicht von den Dortmundern vorgeführt. Der BVB hat Chelsea gezeigt, was es heißt, eine Mannschaft zu sein und erfolgreich zu sein, und die Bayern haben in Paris dominiert.
Neymars Leistung war eine Frechheit
Was PSG über 60 Minuten gezeigt hat, war erschreckend. Neymar hat eine Unzahl an Bällen verloren. Ich vermute, dass es dem Trainer nicht erlaubt ist, ihn auszuwechseln. Wenn der Spieler größer ist als die Mannschaft, dann passiert so etwas. Was Neymar gegen die Bayern abgeliefert hat, war eine Frechheit seinen Mitspielern gegenüber. Der Besitzer wird sich auf der Tribüne möglicherweise gedacht haben: "Für was habe ich das ganze Geld ausgegeben?"
Die Bayern haben als Mannschaft Geschlossenheit gezeigt und richtig gut füreinander gespielt, bei Paris standen elf Einzelspieler auf dem Platz und du hattest das Gefühl, dass jeder sein eigenes Ding macht. Dass sich das Spiel mit der Einwechslung von Kylian Mbappe gedreht hat, ist klar, und es wird in München ein ganz anderes Spiel werden. Aber ich bin guter Dinge, dass Bayern und Dortmund es packen.
Müller muss die Situation annehmen
Bei Thomas Müller ist es ähnlich wie bei Reus. Im Moment sind Kingsley Coman und Jamal Musiala die besten Spieler und bei Julian Nagelsmann gesetzt. Sane ist von seinem Potenzial her der beste Spieler, und wenn er an sein Niveau herankommt, muss er meiner Meinung nach auch spielen. Dann sind drei Positionen in der Offensive besetzt, und für die vierte hast du Gnabry, Choupo-Moting und Müller. Er muss die Situation annehmen und schauen, dass er guter Verfassung bleibt und da ist, wenn er gebraucht wird. Er hat gezeigt, dass er das kann. Ich bin weit davon entfernt zusagen: "Müller muss nächste Woche spielen". Die Mannschaft muss funktionieren, das ist das Wichtigste.
Ich glaube nicht, dass Julian Nagelsmann eine schlaflose Nacht hat, wenn er am Freitag eine Frage zu Müller beantworten muss. Themen wie Reus und Müller sehen die Trainer relativ gelassen. Das sind Dinge, die von außen hineingetragen werden. Die Spieler selbst sind seit zehn, zwölf Jahren dabei, die sehen ja selbst, was auf dem Platz passiert und dass es auch ohne sie läuft. Am Ende müssen die Ergebnisse stimmen. Der Sieg in Paris war ein großes Resultat für die Bayern und wird ihnen wieder Selbstvertrauen geben.
TOP 3: DIE BUNDESLIGA BRAUCHT SICH NICHT ZU VERSTECKEN
Ich glaube nicht, dass die Bundesliga sich gegenüber der Premier League zu klein macht. Aber es ist einfach Fakt, dass die Vereine mit ungleichen Mitteln kämpfen. In England geht es momentan zu wie im Wilden Westen, Chelsea ist mit seinen enormen Investitionen im Sommer und im Winter das beste Beispiel dafür.
Im internationalen Vergleich und besonders bei uns in Deutschland, werden die Leistungen der Bundesligisten zu wenig wertgeschätzt. Was die Bayern über Jahre machen, die organisch gewachsen sind, was die Dortmunder jetzt wieder im Begriff sind zu tun, was in Frankfurt passiert ist - wir haben noch vier Mannschaften im Achtelfinale der Champions League. Zwei haben bereits eine sehr gute Ausgangsposition und alle haben eine ordentliche Chance aufs Weiterkommen.
Rennen um die Champions League offen wie selten
Für Leipzig ist gegen Manchester City alles drin, Frankfurt hat gegen Neapel eine gute Chance. Ich kann mir vorstellen, dass beide durch die Siege von Bayern und Dortmund nochmal einen Schub bekommen haben und sich sagen: So viel besser sind die anderen auch nicht.
Ich glaube nicht, dass dieses Jahr eine englische Mannschaft die Champions League gewinnt. Die Premier League spielt schon seit Weihnachten und ich kann mir vorstellen, dass die Teams in März/April durch den großen Kräfteverschleiß einen Hänger bekommen.
Bayern und Dortmund sind noch nicht weiter, aber es könnte passieren, dass zwei, drei, oder sogar vielleicht sogar vier Mannschaften aus der Bundesliga das Viertelfinale erreichen. Es werden heiße Spiele.
So offen wie dieses war das Rennen um die Champions League in den vergangenen Jahren selten.